Gleisdorf: Betrachtungen #9

Ich hab an einigen Stellen betont, daß ich den Begriff „faschistoid“ für unbrauchbar halte. In etwas polemischer Verkürzung: faschistoid klingt mir wie „ein bißchen schwanger“. Also was nun?

Ich setze als halbwegs bekannt voraus, daß der Wortteil „-oid“ auf Ähnlichkeit verweist. Zum Beispiel: der Humanoid ist menschenähnlich. Der Asteroid ist sternenähnlich. Der Faschistoide ist… genau was?

Ich habe auf meine Glossen hin mehrmals Rückmeldungen bekommen, die besagen: „Ich weiß eh, was ein Faschist ist!“ Das will ich gerne glauben. Nein, ich bin um Höflichkeit bemüht, aber ich glaub es nicht. Ich, zum Beispiel, ich weiß nach all den Jahren der Befassung mit dem Thema nicht ohne weiteres, „was ein Faschist ist“. (Bin ich nicht smart genug?)

Gut, im Alltagsdiskurs ist das schnell dahingesagt und in meinem näheren Umfeld herrscht einiger Konsens, auf welches Themenfeld das Wort hinweist. Das ist auch okay. Aber wenn wir politisch werden wollen… Ich finde neuerdings Belege, daß Rechtsradikale und Neofaschisten lauthals vor dem Faschismus warnen. Listig!

Der Trick ist ja naheliegend. Werde ich in einem Kaufhaus beim Diebstahl erwischt und kann davonrennen, was werde ich tun? Vielleicht das: ich renne und rufe laut: „Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!“ Das könnte klappen.

Ultima ratio
Ich sehe in der Sache folgendes Problem. Der Vorwurf „Du Faschist!“ ist Ultima ratio. Und zwar deshalb, weil unsere Leute in Österreich und Deutschland maximal ausgelotet haben, was an Menschenverachtung, Grausamkeit und Gewalttätigkeit kombinierbar ist, um das in eine Staatsform zu gießen. Unsere Leute waren die Meister des Faschismus‘, haben dessen italienische Erfinder darin in den Schatten gestellt, ohne dafür die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen.

Wer also diesen Vorwurf „Du Faschist!“ erhebt, muß gute Gründe haben, sollte das belegen können, spricht von einer Kategorie der Grausamkeit, hinter der ich keine Steigerung mehr kenne. Das ist aus meiner Sicht einer der Gründe, weshalb sich diese Anschuldigung auch so gut zurückweisen läßt.

Das Problem wird nicht geringer, indem man vorerst einen abgeschwächten Begriff verwendet, der aber eine trüber Kategorie bleibt: faschistoid. Genau das erleichtert die Replik, jemand würde mit der „Nazikeule“ zuschlagen. So kann sich jemand rauswinden, den ich nach meinen Kriterien eventuell als menschenverachtend bezeichnen würde, als gewalttätig etc.

Ich erlaube mir sogar den Vorwurf einer „Herrenmenschen-Art“ für so manche Anmaßung. Wer sich aufgrund biologistischer, nationaler oder anderer ideologischer Konstrukte für überlegen hält, andere als inferior markiert, wer implizit oder ausdrücklich Gewalt empfiehlt, handelt zwar menschenverachtend, aber sowas reicht noch nicht für das Prädikat „Faschist“. (Ich meine, der Zuruf „faschistoid“ erleichtert es derlei Adressatinnen und Adressaten, sich abzuputzen und sich hinter dem Gegenvorwurf „Nazikeule“ zu verschanzen.)

Falls Sie tatsächlich wissen, was einen Faschisten ausmacht, falls Ihnen dafür die Merkmale klar sind und diese auf jemanden zutreffen, dann sagen Sie doch gleich unverholen: „Faschist!“. (Und seien Sie gerüstet, das eventuell vor Gericht zu belegen.)

Neofaschismus
Ich hab für mich entschieden, daß ich den Begriff Faschismus nur auf die historischen Varianten anwende, mit denen ganz konkret Konzentrationslager, Folterkeller und Millionen Tote verknüpft sind. Für Nachkriegsformen und aktuelle Phänomene ziehe ich den Begriff Neofaschismus vor.

Unüberbietbarer Zynismus: Neofaschisten assoziieren sich mit Holocaust-Opfern.

Das Wort hab ich aus Italien übernommen, wo wir heute konkrete politische Formationen sehen können, die das Wort Faschismus öffentlich auf sich beziehen. Man kann dort als erklärter Neofaschist politisch reüssieren.

Ich würde es vorziehen, daß wir aktuell neu klären, was genau wir für Neofaschismus halten, um den Begriff redlich auf österreichische Phänomene anwenden und im öffentlichen Diskurs aussprechen zu können. (Stellen Sie sich vor, ich könnte öffentlich sagen: „Herr K. ist ein Neofaschist“, weil das politologisch geklärt und überdies ausjudiziert wäre.)

Für diese Klärung scheinen mit die von Umberto Eco definierten Merkmale sehr hilfreich. Ich sehe kein Problem, die Wurzeln des Neofaschismus im historischen Faschismus darstellen und belegen zu können. Wer aber in dieser heutigen Debatte gleich zur Ultima ratio („Faschist!“) greift, hat keinen Spielraum mehr.

Um es etwas großspurig zu verdeutlichen, ein Zitat aus der Popularkultur: „If you come for the king best not miss“. Wenn Du auf den König schießen willst, solltest Du ihn besser nicht verfehlen.

+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick

Postskriptum: Einige Details
+) Krusche: Neofaschismus
+) Krusche: Achtsam genutzte Begriffe
+) Krusche: Faschistoid oder wie?
+) Der Vortrag „Ur-Fascism“ von Umberto Eco als PDF-Datei

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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