Journalismus an die Kette?

Weshalb dieses Politisieren in einer Kulturleiste? Was hat das bei Kunst Ost zu suchen? Politik ist eine Kategorie menschlicher Gemeinschaft, die sich im Wechselspiel zwischen Staatskunst und Gemeinwesen ereignet. Welche Begriffe haben wir von den Dingen und Angelegenheiten? Welche Narrative werden von einem Staatsvolk als relevant angenommen? Das sind vor allem auch kulturelle Agenda. Deshalb!

Es ist definitiv eine spezielle Zeit der Zorns. Das Toben in den sozialen Netzen wurde längst zu einem gewohnten Hintergrundrauschen. Allerdings empfinde ich eine deutliche Klimaverbesserung, wo exponierte Scharfmacher kürzlich ihre Positionen räumen mußten. Ohne das permanente Druckerhöhen von populären Akteuren wie Hace Strache und Herbert Kickl wird der Blick etwas freier auf die erheblichen Erosionen unserer Politik.

In einigen TV-Ereignissen mit Gesprächsrunden politischen Personals, die auf YouTube abrufbar sind, kann man sich ansehen, wie heftig die Funktionärswelt derzeit den „Dienst am Land“ simuliert, dabei um eigene Vorteile ringt und es über weite Strecken kaum schafft, den Opponenten beim Gespräch nicht ständig ins Wort zu fallen.

Dazu kommt diese entsetzliche Unart, bei vielen Journalisten-Fragen die Antworten nach hinten zu schieben und erst einmal ein eigenes Statement rauszuhauen, das einer Werbebotschaft gleichkommt, wobei notfalls auf eine Antwort der gestellten Frage verzichtet wird.

Dazu paßt, was der Presseclub Concordia sowie die Vereinigung der Parlamentsredakteurinnen und Parlamentsredakteure eben in einer Presseaussendung betont haben: „Appell an die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett: Stellen Sie sich den Medien!“

Darin heißt es: „Die Anweisung Bundeskanzlerin Brigitte Bierleins an die Ministerinnen und Minister, Interviews nur in enger Abstimmung mit ihrem Presseteam zu geben und direkten Kontakt zu Journalisten tunlichst zu vermeiden, führt notwendigerweise zu einer intransparenten Regierungspolitik. Im Sinne des für den demokratischen Diskurs notwendigen offenen Informationsflusses dürfen Journalisten nicht davon abgehalten werden, Kontakt zu Regierungsmitgliedern aufzunehmen und ungehindert ihre Recherchen anzustellen.“ [Quelle]

(Quelle: Facebook)

Ich kann mich nicht erinnern, daß ich die Versuche politischer Kräfte, den Journalismus des Landes zu kontrollieren, zu lenken, je so massiv empfunden hätte wie heute. Dazu paßt auch, was der Digitalreport jüngst dargestellt hat.

Es bleibt höchst erstaunlich, daß der vormalige Vizekanzler Strache offenbar nicht aus dem Licht der Öffentlichkeit zurückzutreten gedenkt, nachdem ihm in seinen eigenen Worten nachgewiesen werden konnte, daß seine jahrelangen Behauptungen über Werte und Vaterlandsliebe offenbar pure Lügen waren.

Strache stemmt sich mit einer beeindruckenden Facebook-Präsenz gegen die Evidenz seiner „Gesinnung“ derzeit vor allem via Facebook. Er führt laut des erwähnten Reports bei der Frage „Wie viel Interaktion erhalten die Parteichefs?“ mit insgesamt 51%, Das heißt: „Jede zweite Rückmeldung, die Parteichefs auf Facebook ernten, erzielt die FPÖ. Gewiss auch deshalb, weil ihre Fans sehr aktiv posten – aber wohl auch, weil die Partei von Kritikern ebenfalls Kommentare erntet. Die Statistik zeigt jedenfalls, wie zentral Facebook ist.“

Dabei wird angenommen, daß das auch für die FPÖ selbst ein Problem wurde: „Stärke des Strache-Accounts als Dilemma“. Dazu kommt komplementär: „Bemerkenswert ist auch: Die Volkspartei hat einen vergleichsweise kleinen und wenig interaktionslastigen Partei-Kanal auf Facebook“, woraus zu schließen bleibt: „Die ÖVP auf Facebook besteht aus Sebastian Kurz“. Den Report finden man im Web hier: [link]

Quelle: Facebook

So zeigt sich eine Demokratie nicht gerade auf der Höhe ihrer Möglichkeiten. Es läßt sich kaum leugnen, daß legale  Parteienförderung plus teilweise mutmaßlich illegale Parteienfinanzierung genutzt wurden und werden, um uns zu manipulieren. In all dem würde mich sehr interessieren, ob sich denn dieser Status quo auch als eine Umbruchphase deuten ließe, die uns abverlangt, vertraute politische Konzepte grundsätzlich zu überdenken.

Das Gründungsjahr der SPÖ lautet 1889. Die ÖVP wurde 1945 gegründet. Die FPÖ ging 1955 aus dem VdU hervor. (Dieser Verband der Unabhängigen war 1949 als politische Vertretung ehemaliger NSDAP-Mitglieder etc. formiert worden.) Aus jenen Zeiten und von Menschen in damaligen Verhältnissen wurde das Konzept unserer repräsentativen Demokratie gestaltet in verschiedenen Praxisformen umgesetzt. Warum das ewig so bleiben? Welche Innovationen wären denkbar?

Österreich teilt mit Deutschland die Erfahrung, daß die „alten Volkparteien“ ausnahmslos in größten Problemen stecken. Es mangelt gleichermaßen an Akzeptanz in der Bevölkerung wie auch an praktischen Regierungskompetenzen. Da erscheint es plausibel, daß so enorme Geldsummen in die Öffentlichkeitsarbeit gehen, politische Funktionäre einander dauernd ins Wort fallen und Parteien, aber auch Kräfte der Verwaltung, darum bemüht sind, einen kritische Journalismus an die Kette zu legen. Die Politik wurde in den letzten Jahren sehr wesentlich zu Public Relations.

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Über der krusche

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