Es beuyselt wieder!

Jetzt kommt wieder jener Teil der Sommerzeit, da phantasielose City-Managements ihr Publikum mit kleinen Konzerten verwöhnen, in denen Mittelschullehrer, die noch ein paar Jahre bis zur Pension haben, sich mit Woodstock assoziieren oder als „Coverband“ dilettieren.

Dabei wird dann das große Songbook meiner Jugendtage gewürgt, um Nummern, von denen ich jede Nuance im Ohr hab, öffentlich hinzurichten. Eine andere Merkwürdigkeit, mit der sich die neue Bourgeoisie derzeit wieder stärker hervortut, ist das Beuyseln.

Beuyseln ist der flüchtige Hinweis auf Joseph Beuys, wenn man an Gegenwartskunst eigentlich kein bis wenig Interesse hat, aber auf diesem Feld gerade ein Budget zu holen ist. Die schärfere Version zeigt sich, wenn jemand aus dem Kunstvölkchen Beuys schlampig verwertet, weil das gerade marktfähig erscheint.

Da wird der dann eventuell zum „Rebellen“ hochstilisiert und/oder bekommt noch ins Grab hinein die Einladung: „Sei unsere Greta!“ Beuys erscheint und als Geist und zeigt sich als Klimaaktivist. Man macht sich eventuell komplett zur Omi und fragt erregt: „Was würde Beuys heute tun?“

Ich sag es Ihnen: das ist völlig schnurz, denn Beuys ist tot. Wir haben längst andere Referenzpunkte. Ich denke außerdem nicht, daß er ein Rebell war. Das anzunehmen ist Radical Chic der Bourgeoisie. Er war ein traumatisierter Kriegsteilnehmer mit dem Geschick zur Selbstinszenierung. Er war ein einprägsamer Künstler, der es auch verstand den Markt zu bedienen.

Er war ein leistungsfähiger Denker, der uns sehr anregende Debatten hinterließ. Das genügt doch! Da muß man ihn jetzt nicht aus der Grube zerren und fragen: „Was würde Beuys heute tun?“ Außer man hat selbst keine Ideen. Die Frage lautet ja: „Was werden wir heute tun?“

Wenn man aber stattdessen beuyselt, ergibt sich der Vorteil, daß man für jenes Personal aus Politik und Verwaltung andockfähig wird, das seinerseits keine Unruhe und kein Herumirren auf der Höhe der Zeit wünscht. Beuyseln ist der Musikantenstadel eines soziokulturellen Kameradschaftsbundes.

— [Die neue Bourgeoisie] —

„da beschloss ich, künstler zu werden“… (graphik: heinz payer)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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