Was es wiegt, das hat’s IX: Was ist Kunst? III

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

[Vorlauf] Nicht alles, was eine Kunst ist, ist auch Kunst. Ein Wortspiel? Nuancen! Wenn jemand betont, dies oder jenes sei eine oder keine Kunst, ist damit gewöhnlich Kunstfertigkeit gemeint. Eine bestimmte Kompetenz oder Geschicklichkeit. Ein Können.

Beispiel: Solide Handwerksarbeit, die es aber eher nicht in einen Diskurs über Gegenwartskunst schafft, sondern im Bereich Deko verbleibt.

Wenn andrerseits Leute wie Andreas Gabalier oder DJ Ötzi von sich sagen, sie seien Künstler, dann wohl im Sinn von Unterhaltungskünstler und nicht von Gegenwartskunst. Es braucht sicher einige Kunstfertigkeit, also konkrete Kompetenzen, wenn man als Produkt der Unterhaltungsindustrie längerfristig bestehen und Geld bewegen möchte. Aber das ist ein andere Metier als das Kunstfeld, auf dem ich mich zu Hause fühle.

Dann wäre da das varhaltensoriginiell belebte Genre „Hobbykunst“. Ein bedeutendes Ereignisfeld im Kulturgeschehen der Provinz, im gesellschaftlichen Leben abseits des Landeszentrums. Aber es ist ein Begriff, den kaum jemand auf sich sitzen lassen möchte. Hobbyleute reklamieren sich in meiner Umgebung gerne unter die Flagge der Kunst, deuten an, daß sie dem Bereich der Gegenwartskunst zuzurechnen seien.

Es verhält sich eventuell wie das Basteln zum Handwerk. Wikiped sagt, Basteln „ist ein Überbegriff für kreative Hobbys, die experimentell betrieben werden“. Hobbykunst… Kaum jemand aus diesen Reihen hält auch nur geringen Anforderungen der Kunst stand; eben weil es ein anderes Genre ist.

Das bedeutet, die Hobbyleute müssen dem auch nicht genügen, doch wir finden jede Menge Beispiele, daß sie sich das Sozialprestige der benachbarten Disziplin umhängen möchten. (Über das materielle und immaterielle Bewirtschaften der „Duftmarke Kunst“ wird auch unter „Kommunale Kulturpolitik“ noch ausführlicher zu reden sein.)

Doch wie kann das geklärt werden, wenn wir doch nicht verläßlich und einigermaßen zeitlos bestellen können, was Kunst sei und was nicht? Durch kritische Betrachtung anhand von Maßstäben. Kritik bedeutet vor allem einmal: Vergleichen, um aus dem Vergleich eine Bewertung abzuleiten.

Als „Kunst.Hot.Spot“ ausgewiesen, aber unmöglich in einer Debatte über Gegenwartskunst unterzubringen.

Ist eine Hand geübt? Ist ein Motiv interessant, oder habe ich das, was mir gezeigt wird, schon tausendfach gesehen, gehört, und es ist ein völlig abgenutzter Inhalt ohne Raffinesse und ohne Geheimnis? Ist die Umsetzung der Arbeit beeindruckend? Zeigt jemand im Tun Virtuosität oder stammelt die Person, stümpert und plagt sich? Mutet mir jemand zu, die ermüdende Wiederholung von Motiven zu betrachten, zu loben, die längst zu billigen Klischees verkommen sind?

Wer sich in der Welt auch nur ein wenig umgesehen hat, kann für sich solche Fragen allein schon über die sinnliche Erfahrung beantworten und so ein Werk taxieren, vielleicht als unerheblich und bedeutungslos einstufen, vielleicht für grandios halten.

Wer ein tiefergehendes Interesse hat, wird eventuell Werke aus mehreren Jahrhunderten kennen, wird überdies verschiedene Debatten über derlei Werke kennen und daher auch nach den Regeln der Kunst urteilen können. Regeln, wie sie eben gerade als vorherrschend gelten. (Das sind heute teils ganz andere Kriterien und Bewertungen als vor 200 Jahren.)

Spitzfindige werden auch noch etwas über den Kunstmarkt und den Marktwert bestimmter Werke wissen. Sie werden bei bildender Kunst eventuell verfolgt haben, wie schon vor einigen Jahrzehnten Auktionshäuser in dieses Geschäft vorgedrungen sind, um Preise hochzutreiben und den Galerien wie den Agenturen Profite abzujagen.

Auch die Sammelleidenschaft potenter Personen, die hohe Geldbeträge ausgeben können, hat Einfluß auf die Preisgestaltung und auf den Rang von Werken. Ganz zu schweigen von Leuten aus Galerien und Agenturen, die konsequente Medienarbeit betreiben, Public Relations, um ihre bevorzugten Werke zu forcieren und die Konkurrenz möglichst in den Graben zu fahren.

Wäre Picasso heute, wer er uns ist, ohne seinen angriffslustigen Galeristen? Sie alle, alle, alle mischen mit, wenn verhandelt wird, was Kunst sei und was nicht. Natürlich auch die exponierten Kräfte in den Meisterklassen von Akademien, die talentierten Leute im Bereich der Kunstgeschichte etc. etc.

Es ist also nicht zwingend nötig daß man „etwas von Kunst versteht“, um zu einem Kunsturteil zu kommen. Das gelingt Ihnen und Ihnen und Ihnen auch so, nämlich: sowieso, weil Sie ja merken, was die Begegnung mit einem Werk in Ihnen auslöst. Und zack! Schon haben Sie ein erstes Urteil zur Hand, das völlig legitim ist.

Ob Sie es dann weiter überprüfen, debattieren, allenfalls revidieren möchten, hängt ganz davon ab, welche übrigen Schritte Sie setzen. Aber klar ist, sobald Sie damit nach draußen gehen, stellen Sie sich in den Zusammenhang mit zahlreichen Methoden der Bewertung. Na und? Man sollte bloß wissen, was man tut.

Falls Sie aber Ihre Position verteidigen wollen, werden allfällige Meinungen und Ressentiments nicht genügen. Damit kann jemand privat ein Auslangen finden, doch sobald wir in die öffentliche Sphäre und das Reich der Kulturpolitik eintreten, sieht das anders aus. Da gilt dann: Nennen Sie Ihre Gründe! [Fortsetzung]

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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