Was es wiegt… #60: Ist Kunst politisch?

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Intrada: Leute! Wie soll ich denn meine laufende Arbeit erledigen, wenn mich dieses ganze Themenpaket so einsaugt und dabei immer mehr von seiner Komplexität aufblättert? Zur Sache: Wenn ich schon beklage, daß wir in der Steiermark seit über 20 Jahren keinen öffentlichen kulturpolitischen Diskurs von Relevanz haben, muß ich nun dranbleiben. Aktuell: Künstlerin Ada Kada und Schauspielerin Beatrix Brunschko haben mir grade einen Ball aufgelegt.

Wer es möchte, bekommt kulturpolitische Debatten. Von links: Die Künstler Selman Trtovac (Beograd) und Martin Krusche mit dem steirischen Kulturamtsleiter Patrick Schnabl.

Als ich kürzlich von unserer „Grazer Session“ heimkam, brachte ich folgendes Fazit mit: „Wir sind die Differenz!“. Das ergab sich unter anderem aus der Tatsache, daß drei Personen am Tisch geimpft waren und zu den Befürwortern der Impfung zählen. Einer war zwar geimpft, aber skeptisch, nannte vor allem soziales Entgegenkommen als seinen Hauptgrund. Zwei blieben ungeimpft und wollen es voraussichtlich bleiben, sind vor allem strikt gegen die Impfpflicht. (Die Grazer Session)

Und die Kunst? In einem aktuellen Statement von Ada Kada (unten im Postskriptum verlinkt) findet sich ein Solidaritätsruf, der zwei spezielle Passagen enthält: eine zur Republik und eine zur Kunst.

+) Ada Kada #1
„Warum spielt ihr immer noch Konzerte für 2G? Warum spielt ihr immer noch Theater für 2G? Warum eröffnet ihr Ausstellungen für die 2G? Wer mit der Regierung marschiert, ist ein Feind der Demokratie, ein Feind des Liberalismus und ein Unterstützer der Diktatur! Warum habt ihr Angst? Was ist das für eine Kunst, die ihr ausübt?“

+) Ada Kada #2
„Kann man das überhaupt als Kunst bezeichnen? Kann man euch überhaupt als Künstler bezeichnen? Die fehlende Stimme der Kunstschaffenden in der derzeitigen Situation ist für mich inakzeptabel! Es ist Feigheit und ein Zeichen von Bequemlichkeit und Egoismus! Brecht würde sich für euch schämen!“

Zu Ada Kada #1
Da haben wir völligen Dissens. Meine Position bezüglich Demokratie ist in „Ich bin ein Mann der Republik“ (Siehe Postskriptum!) dargelegt. Kadas politischen Befund über eine Regierung, die ihrem Staatsvolk einige Pflichten auferlegt, dafür als „Diktatur“ ausgewiesen wird, halte ich für Polemik, die einer genaueren Betrachtung nicht standhält.

Es wäre zu einem anderen Zeitpunkt interessant, mit Ada Kada die Kriterien autoritärer Systeme zu erörtern, da sie ihr Leben bisher in Polen, Spanien und Serbien verbracht hat, bevor sie nach Österreich kann; ausnahmslos Länder, die zur Sache über praktische Erfahrungen verfügen.

Ohne kritische Diskurse kommen wir nicht vom Fleck: Kulturhistorikerin Mirjana Peitler-Selakov und Kulturwissenschafter Matthias Marschik.

Zu Ada Kada #2
Ich kenne diverse Debatten, ob es a) „politische Kunst“ und b) „engagierte Kunst“ gebe, ob überdies die Kunst gegenüber der Gesellschaft mit bestimmten Aufgaben versehen sei. Das sind ideologische Konzepte, wie ja auch jenes Konzept, das ich bevorzuge, ideologisch ist.

Eine der Antworten auf Kadas Statement kam von Schauspielerin Beatrix Brunschko, wobei sie geltend macht: „…und ich bleibe deshalb trotzdem oder gerade deswegen Antifaschistin und Künstlerin und Demokratin und ich…“

In meiner Position ist so eine Klärung gar nicht erst nötig, weil ich an einer Konvention festhalte, die wir seit der Renaissance pflegen. Kunst ist autonom, gibt sich also selbst die Regeln und ist darin keinen anderen Zwecken, die außerhalb der Kunst liegen, verpflichtet. Das, genau das, bedeutet der Begriff Autonomie = das selbstgewählte Gesetz.

Demgemäß kann „politische Kunst“ oder „engagierte Kunst“ nur ein Subthema sein, also der Kunst nachgeordnet, die von Menschen mit konkreten Interessen dabei einen konkreten Kontext und Subtext zugeschrieben bekamen. Das ist eine zweite Ebene, nicht die primäre Ebene der Kunst. Anders gesagt: das sind keine Kategorien der Kunst, sondern soziale und politische Kategorien.

Zum Beispiel
Wäre Arno Breker ein Bildhauer von künstlerischer Relevanz gewesen, hätte er sich in unserer Kunstgeschichte neben Leni Riefenstahl aufstellen können, deren künstlerische Potenz außer Streit steht, deren Distanzlosigkeit zu Hitler ekelhaft war, aber die künstlerische Qualität einiger ihrer Arbeiten nicht schmälert.

Umgekehrt muß ein Kunstwerk nicht politisch legitimiert werden, indem es etwa explizit in den Dienst der Menschenwürde gestellt wird. Kunst ist diesen Kategorien nicht verpflichtet; bei Künstlerinnen und Künstlern sieht das freilich anders aus, da haben solche Fragen Gewicht. Ich unterscheide demnach a) die Kunst, b) das Werk und c) die Kunstschaffenden.

Ich meine, die Bewertung eines Kunstwerkes kann nicht von der politischen Bewertung seiner Urheberinnen und Urheber abhängen. Dann wäre wohl eine ganze Legion von Leuten aus Schauspiel, Literatur, Philosophie, Malerei etc. aus dem Spiel zu nehmen. Aber das sind verschiedene Diskurse zu verschiedenen Fragen.

Was Ada Kada freilich in mehreren Zusammenhängen kritisiert, stört mich auch: energisches Schweigen zu brisanten Themen; etwa zur kulturpolitischen Situation in der Steiermark. Da haben wir Nachholbedarf.

Ich meine, wir sollten das Jahr 2022 für eine Bestandsaufnahme nutzen. Wo steht die Steiermark kulturpolitisch? Welche Optionen stehen zur Debatte? Wo möge die Reise für welchen Teil des Kulturbetriebs hingehen? Im Land und beim Bund stellt man sich solche Fragen ja aktuell.

— [The Long Distance Howl] —

Postskriptum
+) Beatrix Brunschko: Statement
+) Ada Kada: Statement
+) Martin Krusche: Ich bin ein Mann der Republik

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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