Kupo: Was darf die Kunst?

Unser Kulturgeschehen ist mit einigen Klassikern durchwoben, mit so kernigen Sätzen wie: „Ja, die Freiheit der Kunst, aber es gibt gewisse Grenzen.“ Das sind Statements im Rang von: „Das Wasser ist naß.“ Oder: „Der Papst ist katholisch.“ Damit wird im Kulturbereich meist ein Stück Definitionsmacht beansprucht, ohne das begründen zu wollen.

Kerstin Feirers „Fink Big“ ist auf einem Hinterkopf gelandet.

Auf diesen Modus stoße ich vor allem in Kreisen eines gesetzten Bildungsbürgertums, das vor Jahrzehnten sein Ringen um Bildung aufgegeben hat. Wieso muß man sich zu Wort melden, wenn man eigentlich nichts Genaueres zu sagen weiß?

Ich sag ja auch zu niemandem: „Jetzt erkläre ich dir das mit dem Hump in der Visco-Kupplung.“ Dabei hat es mir der Erfinder persönlich erläutert. Aber ich hab’s nicht kapiert. Bliebe noch eine letzte Zuflucht der Schlampigen, deren Konzept vom Copyright her wohl auf meinen Bruder zurückgeht: „Was, das interessiert dich nicht? Na, das werde ich dir jetzt erklären.“

Okay, zurück zum Ernst des Lebens. Eine Arbeitshypothese: „Die Kunst darf alles. Die Kunst muß nichts müssen.“ Sie muß sich folglich auch an keinerlei „gewissen Grenzen“ ausrichten, zumal wir ohnehin nicht wissen, was genau das sei, das Gewisse an derlei Grenzen.

Denkfehler drängen sich auf, wann die Denkansätze hingeschludert wurden. Daß die Kunst alles darf, ist ein polemisch verkürzter Hinweis auf die Idee von der Autonomie der Kunst. Kunst gibt sich selbst die Regeln, nichts und niemand sonst. Das kennen wir mindestens seit der Renaissance und diese Konzeption wurde bis heute nicht revidiert. Also gilt sie.

Wer will, kann das natürlich anfechten, wird dazu aber sein Gründe nennen müssen. Einfach nur fordern, herumbehaupten, das genügt nicht. Dieses Anfechten der Autonomie der Kunst ist dann eindeutig für Fortgeschrittene. Dafür muß man gut gerüstet sen.

Doch die Debatte kann fruchtbar geführt werden, ohne jemanden auszuschließen, wenn wir kurz die Ebene wechseln; besser gesagt: den Fokus etwas verschieben. Die Freiheit der Kunst ist ein Gebot in Denkräumen, aber kein Freibrief für Künstlerinnen und Künstler.

Damit meine ich: wer immer einer Freiheit der Kunst folgt, egal womit, wird sich eventuell Regeln der Gemeinschaft stellen müssen. Konventionen. Auch dem Strafrecht. Es gibt einige Situationen, in denen eine Abwägung verschiedener Rechtsgüter unausweichlich wird.

Niki Passath baut Maschinen, die für ihn Bilder malen. (Darf man das?)

Rechtsgüter können kollidieren. Befugte Organe der Gemeinschaft klären dann, welches der Rechtsgüter höher wiegt und Vorrang bekommt. So wird bei uns wohl jederzeit das Recht auf Unversehrtheit von Körper und Gesundheit die Freiheit der Kunst übersteuern.

Etwas polemisch erklärt: falls ich jemanden aus dem Leben befördere, weil meine künstlerische Arbeit das nahelegt, wird mich die Berufung auf eine Freiheit der Kunst nicht vor Sanktionen bewahren. Unsere Gerichte werden jemandes Recht nicht ermordet zu werden bestimmt höher einstufen.

Derlei heißt in meiner Weltsicht auch, daß ein Rechtsgut nicht entwertet wird, bloß weil unsere Leute in konkreten Situationen ein anderes Rechtsgut höher einschätzen. Man könnte sagen: die Triage von Rechtsgütern ist fundamentaler Bestandteil unserer Rechtskultur. Ich muß dann bloß meine Kunstpraxis entsprechend adaptieren, um nicht im Knast zu landen. Oder ich nehme den Knast in Kauf.

So oder so sagt das nicht zwingend etwas über die Freiheit der Kunst, sondern nur über meine Freiheit als Mitmensch und Akteur. Ergo darf die Kunst alles und muß nichts müssen. Mit uns Kunstschaffenden sieht das anders aus.

Es ist nicht anzunehmen, daß man dabei mit schlampigen Umkehrschlüssen durchkommt. Man wird im Konfliktfall seine Intentionen und sein Konzept sehr genau darlegen und verhandeln müssen.

+) Origami Ninja Association
+) Für eine nächste Kulturpolitik

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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