Kosovo in Gleisdorf

Da saß ich mit Tierarzt Karl Bauer [link] in einem ruhigen Café in Hartberg. Im TV lief ein Schirennen und die Jungs hinter mir waren in einem Dart-Match lebhaft zugange. Fast auf Blickweite ruhte im Winterabend der Berufsschul-Bau, in dem ich als junger Kerl drei Jahre auf meine Lehrabschlußprüfung zugesteuert hatte.

Karl Bauer

Wir haben das damals noch in voller Länge ausgesprochen: Lehrabschlußprüfung. Bei meinem Sohn hieß das dann schon Ellabeeh.

Da saßen wir also, meine Reminiszenzen dümpelten dahin, während ich mit Bauer zu erörtern hatte, welchen Schnittpunkt wir für den heurigen Herbst finden. Sein Vorhaben bringt uns einige Künstler aus dem Kosovo für eine Weile nach Gleisdorf: „Contrasts and Perspectives: Kosovo at Gleisdorf“.

Einer davon, Naim Spahiu, war im Jahr 2008 schon einmal hier: [link] Eindrucksvolle Tage. Da Bauers Gäste albanische Kosovaren sind, sollten wir ja nicht Kosovo, sondern Kosova sagen. Aber solche Details kommen in unserer österreichischen Wahrnehmung nicht zum Tragen.

Mehr noch, seit den Kriegen, in denen Jugoslawien versenkt wurde, ist das Kosovo eigentlich bei uns nur als Failed State zum Thema geworden. Das reicht so bis in die Gegenwart.

Ich meine eine Gegenwart, in welcher der wohlhabende Teil Europas seit knapp zweihundert Jahren noch immer nicht verstehen will, daß ein verarmter Süden, der nicht in der Industrialisierung reich werden konnte, Teil unserer Völkergemeinschaft und Kultur ist, was auch eine gemeinsame wie wechselseitige Verantwortung bedeutet.

Das werden wir Kulturschaffende nicht drehen können. Aber wir können mit Kunst- und Kulturschaffenden des Balkans in Kontakt und im Austausch bleiben. Das ist übrigens auch wichtig, weil es ja, im Gegenzug, ein „Lernen vom Balkan“ gibt.

Naim Spahiu (links) und Flurim Zequiri bei einem Meeting in Pristhina

Im Klartext, wir begegnen da Kulturschaffenden einer Postkriegsgesellschaft, die der Sache der Kunst unter strukturellen Bedingungen anhängen, die wir uns gar nicht vorstellen möchten. Das führte bei unseren südlichen Nachbarn zu Erfahrungen und Klarheiten, die kennenzulernen ich für sehr wertvoll halte.

Karl Bauer erarbeitet nun eine Schwerpunktwoche, für die Siegrid Meister, die Kustodin des MiR: Museum im Rathaus, als Kuratorin wirkt. Das Gleidorfer MiR wird Zentrum des Geschehens sein.

Wir werden im Rahmen des Gleisdorfer Kunstsymposions eine „Konferenz in Permanenz“ mit den kosovarischen Gästen haben, bei der wir mit ihnen über ihre Erfahrungen sprechen, wie die Praxis Kunstschaffender im Kosovo heute aussieht und welche Strategien sie entwickelt haben, um ein Leben in der Kunst zu realisieren.

Damit knüpfen wir an Konferenzen des Gleisdorfer Kunstsymposions in den Jahren 2013 und 2014 an, um uns mit Kreativen aus Bosnien und Serbien zu verständigen.

— [Herbst 2015] [Generaldokumentation] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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