Gleisdorf: Betrachtungen #6

Ich hab es schon notiert: Es muß alles gedacht und gesagt werden dürfen. Ohne Tabu, ohne Einschränkung. Aber es darf nicht alles publiziert, verbreitet, propagiert werden. Das finde ich unverzichtbar, weil das große Thema „Gewalt durch Sprache“ im Zusammenhang mit Massenmedien besonderes Gewicht bekommt.

Zensur ist etwas ganz anderes. Manche ignorieren das. Genau dafür gibt es Gesetze. Damit man jenen Leuten in den Arm fallen kann, die in der Mediennutzung oder im öffentlichen Auftritt Gewalt durch Sprache als Kampfmittel nutzen. (Hören Sie bloß Gernot „Das Genie“ Gauper bei seinen Reden zu, dann kommen wir dem Thema auf die Spur.)

Diesbezügliche Regeln stehen freilich laufend zur Debatte und können revidiert werden. Das wird bloß nicht per Zuruf geschehen, nicht per Protestkundgebung erledigt. Wir haben dafür bewährte Prozeduren. Wir haben dazu Einrichtungen und vor allem: Gewaltentrennung.

Viele Leute, die derzeit in Gleisdorf ein wenig auf den Putz hauen, gönnen sich womöglich eine sehr unscharfe Vorstellung, was „repräsentative Demokratie“ bedeutet. Also rufen sie gerne „Wir sind das Volk!“ Ja, sind wir. Und dieses Volk hat sich einige Regeln gegeben, um Willkür, Faustrecht und Hooligan-Manieren in die Schranken zu weisen.

Gewaltentrennung
In unserer Republik sind drei Bereiche so geordnet und gedacht, daß sie für taugliche Ergebnisse zwar letztlich an einem Strang ziehen mögen, sich dabei aber gegenseitig kontrollieren sollen: Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Verwaltung) und Judikative (Gerichtsbarkeit). Siehe dazu auch: „Ein grundlegendes Prinzip des österreichischen Staates ist die Gewaltenteilung.“ [Link]

Es hat sich bewährt, Medienleute als „Vierte Gewalt“ im Staat zu begreifen, ebenfalls in einer kontrollierenden Funktion. Zum Beispiel Kontrolle im Sinn einer Prüfung des Gehaltes und der Stichhaltigkeit von Aussagen. Bei Gleisdorfer Protestierenden ist das anscheinend nicht gar so beliebt. Daher wohl die Rufe „Lügenpresse“! Ja, das Verfolgen von persönlichen Partikularinteressen wird einfacher, wenn es gelingt, ein Stück kritischer Prüfung abzuschaffen.

So unterstellt zum Beispiel Irmgard B. dem Gleisdorfer Bürgermeister: „Der Diktator lässt grüßen!“, sekundiert von einer vormaligen Wirtin, an deren Theke einst vaterländische Bürgerinnen und Bürger sehr willkommen waren, also nicht gerade die Avantgarde zeitgemäßer Demokratie. Was postet sie? Dies: „Gibt es Demokratie noch???????“

Falls nicht, dürften die beiden Frauen dann solche und andere Meldungen via Massenmedien verbreiten? Wohl kaum! Und einen Politiker öffentlich desavouieren, ohne das belegen zu müssen? Wohl kaum! Zur Erinnerung: die Legislative (Gesetzgebung) „ist die vom Volk gewählte gesetzgebende Gewalt und wird vom Parlament und den Landtagen ausgeübt“.

Wenn einem das aktuelle politische Personal nicht paßt, wie mir etwa an Teilen der ÖVP auch einiges nicht paßt, kann man sich politisch engagieren, kann sogar eine Partei gründen, kann sich in das öffentliche Leben einer Stadt oder eines Landes einbringen, kann öffentlich kritische Diskurse führen und kann vor allem dafür sorgen, daß solches Engagement Kontinuität bekommt.

Die Mühen der Ebene
Früher nannte man das „Die Mühen der Ebene“ oder auch den „langen Marsch durch die Institutionen“. Das macht Arbeit. So geht eben repräsentative Demokratie. Da entscheidet nicht der Mob.

Hab ich diverse Irmgards, Wirtinnen oder auch Gottfried Lagler, Gernot „Das Genie“ Gauper und Konsorten in den letzten zehn, fünfzehn Jahren bei solchen Anstrengungen in Gleisdorf sehen und erleben können? Nein. War ihnen das zu anstrengend? Andere Prioritäten?

