Diaspora und Diversität

Es hat gute Gründe, daß wir uns bei Kunst Ost seit einigen Jahren mit Volkskultur und Volkskunde befassen. Wer denkt, damit sei die Musealisierung von Brauchtum gemeint, hat ein paar Jahrzehnte der Debatten und Entwicklungen verschlafen.

Ich habe bei den Volkskundlern ein anregendes Bild gefunden: das Zusammenbrechen der Horizonte. Damit ist Raumüberwindung angedeutet. Mobilität und Kommunikation machen einem die Welt größer. Wanderbewegungen sorgen für Veränderungen in den Verhältnissen und im Genpool.

Es ist völlig naheliegend, daß sich Volkskultur unter solchen Einflüssen laufend verändert. Das hat seine fundamentalen Auswirkungen auf die Kulturpolitik, beziehungsweise auf die Anforderungen, denen Kulturpolitik ausgesetzt wird. Das hat überdies Auswirkungen auf die Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz.

Ich habe hier schon darauf hingewiesen, daß wir uns mit „Handwerk und Volkskultur in der technischen Welt“ befassen. Dem wird im Rahmen des Gleisdorfer Kunstsymposion 2015 ein eigener Round Table gewidmet sein: [link]

Wir hatten kürzlich eine erste Besprechung mit Günther Ludwig vom Referat Volkskultur (Kulturabteilung des Landes Steiermark), um nun eine Themenstellung herauszuarbeiten, in der die verschiedenen Genres fruchtbar verknüpft werden können: [link]

Sie sehen hier einmal mehr unsere Konzentration auf die drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft, die wir in Kooperation erleben wollen. In der Kulturspange haben wir schon jene aktive Basis, die Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft verbindet, in Wechselwirkungen bringt. Und zwar nicht als „Geldbeschaffungsmaschinerie“, sondern inhaltlich begründet: [link]

Günther Ludwig und Sandra Kocuvan (Kulturabteilung des Landes Steiermark)

Die Kulturspange wird von einem primären Quartett getragen, hat darüber hinaus einige assoziierte Kräfte und schließlich anlaßbezogene Kooperationspartnerinnen und -partner.

Ich habe vom Ethnologen Dieter Kramer schon mehrfach Anregungen bezogen. In einer jüngeren Publikation zur Kulturpolitik behandelt er, was wir in der Fokussierung „Mehr Partizipation gegenüber der Konsumation“ sehen. Kramer: „Es genügt in der Krise nicht, Forderungen zu stellen oder zu sagen, was man machen könnte – es gibt viele Vorschläge nach dem Motto man müßte und man sollte. Interessanter ist ein Wechsel der Blickrichtung.“

Derlei Orientierung halte ich vor allem deshalb für dringend nötig, da wir befürchten müssen, daß etwa regionale Kulturpolitik vor aktuellen Anforderungen in die Knie geht und die Kultur stellenweise zur Magd der Wirtschaft macht.

Ich wiederhole und betone: Mehr Partizipation gegenüber der Konsumation! Dazu sollte Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz beitragen.

In solchem Sinn habe ich mich kürzlich mit Helen Wieser besprochen, die aus Auckland (Neuseeland) stammt. Wieser hat eben ein Kulturprojekt initiiert, in dem sie nun mit Menschen auf der Flucht zu arbeiten begann. „Fokus Mitmensch“ ist dem Thema „Communication between Civilisations“ gewidmet und trat beim heurigen „Aprilfestival“ erstmals an die Öffentlichkeit; siehe: [link]

Helen Wieser ("Fokus Mitmensch")

Die Vertreibung durch Schrecken eines Krieges bringen oft Menschen mit besonderen Qualifikationen zu uns, vor allem aber mit einem neuen Blick auf alles, was wir für Selbstverständlich halten. Hier kann sich also eine wache Verständigung als Gewinn für beide Seiten entwickeln.

Zugleich verfolgen wir solche Fragen auf europäischer Ebene, worüber wir gerade mit Sandra Kocuvan von der Kulturabteilung des Landes im neuen Einvernehmen sind. All das ereignet sich nicht im Konjunktiv. Mit dem Teilprojekt „The Track: From Diaspora to Diversities“ gehen wir demnächst näher auf diese Effekte ein: [link]

Wir wollen in einem mehrjährigen Prozeß mehr Klarheit finden, wie das Vertraute neue Möglichkeiten gewinnt, wo Menschen in unsere Mitte kommen, die völlig andere Erfahrungen gemacht haben als wir.

Das ist übrigens kein so junges Interesse. Immerhin war Österreich mehr als ein halbes Jahrtausend lang ein multiethnisches Imperium. Da ist es ganz normal gewesen, daß Fachkräfte aller Art unterwegs waren, ankamen, wo sie gebraucht wurden, und so auch neue volkskulturelle Elemente in ein Gemeinwesen einbrachten.

— [Generaldokumentation] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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