Koexistenz: Kulturgeschichtliche Dimensionen

Was hier vorhin  unter „Brauchtum oder: Alte Infosphäre“ [link] angerissen wurde, hat in unserer Arbeit seit Jahresbeginn einen weitreichenderen Zusammenhang. Am 28. April 2017 ging der Auftakt des Aprilfestival 2017 über die Bühne, wo das Teilprojekt „Die Quest“ seine maßgebliche Markierung für den zweiten Teil bekam.

Ursula Glaeser auf Recherche in Gleisdorf (Finden Sie das Wegkeuz im GEZ!)

Diese Markierung trug den Titel „In der Tiefe Europas“: [link] Zu dieser Kooperation mit Fokus Freiberg paßt eine andere Kooperation; jene mit dem KBS: KulturBüro Stainz. Dabei geht es ein Stück in die Tiefe der Geschichte Europas.

Das erste Zwischenergebnis dieser Zusammenarbeit sahen wir am Nachmittag vor der Fetivaleröffnung durch. Kooperationspartnerin Ursula Glaeser hat den Titel „Koexistenz“ aufgegriffen, weil wir derzeit nicht nur durch Begegnungen mit Flüchtlingen in den Fragen nach unserer Kultur und Identität gefordert sind. Auch innerhalb der heimischen Bevölkerung gibt es deutliche Bruchlinien.

Da scheinen allerhand geteilte Lager zu sein. Kultur und Geschichte des Landes sind Ansatzpunkte für Kontroversen. Ein Beispiel dafür wird durch Polemiken erahnbar, mit denen gebildete Menschen als „abgehoben“ und „elitär“ denunziert werden, während „Bodenständigkeit“ sich heute wodurch ausdrückt?

Andere Bruchlinien bestehen offenbar zwischen jenen Menschen, die sich tatsächlich für Österreichs Geschichte interessieren, und jenen, die bloß einschlägige Begriffe okkupiert haben, ohne dahinter etwas erfahren oder ausdrücken zu wollen zu wollen.

(Quelle: Mössner, Oppeker & Stürmer: „Leitfaden zur Klein- und Flurdenkmal-Datenbank des Projekts „Zeichen unserer Kulturlandschaft“)

Gibt es unter diesen Umständen ein Feld, das nicht so ohne weiteres für polemische Scheingefechte mißbraucht werden kann, wo unsere kulturelle Verfaßtheit sich darstellt?

Um den Stand der Dinge zu durchleuchten, um zu brauchbaren Annahmen zu gelangen, hat Glaeser ein bemerkenswertes Motiv aufgegriffen. Wir erleben alle den öffentlichen Raum von unzähligen Botschaften geflutet. Wegweiser, Werbeschilder, Plakatwände, dazu allerhand Kuriositäten auf Kreisverkehr-Inseln; natürlich auch mit Werbeslogans beklebte Autos, Busse und Lastwagen.

In diesem Ozean junger Kommunikations-Eruptionen machte Glaeser ein außergewöhnliches „Erzählsystem“ dingfest, das uns seit Jahrhunderten umgibt. Dieses alte Codesysteme zur „Beschriftung“ unseres Lebensraumes transportiert einerseits alte religiöse Inhalte, andrerseits aber auch Sozialgeschichte und Regionalgeschichte, ja sogar Trivialitäten.

Die Zeichen und Artefakte kennen Sie freilich. Wegkreuze, Marterln, Kapellen, Statuen, Wandschmuck, Giebelzier und Dachreiter… Wir haben das bei unserer aktuellen Befassung mit Volkskultur erst einmal gar nicht wahrgenommen; vielleicht auch wegen des Fokus’ auf Volkskultur in der technischen Welt. Durch die Stainzer Veranstaltungsreihe der „Walking Conference“ wurde dieser Aspekt dann greifbar.

Am Fuß der Treppe ein sogenannter Breitpfeiler, am Ende der Treppe ein Hochkreuz, auf dem restlichen Weg allerhand religiöse und profane Freiplastiken, bis hin zu einem kuriosen Beispiel für „Kunst im öffentlichen Raum“.

Der Tragarm zeigt das Zunftzeichen der Bäcker.

Im wachsenden Interesse für einen Teil unserer Volkskultur wurde die Klärung der wichtigsten Kategorien von Klein- und Flurdenkmälern wichtig, damit wir brauchbare Ansatzpunkte finden, die Arbeit an der Vergangenheit und an der Zukunft miteinander zu verknüpfen.

Beim heiklen Thema Volkskultur, wo derzeit so große Unschärfen bestehen, wurde unterwegs deutlich, daß wir nun — inhaltlich betrachtet — einen Schatz geborgen haben. Glaeser hat uns ein Teilthema erschlossen, das vor allem eher nicht durch eine touristische Verwertung belastet oder durch Verfälschungen im Dienst einer Ideologie kontaminiert ist.

Man könnte in polemischer Verkürzung zusammenfassen: Jüngst haben uns Wirtschaft und diverse Marketing-Agenturen mit ihrem Informationssturm und Tafel-Wahnsinn für dieses alte kulturelle Mitteilungssystem annähernd blind gemacht.

In der Profanisierung der Welt haben wir verlernt, dieses alte Mediensystem zu lesen und zu verstehen. Dabei ist uns allerdings ein weitgehend gut erhaltenes kulturelles Phänomen aus vergangenen Zeiten erhalten, das nur an einigen Stellen durch schlechte bis mäßig kompetente Restaurierung Schaden genommen hat.

— [Dorf 4.0] [KulturBüro Stainz] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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