Balkan-Sessions: Gelandet

Die Balkan-Sessions sind in der Steiermark angekommen. Ich habe in meinem eigenen Logbuch schon begonnen, meine Reflexionen einer ganzen Serie von Begegnungen, von Arbeitsgesprächen, darzulegen. Langsam verdichtet sich das alles.

Kulturwissenschafter Günther Marchner

Es war nun sozusagen ein dreistufiger Mittwoch. Der Auftakt im Ordnen der Dinge: Worum geht es derzeit im Kernbereich von „kunst ost“ und „kultur.at“? Dann eine Session mit Kulturwissenschafter Günther Marchner, dessen Kompetenzen dazu führen, laufend tiefer in unsere Angelegenheiten verstrickt zu werden.

Schließlich die ausladende abendliche Konferenz mit unseren Gästen aus Serbien, der Bibliothekarin Aleksandra Trtovac und dem Künstler Selman Trtovac sowie Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov und erneut Günther Marchner.

Wir hatten das aktuelle wie akute Erbe postmodernistischer Schlampereien zu fassen: Es gibt keinen Masterplan und keine große Utopie. Alles geht und alles ist egal.

Das dominiert vor dem verwirrenden Hintergrund europäischer Gesellschaften, die einerseits den Eigennutz fast schon zu einer neuen Religion avancieren ließen, die andrerseits zugleich ein völkisches Konzept von Nationalismus verehren, welches ideologisch betrachtet genau ein Hauptereignis hat: WIR statt die Anderen, worin also das ICH eigentlich nachrangig sein sollte.

Kunsthistorikerin Mirtjana Peitler-Selakov (links) und Bibliothekarin Aleksandra Trtovac

Dadurch wird jedenfalls erahnbar, wie sehr vieles, das uns derzeit ausmacht, vor allem einmla Phrase ist, die ganz beliebige Haltungen erlaubt, welche aber vorzugsweiser als verdeckte Intentionen bestehen.

Das alles geht auf rationale Art nicht schlüssig zusammen. Selbstverständlich gedenken wir, Gegenpositionen zu solchen Verwirrungen auszubauen, zu halten. Aber Trtovac hat eine wichtige Forderung deponiert: „Wir sind Künstler und keine Politiker. Also haben wir uns in einer künstlerischen Sprache auszudrücken.“

Der Schüler von Klaus Rinke, in diesem Zusammenhang auch unter den Konsequenzen des Wirkens von Joseph Beuys vorangekommen, ist in solcher Hinsicht von einiger Strenge. Kunsthistorikerin Peitler-Selakov hat ein berufsbedingtes Hauptinteresse an künstlerischen Strategien und Ausdrucksformen. Ich sehe mich als Pendler zwischen verschiedenen Optionen.

Aleksandra Trtovac ist mit Fragen der „Wissenssicherung“ befaßt, die Marchner auf andere Art beschäftigen. Außerdem ist er an den Möglichkeiten von Prozeßentwicklung interessiert.

Das ist also für uns schon ein sehr gutes Setting a) im Zugang auf den Herbst (Symposion) und b) im Entwickeln von Möglichkeiten der Gemeinwesenorientierten Kulturarbeit, die für uns eben einerseits von künstlerischen Optionen geprägt ist, was, wie Trtovac fordert, auch nach einer Sprache der Kunst verlangt; andrerseits sind wir im Sinn der Eigenständigen Regionalentwicklung sehr daran interessiert, grundlegende Schritte zu erproben, die uns auf neues Terrain führen können.

Dieses Erproben verlangt nach Kontrasten und nach Leuten mit anderen Zugängen, denn was sich bloß an einem einzelnen, bestimmten Ort bewährt, hat so noch wenig Aussagekraft.

Künstler Selman Trtovac (links) und Kulturwissenschafter Günther Marchner

Im derzeitigen Setup haben wir eine sehr vielversprechende Versuchsanordnung. Die Klärung, was nun grundlegende Fragen seien und die Debatte sinnvoller Strategien sowie das Erproben adäquater Praxis führen wir in verschiedenen Projektteile, die allein in dieser Besetzung schon konkret angelegt sind und durch andere Akteurinnen und Akteure des kommenden Kunstsymposions in Gleisdorf noch erweitert, vertieft werden. Es geht um:

a) Regionale „Zentrum-Provinz-Verhältnisse“ wie etwa in der „Kleinregion Gleisdorf“ oder der „Energieregion Weiz-Gleisdorf“, wo sich dominante regionale Städte auf diese und jene Art zu den kleineren Orten verhalten.

b) Auf ein Bundesland bezogene „Zentrum-Provinz-Verhältnisse“ wie etwa zwischen der Landeshauptstadt Graz und der restlichen Steiermark.

c) „Zentrum-Provinz-Verhältnisse“ im Kontext Stadtzentrum und Stadtteil am Beispiel Beograd, bezogen auf den Stadtteil Savamala und das „Pancevo-Ufer“ der Donau, wo das Kollektiv „Treci Beograd“ seiner Utopie ein konkretes Kunsthaus gebaut hat.

d) „Zentrum-Provinz-Verhältnisse“ am Beispiel des Verhältnisses Zentraleuropa-Balkan, also etwa umn das, was Historiker Karl Kaser die „Euro-balkanische Herausforderung“ nennt, so auch der Titel seines Beitrages zu unserem Kunstsymposion.

Damit haben wir eine Arbeitssituation angelegt, die sehr detaillierte Möglichkeiten von lokalen, regionalen und internationalen Schritten vorsieht.

— [Balkan-Sessions] [Das Symposion] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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