Gleisdorf: Betrachtungen #2

Lassen Sie uns politisch werden! Wer eine Bühne betritt und von der Welt gehört werden will, muß etwas zu sagen haben. Inhalte! Inhalte! Inhalte! (Radical Chic ist nicht genug.) Wir sollten uns einander vorstellen. Ich bin Martin Krusche, Künstler. Wer sind Sie?

Sie können mich von mir aus Boomer nennen. Laborratte ist auch okay. Falls Sie mich aber Schlafschaf nennen möchten, werden Sie überrascht sein, wie munter ich gelegentlich sein kann. Und bedenken Sie, ich war noch nie ein Pazifist. Ich bin noch Old School, durch jahrelange Besuche einer Selbsthilfegruppe anonymer Patriarchen verfeinert und zivilisiert.

Vorweg eine kleine Offenlegung
Ich wurde in der steirischen Hackher-Kaserne an den gängigen Infanteriewaffen und am großen Raketenwerfer ausgebildet. (Das Maschinengewehr fand ich am unterhaltsamsten, für das StG war ich nicht genau genug.)

Ich kann mit Messern umgehen und falls es je eine Zombie-Apokalypse geben sollte, werde ich bloß die linke Längskante meines Spatens und seine untere Breitseite mit einem Winkelschleifer scharf machen. Ich halte mich für sehr umgänglich, aber meist werde ich als schwierig eingestuft.

Wäre ich ein Diktator, zum Beispiel in der „Deutlichen Demokratischen Republik Krusche“ (DDRK), dürfte mich niemand einen Diktator nennen. Es gäbe ein Gesetz, das vorschreibt, mich als „Erst-Chef Krusche“ anzusprechen. Bei informellen Situationen wäre „Der Krusche“ gestattet, allerdings „Sie Krusche!“ in jeder Situation verboten.

Es gäbe außerdem zwei Gesetze, die ich von einer eigenen Abteilung überwachen und notfalls verfolgen ließe. Erstens würden Menschen für einen auffallenden Mangel an intellektueller Selbstachtung zu wochenlangem Küchendienst verknackt werden; Geschirr waschen, Mistkübel raustragen, Boden schrubben, solche Sachen.

Zweitens gäbe es für den Mangel an Esprit nach drei fruchtlosen Ermahnungen Knast. Dabei wären jene Leute besonders gefährdet, die unvorbereitet eine Bühne betreten und von dort aus das Publikum mit purer Befindlichkeitsprosa langweilen.

Zur Sache
All das geht mir so durch den Kopf, weil ich mir gestern eineinhalb Stunden Doku-Video über einen Gleisdorfer Demonstrationszug reingepfiffen hab und dabei kein einziges Statement zu hören bekam, das a) auch nur irgendwie elegant formuliert gewesen wäre, das mir b) auch bloß einen einzigen Denkanstoß geboten hätte, welcher mich bewegen könnte, meine vertrauten Ansichten zu überprüfen. (So in der Art: „Da schau her! Darauf wäre ich jetzt selbst nicht gekommen!“)

Was mir zugemutet wurde, schien überwiegend aus einer Phrasendreschmaschine gekurbelt zu sein. Ich hab es an mein Sackl-Department weitergeleitet: „Red‘ es in ein Sackel und stell’s mir vor die Tür!“

Immerhin fand ich es ein wenig ergreifend, daß sich eine Rednerin unüberhörbar danach verzehrte, a) auf dem Wiener Heldenplatz zu reüssieren, b) Österreich anzuregen, übrige Länder zu inspirieren, zum Beispiel Deutschland (möglichst den ganzen Kontinent), und c) Geschichte zu schreiben. (Ge-schich-te-schrei-ben!) So daß vielleicht nach vierhundert Jahren jemand sagt: „Sieh an, was die für eine lustige Jacke hatte! Lauter so Sachen drangeheftet.“

Da hab ich mich gefragt: „Wann kommt der Bus mit den Leuten, die das interessiert?“ Ich sag so: a) der Wiener Heldenplatz! Dieser historische bedeutenden Location muß man gewachsen sein. Inhaltich und formatmäßig. Aber ich fürchte, dafür reicht es jetzt noch nicht. (Selbstüberschätzung ist sicher auch eine Art von Wertschätzung.)

Und b) andere Länder inspirieren, vor allem Deutschland, das triggert ein wenig jenes geschichtlich begründete Minderwertigkeitsgefühl österreichischer Kräfte, das vermutlich mit der „Kleindeutschen Lösung“ zu tun hat. Sie erinnern sich? 1848, als Österreich einmal mehr bewies: hier gibt es kein Talent zur Revolution.

Einsame Helden
Herr Hace Strache persönlich hatte mir in einem Gespräch auf der Gleisdorfer Rossini-Terrasse einst erzählt, die FPÖ sei ja revolutionär begründet und eigentlich links, wobei er Hans Kudlich erwähnte, der aber – räusper, hüstel – kein so richtiger Ösi war und seine „Bauernbefreierei“ weit mehr historischer Zufall als revolutionäre Leistung.

Bei uns richten sich eben viele die Geschichte wie es gerade nützlich erscheint, was mich zu Punkt c) bringt: Geschichte schreiben. Und nicht weniger! Donnerwetter! Hitler hatte es mit der „Vorsehung“, an die er sich gerne ranschmiß, dieser Begriff ist verbrannt. Also: Die Geschichte! (Historie!) Das Patriarchat nervt nun schon eine Ewigkeit und drei Tagen mit folgendem Motiv: Einsam wirft sich der Held ins Rad der Geschichte und ändert den Lauf der Welt.

