Gedichte nach Auschwitz II

Ich glaube nicht an „engagierte Kunst“. Ich bleibe gegenüber der Idee von „politischer Kunst“ skeptisch.

Als der „Arabische Frühling“ stattfand, wurde in Graz das Genre „Protestkunst“ proklamiert. Sowas halte ich für Mumpitz. Wo Kunstschaffende die Ambition zeigen, andere Menschen zu belehren, zu erziehen, „aufzuwecken“, sollten wir sehr wachsam sein. Ich habe außerdem einen eher unausrottbaren Verdacht, da geht was schief, wenn Kunstwerke zur Läuterung von Gesellschaften in die Pflicht genommen werden. Das verletzt jene Auffassung von Autonomie von Kunst, die seit der Renaissance noch nicht verworfen wurde.

Ich bin überzeugt, mit so einem Autonomiestatut kann man sich gut gegen jede denkbare Art von Gängelung wappnen, was Kunstschaffende äußerst nötig haben. Wie sehr, das belegen auch Sprachregelungen, die zum Beispiel „frei“ oder „autonome“ Kulturinitiativen bezeichnen, von denen es bloß wenige sind und etliche schlicht staatsnahe Betriebe.

Damit spreche ich mich keineswegs dagegen aus, ein wacher und politisch anwesender Bürger zu sein. Genau daran liegt mir sehr viel. Wie brisant das sein kann, läßt sich im steirischen Kulturbetrieb mit allerhand Beispielen belegen. Problematische Zugriffe seitens Politik und Verwaltung gehören längst zu laufenden Geschehen.

Meine kurioseste Erfahrung in solchen Zusammenhängen machte ich mit einem Ereignis mitten in der Corona-Krise, als meine Existenz überaus fragil und gefährdet war. Da haben eine Landesbedienstete aus der Kulturabteilung und ein Vorstandsmitglied der IG Kultur Steiermark den Anwalt Rainer Beck damit beauftragt, mir für zwei meiner kulturpolitischen Glossen eine Klagedrohung zu übermitteln, was für sich schon sehr teuer geworden ist.

Falls jemand sich bemüht, einen Künstler mundtot zu machen, kann das, muß es aber nicht, ein Werk betreffen. Die Freiheit der Kunst ist nach meiner Auflassung nur die notwendige Freiheit, als Künstler denken, sagen und machen zu können, was man für sein Werk als unabdingbar einschätzt.

Das ist aber keine Freistellung von den Konsequenzen für sein Denken, Sagen und Tun, wenn sich daraus Kollisionen oder Kontroversen ergeben. Die Freiheit der Kunst deckt nur meine kognitiven Prozesse und künstlerischen Handlungen selbst, nicht aber daraus resultierende Folgen in meiner Auseinandersetzung mit der Gesellschaft.

Ich finde solche Trennschärfe und die Klarheit über relevante Kategorien unverzichtbar, wenn ich als Künstler meinen gesellschaftlichen und politischen Status klären möchte. Man mag mir nun Klassiker wie Brecht oder Beuys entgegenhalten, deren Oeuvre ich zwar bemerkenswert finde, aber politisch hätte ich keinem von beiden getraut.

Zurück zu eigentlichen Thema dieser Notizen. Ich hab schon dargelegt, daß ich als Lyriker nun gemeinsam mit Fotograf Richard Mayr ein Buch erarbeite, das ich als eine wichtige Markierung in meinem Denken und in meiner Arbeit verstehe.

Ich habe mich dabei bewußt um eine Idee zeitgemäßer Naturlyrik bemüht, die überwiegend einem Dialog mit Mayr entspringt, der sich seinerseits mit visuellen Mitteln äußert. Es ist gesamt das Echo einer konkreten, sinnlichen Naturerfahrung, steht außerdem in einem größeren Zusammenhang mit der Geschichte Europas.

Dem Philosophen Theodor W. Adorno wird die Ansicht zugeschrieben, nach Auschwitz solle man keine Gedichte mehr verfassen. Er meinte in einem Aufsatz: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ (Aus „Kulturkritik und Gesellschaft“, 1949)

Das ist natürlich kein ethisch begründetes „Lyrik-Verbot“, sondern unter anderem die Einladung, sich darüber Rechenschaft abzulegen, wie man individuell dazu stehen mag, daß man in künstlerischer Praxis mit Ungeheuerlichkeiten konfrontiert werden kann.

Was folgt daraus? Welche Konsequenzen legt das nahe? Wie soll man damit persönlich umgehen? Ich sehe mich diesen Fragen nicht als Künstler, aber als Bürger dieses Landes verpflichtet. Andrerseits stütze ich mich in diesem politischen Engagement sehr wesentlich auch auf Kompetenzen, die ich aus der Kunstpraxis bezogen hab. [Fortsetzung]

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