Die sollen kämpfen! V

Wer genau soll in Afghanistan kämpfen, um was genau zu erreichen? Nach wessen kulturellem Konzept ist das skizziert worden? Wer tönt so aus den Reihen einer autochthonen westeuropäischen Familie, die es im Durchschnitt kaum noch wo schafft, mehr als zwei Kinder aufzuziehen, also recht wenig Kämpfernaturen hervorbringt?

Das ist ein markanter Punkt! Eine westliche Familie, die es im Schnitt bestenfalls auf einen Sohn bringt, maximal zwei Buben, eine Familie, die sich außerdem Frauen bei der kämpfenden Truppe lieber nicht vorstellen will, pflegt zum Thema Schlachtfeld eine etwas andere Ideologie, als Familien aus agrarischen Gesellschaften, wo fünf, sechs Kinder, die den ersten Geburtstag erleben, keine Ausnahme sind.

Da kann zu Hause (wie einst auch bei uns) bloß einer der Söhne was werden, sobald der Vater stirbt und seinen Platz räumt. Die überzähligen Söhne müssen in jeder Hinsicht kämpfen, um nach oben zu kommen. Ein westliches Europa hat das früher quer durch einige Jahrhunderte gelöst, indem es überzählige Söhne in die Welt entsandte und so zuhause die Unruheherde verminderte.

Europas überzählige Söhne, haben in anderen Teilen der Welt Länder angriffen, ausgetötet, kolonisiert. Das lohnte sich nicht bloß aus innenpolitischen Gründen. Das brachte auch den Zugriff auf nützliche Rohstoffe, mit denen Europa seinen Wohlstand anreichern konnte. (Sehen Sie sich exemplarisch bloß die entsetzliche Geschichte des Kongo an, eines Landes mit Rohstoffen, die uns bis heute nützen.)

Andere Kämpfer
Bäuerliche Gesellschaften bringen demnach andere Kämpfer hervor als Wohlstandsgesellschaften. Rechnen Sie hinzu, was ich den Publizisten Peter Scholl-Latour sagen hörte. Seine profunde Kenntnis von Kriegsgebieten und kriegführenden Parteien ließ ihn betonen, auf acht Soldaten käme bloß ein richtiger Kämpfer. (Siehe Glosse #3!)

Erhaben? Immerhin dürfen unsere Frauen schon allein aus dem Haus gehen, wählen, Verträge unterschreiben und eigenes Geld verdienen.

Wie viel agrarische Welt umgibt uns global, während wir Kinder eines westliche geprägten Europas die Früchte der mangelnden Verteilungsgerechtigkeit genießen dürfen und uns dabei auch noch über „Primitive“ erhaben fühlen?

Ich hab im Moment keine aktuellen Zahlen zur Hand. Am 10. April 2012 notierte ich (bezüglich Ernährungssouveränität) Choplin, Stricker und Trouvé: „Von weltweit rund 1,33 Milliarden in der Landwirtschat Tätigen arbeiten 1 Milliarde von Hand, 300 Millionen mit Zugtieren und nur 30 Millionen mit Maschinen. Die landwirtschaftliche Arbeitsproduktivität ist in manchen Regionen des Nordens um bis zu 200-mal höher als in südlichen Regionen.“ (Quelle)

Afghanistan
Autor Roger Willemsen hat nach seinen Besuchen Afghanistans bestaunt, wie wenig fruchtbarer Boden dort zu finden sei. Wenn ich staunen möchte, sehe ich mir zusätzlich diese Liste an: „Ethnien in Afghanistan“.

Keine Topographie, die sich mit Infrastruktur bebauen ließe, wie wir das gewohnt sind. Keine Bevölkerung, die sich nach unserem Modell zu einem Staatsvolk bündeln ließe. Keine Zentralregierung, die sich bisher bewährt hätte. Daher auch keine Gewaltenteilung, kein Gewaltmonopol des Staates, keine flächendeckende Rechtssicherheit, die nach unseren kulturellen Gepflogenheiten realisierbar ist.

Wie finden wir das, wenn eine ganze Region sich offenkundig nicht eignet, zu einem modernen, industrialisierten, zentral regierten Nationalstaat zu werden? Genau! Wir nennen das „Mittelalter“? Auch wenn wenigstens die Generation meiner Großeltern eben noch von einer bäuerlichen Welt umgeben war, in der viele Menschen, vor allem Frauen, wie Haustiere gehalten wurden, teils weniger galten als die Nutztiere der Bauern.

Und pardon! Österreich ist seit wann ein souveräner Nationalstaat moderner Prägung? Anno 1919 waren unsere Leute noch nicht so weit. Nach 1946 konnte es was werden. Wohin führt nun dieses Konzept des Nationalstaates, werte Auguren?

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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