2019er Zwischenstand

Am 9. Juni 2013 hieß es: „Im zehnten Jahr: the long distance howl“. Das ist ein Langzeitprojekt mit der Intention Kunstpraxis, kulturpolitische Arbeit und reales Leben so weit wie möglich zu verzahnen. Es hat sich bisher in einem Maß eingelöst, mit dem ich nicht gerechnet hatte. [Quelle]

Ein Detail in der Notiz von damals: „Aus dem ursprünglichen Trägersystem von ‚the long distance howl‘, dem kultur.at: verein für medienkultur, ging das überhaupt erste steirische LEADER-Kulturprojekt hervor: kunst ost. (Energieregion Weiz-Gleisdorf)“

Sie befinden sich hier auf der Website von Kunst Ost. Der Begriff hat sich regional als Marke entfaltet, Kultur.at ist dabei in den Hintergrund getreten. Das reflektiert unter anderem einen medialen Umbruch. In den frühen Jahren des WWW war Online-Zeit teuer. Je nachdem, wo sich der nächste Einwahlknoten befand, kam man beim Telefonanschluß oft nicht mehr mit der Ortsgebühr aus, sondern mußte mit dem Tarif von Ferngesprächen haushalten.

Damals war eine Domain wie kultur.at wertvoll, damit man mit seinen Angeboten leicht gefunden wurde. Heute bringt diese Webadresse für sich noch keine nennenswerten Vorteile. Suchmaschinen und Browser kommunizieren miteinander eigenwillig, während die Online-Zeit annähernd nichts kostet.

2013 hieß es überdies: „Auf kulturpolitischer Ebene mündete das Projekt in den ‚Kulturpakt Gleisdorf‘. Hier wird auf der Höhe der Zeit erprobt, wie Staat, Markt und Zivilgesellschaft kooperieren können; also Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Privatpersonen bzw. private Vereine, wobei das ‚Bottom up-Prinzip‘ als zentrale Grundlage gelten muß.“ Das ist Geschichte.

Einerseits haben Politik und Verwaltung der beiden maßgeblichen Städte des Bezirks, Weiz und Gleisdorf, in den letzten Jahren das Gemeinwesen durchrekrutiert. Kulturelle Basisformationen mit künstlerisch relevanten Konzepten und kulturpolitisch interessanten Positionen gibt es derzeit nicht. Andrerseits haben die Kreativen der Region diesen Prozeß mehrheitlich mitgetragen und diese Entwicklung entsprechend legitimiert.

Das ist ein Stand der Dinge, den man zur Kenntnis nehmen muß. Diese Schwenk ins Unbestimmte, wobei die Kunstwerke hauptsächlich einzelne Kreative repräsentieren sollen, offenbart sich zum Beispiel in etlichen Ausstellungstiteln wie „Ausdruck und Eindruck“, „Farbe und Flamme“, „Farbenrausch“, „Holz und Farbe“, „Olé!“, „Seelenspiele“. Da geht es um nichts anderes als persönliche Befindlichkeiten einzelner Personen.

Konsequente und kontinuierliche Vermittlung relevanter Gegenwartskunst findet man derzeit noch auf dem Weizberg. Aber das ist keine Bottom up-Geschichte, sondern im Kontext der „Weizer Pfingstvision“ das Angebot einer sehr potenten Institution, hinter der die Diözese steht, von einem erfahrenen Kurator umgesetzt.

In meiner Wahrnehmung ereignet sich der generelle Umschwung seit Ende 2010/Anfang 2011. Er hat sich ab Anfang 2015 als Umbruch manifestiert. Das nährt sich aus einem überregionalen Kontext, wobei ich heute in diesem Prozeß zwei internationale Kräftespiele für maßgeblich halte, die in den Fundamenten des Gemeinwesens wirksam geworden sind. Der politische Rechtsruck Europas und die Konsequenzen aus dem Crash der Lehman Brothers.

Der Blick auf diese Entwicklungen wurde über Jahre durch Europas Erfahrungen mit neuen Flüchtlingswellen getrübt. Die öffentlichen Diskurse waren nun lange Zeit von vaterländischen Kräften dominiert, die mit ihren Polemiken und monokausalen Erklärungsmodellen die Debatten okkupieren konnten. Egal, welches Problemfeld in den Diskursen aufgemacht wurde, es fand sich meist jemand, der das ganze sofort auf eine „Flüchtlingsproblematik“ hinbog.

Während dieser Festivals des Simplifizierens haben wir hier in der Provinz, also abseits des Landeszentrums, kulturpolitische Positionen und Auseinandersetzungen aufgegeben. Das Gros kultureller Gestaltung ging in die Hände der Verwaltung zurück, die ihrerseits der jeweils lokalen Politik zuarbeitet.

Darin liegen plausible strategische Entwicklungen, die zwar der Kunst nichts bringen, aber das Gemeinwesen stabilisieren. Welchen Zwecken solche Stabilität dienen kann und wie sich darin Zukunftsfähigkeit abzeichnen soll, bliebe nun zu klären.

— [Dorf 4.0: Stadt-Land] —

P.S.:
In Nischen sind freilich noch Zugänge offen geblieben, die von einer klaren Gemeinwesenorientierung handeln: „Das ergibt in aktueller Praxis ein sinnvolles Zusammenwirken der drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Und damit sind einige Grundlagen des Projektes Dorf 4.0 dargelegt.“ (September 2017)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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