Was ich meine, ist lokales oder regionales politisches Engagement, auch gemeinwesenorientierte Arbeit. Die kann ohne weiteres mit persönlichen Interessen, mit individuellen Ambitionen korrespondieren. Das ist normal. So wie ich als Künstler mein Brot verdienen will, eine Wirtin ihr Beisl betreiben und dadurch existieren will, Gottfried bei seinem soziokulturellen Engagement über die Jahre nie vergißt, seine Pizzeria zu promoten… So machen wir das.

Mob oder Mühe?
Sobald sich „Wir sind das Volk!“ auf Straßen zusammenrottet und zum Beispiel völlig wahllos erkennbare Medienleute beschimpft, bedroht, sogar attackiert, wie unzählige YouTube-Videos belegen, darf ich annehmen, in solchen Reihen sind a) Gewaltentrennung und b) kritische Diskurse nicht sonderlich beliebt. Da will jemand sofort seinen oder ihren Willen haben und akzeptiert Gewalttätigkeit als Mittel.

Gut, kann man wollen. Dann stehen wir eben in Opposition zueinander. Ich Laborratte hab mir bisher drei Impfungen abgeholt, bin ganz klar für das Prinzip der Gewaltentrennung und dafür, daß der Staat das Gewaltmonopol verwaltet, während wir Bürgerinnen und Bürger die Demokratie durch Gewaltverzicht würdigen.

Laute Drohung und Geschrei, aber auch „Knüppelfahnen“, ich, der ich kein Pazifist bin, muß es ablehnen, daß der Staat solchen Manieren Raum läßt. Schauen wir, wie sich das in Gleisdorf entwickelt.

Die Liebe
Wenn etwa Gottfried Lagler in einem YouTube-Video von 06:08 Minuten genau acht mal das Wort Liebe erwähnt (und nur zweimal das Wort Pizza), dann möchte ich annehmen: bezüglich Gewaltverzicht sind wir uns einig. (Daß er ein vorzüglicher Koch ist, bestätige ich gerne.) Der Titel des Videos bewirbt übrigens seinen Betrieb: „Figarowirt Gottfried Lagler beim Lichtermarsch in Gleisdorf“. („Lichtermarsch“ ist freilich ein Euphemismus für Doofe! Der Klartext lautet: Protestmarsch.)

Was genau Lagler und seine Leute nun auf der Straße erreichen möchten, auf welche Art sie es erreichen wollen, um auch Rechtssicherheit herzustellen, ist mir bisher noch nicht klargeworden. Mir fehlt dazu eine Resolution, ein Memo, wenigstens ein Ideenpapier. Ein Zettelchen mit ein paar Notizen wie: „Dies und das sind unsere Themen. Folgendes wollen wir erreichen, wollen wir durchsetzen. Und zwar mit den hier nun genannten Mitteln.“

Ich wüßte auch gerne, mit welcher Legitimation jemand bestehende Reglements anficht und ob es zur erkennbaren „Politik der Gefühle“ auch ein paar pragmatische Vorschläge gibt, die eine Minimalchance auf Umsetzung haben. Um den legendären Dienstmann zu zitieren: „Wie nemmen mia ihm denn?“

Bitte etwas mehr Genauigkeit!
Ich versuche es volkstümlich. Sagen Sie, wer sie sind und was genau sie möchten! Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Gernot „Das Genie“ Gauper stellt sich per Video als „Gleisdorfer Corona-Rebell“ vor, verweist in seiner Internetpräsenz auf ein abgeschlossenes YouTube-Studium und zeigt im Video „Track village (Gleisdorf) – Corona Demo“ wie man effiziente Politik macht.

Was bietet Gauper in den 03:46 Minuten? Ausschließlich seine Selbstdefinition durch Feindmarkierung statt einer Vorführung eigener Kompetenzen. Er macht andere runter, vergibt etwa das Prädikat „Dreckslausbub“, liefert keinerlei verifizierbare Sachinformation, sondern bloß Kolportage („Ich hab gestern mit meiner Exfrau gesprochen…“), hat über sich selbst eigentlich nichts zu sagen, außer daß er Depressionen schiebt. Und: „Entschuldigung, i hob COPD, bin Risikogruppe, trotzdem ohne Maske.“

Ahnen Sie nun, weshalb ich inzwischen prinzipiell Gernot „Das Genie“ Gauper schreibe? Mit dieser Dimension von politischem Talent reicht es allemal, um wo mitzulaufen und zwischendurch fünf Minuten Redezeit zu ergattern. Aber stellen Sie sich vor, der Mann bekäme eine Stunde Redezeit. Man müßte uns alle mit vorgehaltener Knarre zwingen, die volle Stunde lang zuzuhören.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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