Kunst und Priesterschaft?

Wie gerne wird erörtert, was „die Aufgabe der Künstler“ sei, um dann Listen zu erstellen, was eine Künstlerin, ein Künstler, der Gesellschaft schuldig wäre.

Freilich kann man seine Zeit mit solchen Polemiken totschlagen und zum Beispiel weitere Listen anfertugen. Was schulden der Staplerfahrer, die Chriurgin, der Bäcker, die Streifenpolizistin etc. der Gesellschaft?

Diese Art der schlampigen Gemeinwesen-Exegese bringt inhaltlich gar nichts. Wir können zur Verständigung ohne weiteres davon ausgehen, für welche ethischen Konzepte wir eintreten und was wir für unethisch halten. Solche Debatten finde ich derzeit meist nur auf irgendwelchen Metaebenen oder auf dem Boulevard.

Ich bin für mehr Trennschärfer. Als Künstler muß der Künstler gar nichts, außer den Aufgaben zu folgen, die sich aus der Befassung mit Kunst ergeben. Freilich ist er auch Staatsbürger und Teil eines konkreten Gemeinwesens, also eine politische und soziale Person. Da haben wir laufenden Klärungsvedarf, was sich daraus an Rechten und Pflichten ableitet,

Sie kennen dieses Bonmot? Wenn jemand seine Rechte fordert, aber seine Verpflichtungen ablehnt, nennen wir das nicht Freiheit, sondern Pubertät. Ist okay. Auch das hat seine Zeit. Ich habe nun Jahrzehnte hinter mir, in denen allerhand Kolleginnen und Kollegen für ein Leben in der Kunst sowas wie einen gesellschaftlichen Sonderstatus gefordert haben. Ich lehne das strikt ab. Mir sind Priesterschaft und Kommissariat, wo sich deren Personal über andere erhebt, gleichenmaßen zuwider.

Ich bevorzuge stattdessen, daß wir laufend neu klären, was unsere Profession sei und welche Bedingungen dafür förderlich sind. Wie jeder Berufsstand sind wir mit Unarten des Marktes konfrontiert, mit Unzulänglichkeien der Politik und nicht zuletzt mit allerhand Tendenzen zum unethischen Verhalten in den eigenen Reihen.

Meine Branche ist für Korruption ebenso anfällig wie jede andere. Das ist nicht einmal eine Frage der großen Geldsummen. Wir werden für unsere Bemühungn in verschiedenen Währungen entlohnt, nicht bloß in Cash, auch in Sozialprestige, Sichtbarkeit, Publikumsquote etc.

Jede dieser Währungen kann den Anlaß zu korruptem Verhalten liefern. Wo dann die Marktlage und die Arbeitsbedingungen beklagt werden, höre ich seit über einem Jahrzehnt die gleiche Forderung: „Fair pay!“ Mir fehlt dabei aber leider die komplementäre Forderung: „Fair play!“

Egal. Meine Branche ist von Antwortvielfalt gleichermaßen gerührt und geschüttelt. Längst ist die Verwaltung stellenweise zu einer erdrückenden Bürokratie geworden. Und ich staune, in welchem Ausmaß sich Leute bei ihrem Selbstverständnis als Teil einer „freien Szene“ mit eben dieser Büokratie arrangiert haben. Wir sind eben die Enkel und Urenkel von Untertanen. Wenns politisch und sozial drauf ankommt, zeigt sich das gelegentlich…

+) Feuilleton

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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