Gedichte nach Auschwitz III

Ich hoffe, ich konnte in den vorigen Notizen hinreichend deutlich machen, daß ich zwar die Kunst von anderen Aufgaben als ihren eigenen freigestellt sehen möchte, deshalb aber nicht für eine apolitische Haltung plädiere.

Wie können wir individuell auf das Anwachsen von Gewalttätigkeit reagieren? Empörung, die über Social Media ausgestreut wird, ist eine Ersatzhandlung von geringer Bedeutung. Ich stelle diese Notizen ausdrücklich in den Zusammenhang radikaler Gewaltereignisse der Gegenwart. Damit meine ich nicht nur große Kräftespiele wie den Überfall Rußlands auf die Ukraine und den Überfall der Hamas auf Israel.

Ich meine auch das, was nebenan geschieht, mitten unter uns, wie es sich vor allem in einem hohen Level an Gewalt gegen Kinder und Frauen ausdrückt. Ich meine innerfamiliäre Gewalt in epidemischen Ausmaß. Dazu Femizide, also Morde an Frauen, weil sie Frauen sind und sich in bestimmten Situationen nicht erwartungsgemäß verhalten, kurz: nicht fügsam sind.

Ich schreibe diese Zeilen am Morgen des 25. Novembers 2023, einem weltweiten Tag des Engagements, das Gewalt gegen Frauen eindämmen, abstellen soll. (Daran knüpft sich vom 25. 11. bis zum 10.12. eine themenbezogene Kampagane.)

Zur Klarstellung
Als Künstler suche ich mir Themen und Aufgaben, die ich mit Mitteln der Kunst bearbeite. Dabei habe ich keine Ambition, auf die Gesellschaft einzuwirken. Ich widme mich gewissermaßen der kognitiven Grundlagenarbeit und achte die Autonomie der Kunst.

Zugleich bin ich aber auch Mitmensch und ein Bürger dieses Landes. Ich ziehe es vor, in diesen Zugehörigkeiten ein politisch anwesender Mensch zu sein. Das bedeutet unter anderem, ich nehme an einem öffentlichen Leben teil und bringe mich in öffentliche Diskurse ein.

Dabei nutze ich Kompetenzen, die ich aus der Kunstpraxis bezogen hab. Aber als Künstler will ich von allen anderen Zwecken als jenen der Kunst freigestellt sein. Anders als Mitmensch und Bürger. Da sehe ich mich dem Gemeinwesen verpflichtet und sage betont: Ich bin ein Mann der Demokratie. (In genau dieser Eigenschaft bin ich durchaus streitbar.

Kontraste und das Komplementäre
Wenigstens seit von den Frauenbewegungen her die Überzeugung „Das Private ist politisch“ forciert wurde, sollte die Komplexität dieser Zusammenhänge bewältigbar sein. Ich mag allerdings für das Genre Kunst ein Mindestmaß an Trennschärfe pflegen.

Und zwar, wie etwa in der Wissenschaft die Grundlagenforschung von den angewandten Formen unterschieden wird. Kunstpraxis halte ich für Grundlagenarbeit, soziales und politisches Engagement sind für mich dann angewandte Formen. Meine Kunstpraxis ist im Sinn von Grundlagenarbeit diesen Bereichen nicht verpflichtet. Als Mitmensch und Bürger sehe ich mich sehr wohl in solcher Pflicht.

Um aber nun von mir abzusehen, möchte ich zwei Beispiele aufgreifen, zu denen sich mein aktuelles künstlerisches Vorhaben gleichermaßen in Kontrast und Beziehung setzt. Das kommende Buch „An solchen Tagen“ (Martin Krusche & Richard Mayr) wird in Wahrnehmung des Zustandes der Welt als rein künstlerisches Werk verfaßt.

Kontinuierliche Wissens- und Kulturarbeit: Emina Saric (links) und Mirjana Peitler anno 2010.

Es markiert eine Stelle in einem aktuellen Diskursraum, an der ich mich an zwei versierte Frauen wende. Ich versuche dabei, Kunst, Wissenschaft und praktisches soziales Engagement in deren möglicher Wechselwirkung ins Blickfeld zu bekommen, sie als komplementäre Kräftespiele zu verstehen.

Die aus Serbien stammende Mirjana Peitler befaßt sich als Kunsthistorikerin mit dem Thema Erinnerungskultur und „Mahnmal“. Die aus Bosnien stammende Emina Saric arbeitet als Wissenschafterin zum Thema Gewalt an Frauen und ist als Integrationsexpertin mit praktischer Arbeit an diesem Thema beschäftigt

Das sind grundverschiedene Wege, um auf Gewalterfahrungen und auf aktuell durch Gewalt geprägte Verhältnisse zu reagieren. Aber von beiden Frauen weiß ich, daß unverbrüchlich dem Leben und der Lebensfeude zugewandt sind. [Wird fortgesetzt!]

Übersicht
+) Vorlauf: Teil II
+) An solchen Tagen
++) Raum der Poesie

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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