Lyrik #5: Volkes Stimme

Es ist recht erstaunlich, was mir bisher schon als angebliche „Volkskultur“ angedient worden ist.

Darunter ein bemerkenswerte Anteil von Stoffen, die für das Bildungsbürgertum vermutlich von Kräften des Bildungsbürgertums geschönt wurden, vom Schweißgeruch und dem Schmutz unter Fingernägeln befreit.

Das klingt dann zum Beispiel so: „Im Märzen der Bauer / Die Rößlein einspannt / Er pflanzt und er schneidet / Die Bäume im Land / Er ackert, er egget / Er pflüget und sät / Und regt seine Hände / Gar früh und noch spät…“

Das ist nicht bloß sozialgeschichtlicher Mumpitz, sondern auch sehr schwache Gebrauchslyrik. Es wird erst lustig, wenn geistreiche Leute loslegen, die wohl eher keine Auffassung von höfischer oder bürgerlicher Kultur haben, aber ihren Esprit ausleben wollen.

Da kommen dann ungeschminkte Sachen heraus, wie ich sie zum Beispiel im oststeirischen Trautmannsdorf gesehen hab. Diese Art von Klartext finde ich ebenso in unserer Volksmusik, wenn man etwa auf Sammlungen von Gerlinde und Hans Haid achtet, statt den Kitschanteil im „Steirischen Liederbuch“ für Volkskultur zu halten.

Was ich damit eigentlich sagen will, hat zwei Aspekte. Ich bin überzeugt, daß ausnahmslos jeder Mensch spirituelle und kulturelle Bedürfnisse hat, sie gemäß seiner Lebensumstände pflegt. Ich bin ferner überzeugt, daß die Natur Talente blind verstreut. Auch in der Frage bestimmen die Lebensumstände mögliche Wirksamkeit.

Da wird jemand geschätzter Dichter in Nobelpreisnähe, wie Peter Rosegger, wer anderer hinterläßt ein paar Verse auf Grabmälern und mehr konnte draus nicht werden. Es ist eben eine Frage, was man in seinem Leben an Platz dafür findet oder schaffen kann.

Eines der markanten steirischen Beispiele für diesen etwas rohen Ausdruck von Esprit ist nicht so anonym wie die Grabtexte. Der Eiserne Brunnen auf dem Brucker Hauptplatz, für sich Kulturgut, trägt folgende Inschrift: „Ich Hanns Prasser / Trinck Lieber Wein Als Wasser / Trinck Ich das Wasser So Gern als Wein / So Kundt Ich Ein Reicherer Prasser Sein.“

+) Lyrik (Ein Schwerpunkt)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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