Das bildnerische Ergebnis geistiger Arbeit

Das geistige Leben eines Ortes hat eine sehr wesentliche Quelle in jenen Menschen, die emotional und intellektuell über die Alltagsbewältigung hinausgelangen möchten.

Malerin Herta Tinchon (Foto: Monika Lafer)

Solches Verlangen hat dann zum Beispiel in der Kunst spezielle Möglichkeiten, eine Tiefe zu erkunden, die einem meist unzugänglich bleibt, wenn man laufend in andere Pflichten eingebunden ist. Genau das, sich für die Kunst von anderen Pflichten freizumachen, gilt aber in unserer Gesellschaft immer noch vielfach als suspekt; vor allem wenn eine Frau sich solche Möglichkeiten erschließen möchte.

Herta Tinchon blickt auf rund neun Jahrzehnte ihres Lebens zurück, in dem Pflichten einen fixen Platz hatten. Doch was sie als Malerin werden wollte, kam nie zur Ruhe. Für eine junge Frau in der Provinz war es während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher undenkbar, ein Leben in der Kunst zu führen.

Aber das Verlangen danach hat Tinchon nie verworfen. In einem Ringen um die nötigen Freiräume hat sie sich über die Jahre als Malerin von Relevanz manifestiert. Das mein, es geht hier nicht um jene hobbymäßige Pflege künstlerischer Techniken, damit man eine erbauliche Freizeitbeschäftigung hat. Herta Tinchon befaßte und entwickelte sich konsequent mit künstlerischen Aufgabenstellungen.

Herta Tinchon: „Telenovela: Desire“
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Nun entstand im Jahr 2023 diese interessante Situation. Monika Lafer, rund halb so alt wie Tinchon, also aus einer völlig anderen Frauengeneration, ist ebenfalls Malerin, hat inzwischen auch ihren Doktorgrad als Kunsthistorikerin, ist also in der künstlerischen Praxis und auf der Metaebene gleichermaßen zuhause.

Neuerdings gibt es ein Dokument der Verständigung dieser beiden Frauen. Etwa über Blicke auf diese andere Zeit. Zitat: „Die Künstlerin beschreibt das Graz nach dem Zweiten Weltkrieg als einen Ort mit großem Hunger nach Kunst und Kultur. Sie befand sich damals in Ausbildung zur Pädagogin. Sie besuchte in der Landeshauptstadt möglichst viele Ausstellungen und Veranstaltungen…“

Dann eben solche Weichenstellungen: „In der Zeit, als Persönlichkeiten wie Kurt Weber die Moderne von Paris in die Steiermark ‚brachten‘, war Herta Tinchon bereits mit familiären Belangen befasst.“ Das hieß zum Beispiel, auf viele Ausstellungsbesuche zu verzichten, dadurch ästhetische Erfahrungen zu versäumen, und: „So lehnte Herta Tinchon auch Vorschläge wie ‚Schau dir halt Kataloge von Kollegen an, vielleicht ist ja was dabei…‘ entschieden ab, als sie mit ihren Gestaltungsprinzipien rang.“

Lafer notierte an einer Stelle ihrer Reflexion der Begegnungen mit Tinchon: „Es geht um die Übersetzung des Gesehenen, Wahrgenommenen in ein Zeichensystem, das Werkzeug und Ausdrucksmittel zugleich ist. Man sieht das bildnerische Ergebnis geistiger Arbeit.“ Im Detail hier online nachzulesen:

Monika Lafer: „Herta Tinchon“
(Networked Interactive Documents)

+) Herta Tinchon: Home
+) Monika Lafer: NID-Bibliothek

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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