Meine Post-Beuys-Befindlichkeit II

[Vorlauf] Das schlampige „Beuyseln“ und meine Post-Beuys-Befindlichkeit, die zu debattieren ist… Mit Beuyseln meine ich ein sinnentstelltes Zitieren von Beuys. So vor allem der völlig niedergerittene Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ (eingangs schon angedeutet). Es zeigt sich als ein praktisches Ausplündern des Beuys’schen Oeuvres. (Es verstellt auch den Weg auf eine kritische Betrachtung des Künstlers Joseph Beuys.)

Joseph Beuys (Foto: Pivari, Ausschnitt, CC BY-SA 4.0)

Ich will diesen Teil der Geschichte gleich erledigen. Vieles, was derzeit mit Berufung auf Beuys geschieht, ereignet sich nicht einmal auf dem Niveau einer Kenntnis jenes „Club 2“ von 1983, in dem der Künstler etliche seiner Kriterien ausführlich darlegt. (Link)

Eine der prägnanten Stellen in dieser Debatte lautet: „Nicht jeder Mensch ist ein Maler!“ (Link) Die Diskussion macht unmißverständlich klar, daß es nicht nur individuelles Empfinden gibt, welches von den eigenen Wahrnehmungserfahrungen abhängt, sondern auch laufende Diskurse über die Regeln der Kunst. Damit habe ich zwei ganz unterschiedliche Optionen der Kunstbetrachtung.

  • Die Welt des Sinnlichen (Gefällt mir; oder auch nicht)
  • Die Regeln der Kunst (Stand der Debatten über Kunst)

Es steht mir völlig frei, mich für eine Option zu entscheiden und die andere zu ignorieren. Ich kann auch eine Option gegen die andere ausspielen. Ich kann beide Optionen kombinieren. Für meinen individuellen Umgang mit Kunstwerken hat mir da niemand was vorzuschreiben.

Sobald ich aber hinausgehe und eine Position im Kulturbetrieb beanspruche, bin ich den laufenden Debatten ausgesetzt und muß eventuell klar machen, wie sehr sich meine Position zur Höhe der Zeit verhält.

Das erleben wir unter anderem auch als ein Ringen um Distinktion, als einem Kampf um Rang. Das sind freilich keine Kategorien der Kunst, sondern soziale Kategorien. Es ist im steirischen Kulturgeschehen recht leicht zu finden, wie

  • a) Kunstschaffende einerseits mit halbseidenen Argumenten denunziert werden und
  • b) andrerseits Kunstbegriffe auch unter manchen Kunstschaffenden nebulös bleiben, wie sie als „Duftmarken“ im Sinne von Distinktions-Akten benutzt und verwertet werden.

Das sind Zusammenhänge, die ein geistiges Klima belasten bis beschädigen. Wenn dann auch noch Kulturbudgets entfremdet werden, um Garten-Deko als „Kunstwerke“ zu bemänteln und so die PR-Budgets etablierter Büros aufzufetten, ist der nächste Schaden angerichtet.

Eine Post-Beuys-Situation
Beuys muß heute nicht mehr als Wegweiser betrachtet und genutzt werden. Er ist eine historische Kategorie, eine bedeutende Markierung in unserer Landkarte der Bedeutungen. Wir sind inzwischen viele der möglichen Wege schon gegangen. Beuys zählt zu jenen, die klar gemacht haben, daß die Zukunftsfähigkeit eines Gemeinwesens sehr wesentlich an der Qualität des geistigen Lebens einer Community hängt.

Das ist heute brisanter als noch unlängst, weil wir uns mitten in der Vierten Industriellen Revolution befinden und dabei einen radikalen Umbruch erleben, der das Verhältnis von Menschen zu ihren Maschinen völlig aufbricht.

Stichwort: „Prometheische Scham“. So nannte Philosoph Günther Anders die Erfahrung, wenn ein Mensch in Kompetenzen von einer Maschine übertroffen wird. Heute geschieht das durch neue Maschinentypen und selbstlernende Systeme.

Das regt aber auch an, die Conditio humana aktuell zu überprüfen, neu zu bestimmen. Was macht uns aus? Was unterscheidet uns von anderen Arten? Wie verhalten wir uns zu Dingen? Was ist unser Platz in der Welt? Genau solche Prozesse sind seit Jahrtausenden mit den Optionen der Kunst verbunden. [Fortsetzung]

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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