Die Seele

Ein Satz hat sich schon vor vielen Jahren in meinen Kopf eingenistet und ich weiß nicht mehr: hab ich ihn selbst gedacht oder ist es ein Zitat?

Der Satz lautet: „Nichts schändet die Seele so sehr wie das Töten.“ Falls es ein Zitat ist, würde ich Shakespeare für den Autor halten. (Etwa in „König Lear“ oder „Coriolanus“.) Ich hab allerdings keine passende Stelle gefunden. Inhaltlich würde es auch zu Sophokles passen, stilistisch aber nicht.

Es gibt in meinem Leben zwei Abschnitte, in denen ich Gelegenheit fand mit Menschen zu sprechen, die getötet haben. Ich bin das Kind einer traumatisierten und brutalisierten Gesellschaft, die im Jahr 1956, da ich geboren wurde, noch kaum kollektive Formen gefunden hatte, ihre bitteren Erfahrungen zu bewältigen. Die Spuren der Schlachtfelder waren sehr präsent.

Von den Männern mit Fronterfahrung konnte ich als Teenie hören, was geradezu ein Stereotyp wurde. Sinngemäß: „Ich kann mit denen, die nicht draußen waren, darüber nicht reden. Sie kennen nicht, was ich kenne und würden es nicht verstehen.“

Dazu kommt, daß ich als Kind nicht in der Lage und als Jugendlicher nicht gerüstet gewesen wäre, zu entschlüsseln, was man da erfahren könnte, wenn jemand spricht. Das gestaltete sich völlig anders, als ich auf meinen Balkanreisen in den 2000er Jahren das Gespräch mit Menschen suchte, die mir Auskunft geben konnten. (Wichtige Erfahrungen, um in mir einige Kapitel schließen zu können.)

Es gibt noch einen anderen Satz in meinem Kopf, der ebenso zitatenhaft wirkt, wobei es ohnehin egal ist, aus welcher Quelle er kommt. Dieser Satz lautet: „Wer ein Leben nimmt, ist verloren.“ Ich denke, an diesen Einschätzungen kann nicht gerüttelt werden.

Ethische Konzepte
Jüdische und christliche Ethik sind da gleichermaßen unmißverständlich. Daniel Neumann zitiert das 2. Buch Mose 20,13 mit „Du sollst nicht morden!“ und hält fest: „Mit wenigen klaren Worten wird die zweite Hälfte der zehn göttlichen Verlautbarungen eingeleitet. Dabei verliert die gängige deutsche Formulierung eigentlich schon zu viele Worte. Denn die konsequente Übersetzung des hebräischen Originals lautet: «Morde nicht!» Prägnant, unmissverständlich, eindringlich. Eine kompromisslose Forderung, ein direkter Aufruf, ein eindeutiges Verbot.“ [Quelle]

In einigen Quellen heißt es, laut dem Talmud gelte: „Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte” Das ist allerdings – laut Chajm Guski – kein talmudischer Satz, sondern: „Er steht im babylonischen Talmud Traktat Sanhedrin 37a“ [Quelle]

Dazu fällt mir übrigens der Soziologe Gunnar Heinsohn ein, der in seiner Forschung unter anderem einer staunenswerten Frage nachging: Wann und weshalb wurde im Judentum das Verbot der Kindstötung eingeführt? In einem „ZDF nachtstudio“ von 2011 erzählt er ausführlich, wie es ihm dabei erging: [Link]

Hannes Stein schrieb: „Die Römer töteten ihre neugeborenen Babys. Wir nicht. Das verdanken wir Abraham und dem Judentum.“ Er betont: „Die hebräische Bibel ist keine Kinderliteratur: Inzest, Krieg, Völkermord, erotische Gedichte, Selbstmordattentate, eigentlich wird nichts ausgelassen.“

Stein weiters: „Der Zivilisationsforscher Gunnar Heinsohn hat uns daran erinnert, wie radikal diese Distanzierung vom Menschenopfer ausfiel: Die Juden waren das einzige Volk der Antike, das keine Geburtenkontrolle durch Infantizid praktizierte.“ [Quelle]

Im Quran findet sich die Sure 5: al-Maida (Der Tisch), da heißt es an einer Stelle: „Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (daß es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält.“ [Quelle]

Noch strikter ist „Sessho kindan: Das Verbot Lebewesen zu schädigen oder zu töten.“ Da heißt es: „Im Buddhismus ist das Tötungsverbot die wichtigste Forderung und somit unbedingt einzuhalten. Da man an den Kreislauf der Wiedergeburten und an mehrere Daseinsbereiche glaubt, müssen Tiere geschützt werden, sie könnten immerhin die eigenen Vorfahren sein.“ [Quelle: h?j?-e/Kamigraphie]

Postskriptum
Wer nicht glauben möchte, was ein Schußwechsel in den Gemütern selbst trainierter Soldaten anrichtet (soweit es nicht umfassend brutalisierte Menschen betrifft), mag sich aus der Dokumentation „Restrepo“ ein paar Eindrücke holen: [Link]

+) Episode XXVIII: Seele (Eine Erkundung)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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