Was es wiegt, das hat’s XXVIII: Kollektivvertrag?

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Ich hab mich während der ersten Corona-Phase im Jahr 2020 daran gestoßen, daß mir eine Reihe kulturpolitisch begründeter Plattformen keinerlei neue Überlegungen anboten, die sich diskutieren ließen; als eine erkennbare Reaktion auf den nun offensichtlichen Umbruch, den die Pandemie zwar nicht ausgelöst, aber verdeutlicht hat.

November 2009: IG Kultur-Expertin Gabriele Gerbasits zu Gast in Gleisdorf

Stattdessen kamen mir etliche Leute mit der rund zehn Jahre alten Kampagne „Fair pay“ daher. Die wird nicht wirkmächtiger, wenn man sie aufwärmt. Mir fehlt ein kulturpolitsicher Diskurs, der neue Überlegungen einbezieht, denn in eben diesen zehn Jahren hat sich das, was sehr schlampig „Die Szene“ genannt wird, stellenweise fundamental verändert. Vor allem verändert, weil sich a) die Rahmenbedingungen gewandelt haben, b) nicht aber Politik und Verwaltung.

Daraus ergaben sich in genau diesen zehn Jahren quasi einige Kontinentalverschiebungen, die wir längst hätten beschreiben sollen. Wie soll uns nun ein altes Konzept Strategien liefern, die der neuen Situation gerecht werden? Zur Orientierung ein paar aufschlußreiche Zitate.

IG Kultur auf Facebook (21.8.21)
„Die IG Kultur Österreich fordert seit Jahren eine faire Bezahlung von KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen. Dazu muss das Kulturbudget nachhaltig erhöht werden. Endlich ist die Fair Pay Diskussion bei allen Förderstellen angekommen und bekommt breitere Unterstützung als noch vor der Pandemie. Ob die Kulturabteilungen des Bundes und der Länder den Mut haben werden sich den notwendigen Änderungen in ihren Förderstrukturen zu stellen ist noch nicht ausgemacht. Aber der Weg scheint gerade zu stimmen.“

IG Kultur Steiermark auf Facebook (26.8.21)
„Warum braucht es Fair Pay im Kunst- und Kultursektor so dringend? Warum hat der Bund gerade eine zentrale Rolle, obwohl Kulturpolitik in Österreich ja stark auf Länderebene passiert? Wie schaut es mit dem dem Fair Pay Gap aus- gibt es da eine konkrete Zahl?“

November 2009: Es war ein sehr zähes Debattieren notwendig, damit mur.at einer „Filial-Veranstaltung“ zustimmte, statt alles im Landeszentrum zu konzentrieren.

IG Kultur auf Facebook (27.8.21)
„Kollektivverträge für KünstlerInnen wären dann eine feine Sache, wenn die Verwaltung sich auch in ihren Kunst- und Kulturförderungen an diese hält. Dazu braucht es einen Umbau im System. Offensichtlich scheut man diesen Umbau, denn dann wären sie schon realistisch und schwindelt sich mit ‚gewissen Empfehlungen‘ (die sich wohl vor allem an die Kulturschaffenden richten) daran vorbei. Im Grün-Türkisen Regierungsprogramm ist eine Fair-Pay Strategie als Ziel festgeschrieben. Wir beobachten mit Unmut wie versucht wird, dieses Ziel zu versenken.“

ORF Burgenland am 27.8.21
„Zu Gast war auch Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Sie nahm zur aktuellen Diskussion um Künstlergagen Stellung und bezeichnete dabei einen Kollektivvertrag für Künstler als ‚unrealistisch‘“. [Quelle]

Ich bin extrem skeptisch, ob dieser Debattenansatz etwas taugt, denn die Vorstellung, Künstlerinnen und Künstler sollten mit dem Staat und den veranstaltenden Institutionen in eine Art „Sozialpartnerschaft neu“ eingebunden werden, finde ich sehr beunruhigend.

Vor allem deshalb, weil wir a) die Fehlentwicklungen der „alten Sozialpartnerschaft“ in der Zweiten Republik kennen und weil ich b) in der Steiermark schon geraume Zeit eine Tendenz zum unethischen Verhalten von Kräften der kulturpolitischen Funktionärswelt feststellen muß.

Ich wäre weniger beunruhigt, hätte zum Beispiel die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen neuen Rückenwind erhalten, um darin die spezielle Situation von Kunstschaffenden zu präzisieren. Aber Kollektivverträge?

April 2009, als in Gleisdorf noch Regionalentwicklung und Kulturpolitik debattiert wurden.

Es mangelt mir auch an Informationen, was die Funktionärswelt da gerade verhandelt. Die steirischen IG Vorstandsfrauen Anita Hofer und Michaela Zingerle sind augenscheinlich mit ihren Partikularinteressen befaßt. Daß sie via verfügbare Medienkanäle informieren, wo die Debatte steht und welche Argumente dabei Vorrang haben, kann ich nicht feststellen. Vor allem wüßte ich gerne, wie die Architektur des geforderten „Umbaus im System“ aussehen soll. Doch das erfahre ich nicht.

+) Die Kampagnen-Page der IG Kultur: „Kulturarbeit ist Arbeit und verdient eine faire Entlohnung“

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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