Redaktionshoheit und Zensur

Oh! Meine Kiste kann Moiree! Das dachte ich auf Anhieb. Die Seite ist weg. Erst vermutete ich eine technische Panne. Dann bekam ich Post vom Chefredakteur. „Rumpelstilz und die Antisemitin“ war übrigens auf der Plattform nicht gelöscht, sondern bloß auf „Entwurf“ gestellt worden. Das halte ich für einen akzeptablen Schritt.

Nein, das ist kein Fall von Zensur! Dieser Begriff wird heute ebenso gerne und leichtfertig ausgestreut wie zum Beispiel das Wort Faschismus. Ich mag bloß dann von Zensur reden, wenn ein hinreichend wirkmächtiger Apparat meine Meinungsäußerungen systematisch blockieren kann, mich dabei womöglich auch noch unter Strafandrohung stellt. Wenn aber ein einzelner Herausgeber einen Text ablehnt, vertritt er bloß seine Interessen. Das ist ein anderer Umstand und legitim.

Wie erwähnt, der Text wurde auf der kommerziellen Plattform nicht gelöscht, sondern erst einmal nur von der Bühne genommen. Der Chefredakteur setzte sich mit mir in Verbindung und schrieb: „Jetzt verstehe ich natürlich den Hintergrund und die Intention – allerdings ist es schon ein sehr harter persönlicher Angriff auf einen Kollegen. Ich bitte daher um dein Verständnis, dass wir ihn nicht auf unserer Plattform veröffentlichen wollen, bin aber natürlich für Rückfragen erreichbar.“

Meine Antwort endete mit: „ich akzeptiere deine entscheidung im sinn von: dein haus, deine regeln.“ Ich will das erläutern.

Mein Text ist medienrechtlich nicht anfechtbar, weil sauber recherchiert. Was ich an Kritik äußere, ist an Zitaten festgemacht, deren Quellen genannt sind. Es dürfte auch nicht möglich sein, mir Rufschädigung nachzuweisen, denn meine Kritik ist begründet und vermutlich kaum anfechtbar.

Der Chefredakteur hätte die Freiheit gehabt, im Rahmen seiner Zuständigkeit meinen Artikel einfach wegzuräumen. Das hat er nicht gemacht. Er hat einen Kommunikationsakt gesetzt. Ich respektiere seine Redaktionshoheit. Er ist mir nicht verpflichtet und es ist seine Aufgabe, die vom Herausgeber festgelegte Blattlinie zu betreuen, ganz unabhängig davon, ob mir das gefällt.

Ich mache diese Episode deshalb publik, weil ich es sehr ärgerlich finde, wie gerne derzeit Menschen ohne erkennbare Medienkompetenzen sofort „Zensur!“ schreien, wenn sie sich nicht gehört fühlen, obwohl Zensur wahrlich etwas anderes ist, was uns von Metternich bis Goebbels geläufig sein sollte.

Mehr noch, mein Text handelt ja von einer Kritik am oststeirischen Publizisten Hari Lamm, dem ich vorhalte, daß er quasi per Guerilla-Marketing für sich wirbt, indem er das Bestehen von Zensur unterstellt und sich als Lieferant des Unzensierten in Pose wirft. Dabei bietet er bloß Fremdinhalte an, die ja offenkundig nicht zensuriert wurden, denn sonst hätte er sie nicht posten können, weil sie nicht auffindbar wären.

Daher bleibt festzustellen, daß mein Text zwar aus einem Medienkanal als unerwünscht entfernt wurde, aber keiner Zensur unterliegt, da es mir freisteht, ihn weiterhin zu publizieren; was zum Beispiel hier, bei Kunst Ost, geschehen ist.

Wir befinden uns in einer weltweiten Krise, die möglichst nicht zur weltweiten Katastrophe werden soll. Dazu ist ein sorgsamer Umgang mit den Begriffen nötig, damit wir wissen, wovon wir reden.

— [Rumpelstilz und die Antisemitin] —

P.S.:
Und was bedeutet „Meine Kiste kann Moiree“? Als ich noch mit Offset-Druck befaßt war, mußten Fotos und allerhand Bildmaterial gerastert werden, um im Druck nicht abzusaufen. War aber die Vorlage, das Original, schon gerastert, entstand dabei in den meisten Fällen ein schillernder optischer Effekt, ein störendes Interferenz-Muster. Der Moiree-Effekt.

Manchmal sehe ich das wieder, wenn ich einen Bildschirminhalt fotografiere. Das macht mich sentimental, denn ich hab dieses Drucken als eine Art magischer Praxis sehr gemocht.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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