Meine Geschichts-Stunde mit Hace Strache im August 2006

Solche Blödsinne sollten wir langsam abgearbeitet haben. Nun steht da jedoch eine junge Frau auf der Bühne und haut genau so eine Meldung raus.

Gut! Geschenkt! Für ein Stückchen Farce sollte immer wo Platz sein. Und wenn es der Heldenplatz sein muß, aber auch der Gleisdorfer Kirchriegel ist okay. (Ich wollte jetzt bezüglich Geschichte und Farce eigentlich Karl Marx zitieren, aber dann ärgert sich der Wolfgang Weber. Das muß ja nicht sein!)

Ich komm zu einem markanten Momentchen jenes Abends zurück. „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“ wurde in Gleisdorf mehrfach gerufen. Daher meine erste Frage: Ethnos oder Demos? (Wenn Du jetzt googlen mußt, Herzchen, verschwinde von der Bühne!)

Geht es also um die Ethnie oder um das Staatsvolk? Wen und was meint ihr? Woher wißt Ihr, daß Ihr „Das Volk“ seid? Welche Legitimation liegt dafür vor? Ab wie vielen Leuten gilt das?

Würde ich nun zufällig neben dem Gernot „Das Genie“ Gauper stehen, käme von mir spontan: „Nö! Auf keinen Fall bin ich Volk von seinem Volk. Der ist mir mit seinen ewig gleichen Phrasen und seiner bebenden Selbstergriffenheit viel zu langweilig. Entweder haben ihn irgendwelche Aliens im Vorbeifliegen aus dem Frachtraum verloren oder das ist mit mir geschehen.“

Ach, jetzt weiß ich es wieder! Ich wurde ja ein in einer illegalen nordkoreanischen Fahrradwerkstatt aus Schrott-Teilen roh zusammengetackert, rausgeschmuggelt, auf Kuba verfeinert und per Impfung optimiert, schließlich über das Kosovo, Serbien, Kroatien und Slowenien in das Übermurgebiet (Prekmurje) verbracht und dort heimlich über die Grenze nach Österreich geschleust.

Was auch immer ich bin, mußtmaßlich ein Cyborg mit rudimentären Serbischkenntnissen, „Das Volk“ bin ich nicht! (Sträubt sich mein Nackenhaar, erkennt man am Haaransatz eine verblaßte Schrift: „Rossumovi Univerzální Roboti“.)

Riten und Rituale
Das mit der „heiligen Zeremonie“, mit Energie, den Bergen und diesem „I waß net, irgendwos wer ma mochn“ hab ich natürlich sofort als buddhistisches Koan entschlüsselt. Eine strenge Übung, sich von den Fesseln des rationalen Denkens zu befreien und neue Zugänge zu ganz anderen Zuständen zu eröffnen.

Wenn ich hier schon Richtung Transzendenz schlittere, das mit dem „theologischen Beweis“, der mir von einem jungen Mann so lala und ungefähr in den Raum gehängt wurde, eigentlich wußte er bloß „Offenbarung Johannes 13“ zu sagen, aber nichts Genaueres, das klang nach einer ernsten Angelegenheit. Mit der Offenbarung Johannes, auch Apokalypse genannt, ist ja nicht zu spaßen.

Der Text stammt höchstwahrscheinlich aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Wenn die also damals schon bescheid wußten, was uns heute blüht, dann… Nein. Wahrscheinlich doch nicht. Adelheid Berger kommentierte: „Mit der Offenbarung des Johannes was auch immer zu argumentieren („ankündigen“), halte ich als Theologin für grob fahrlässig.“

Aber möglicherweise hat der junge Mann auf dem Kirchriegel Quellen an der Hand, von denen wir nichts wissen. Berger resolut: „Die Bibelwissenschaften forschen zu den alten Texten und diesen Ergebnissen fühle ich mich verpflichtet.“

Naja, die Wissenschaften. Quellenstudium, Texte vergleichen, kritische Diskurse führen, Dissens ertragen, jede scheinbare Gewißheit erneut prüfen und ihre Falsifizierung für möglich halten, wo kommt man denn da hin? Jedenfalls nicht auf den Kirchriegel, um da ein paar klare Ansagen rauszuhauen.

Lechts und rinks
Lassen Sie mich nicht auf das Stichwort „Nazikeule“ vergessen. Die wird gerne behauptet, wenn man sich Argumenten nicht stellen will. Von allerhand ömpörten Leuten habe ich schon gehört: „Aber ich bin doch kein Nazi!“ Na, eh nicht! Und wenn Du es wärst, könntest Du es nicht sagen, ohne eine Anzeige wegen Wiederbetätigung zu kassieren. Also tu ma das mit Nazi beiseite.

Erstens hat es die Neue Rechte eigentlich gar nicht nötig, eine Nazi-Nummer abzuziehen, um den Herrenmenschen rauszuhängen. (Das hat sich seit ungefähr den 1980ern erledigt.) Zweitens wird in der Hitze oft allerhand gesagt, was zwar die Nazi kreiert oder wenigstens verfeinert haben, doch das belegt noch nicht, daß jemand ein Nazi ist. Es kann auch eine Art partielle Bewußtlosigkeit sein, ein Nichtwissen um die Themen, Diskurse und Sprachformen jener Tyrannei.

Macht nichts! da werden wir die Verständigung schon noch hinkriegen. Zu dem Thema Identitäre komme ich auch beizeiten. Später. Meine Glossen werden eh allerweil zu lang. Aber hier sei noch festgestellt: Wer Österreich retten und vor Unfreiheit bewahren will, sollte das Land und seine Geschichte kennen. Wer für „Das Volk“ zu sprechen meint, sollte dieses (Staats-) Volk und seine Geschichte kennen. Darüber haben wir noch zu reden.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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