Gleisdorf: Betrachtungen #8

„Houston, wir haben ein Problem!“ Das kommt ein wenig so wie „Ground control to major Tom!“ (rin David Bowie-Zitat) daher. Ich habe mich Jahrzehnte lang gehütet, in meinem Lebensraum Gleisdorf die Zuschreibung Faschismus auszustreuen. Das hat sich inzwischen geändert.

In seinem Vortrag „Ur-Fascism“ (1995) sagte Umberto Eco: „Wir Kinder beeilten uns, die Patronenhülsen aufzusammeln, wertvolle Gegenstände, aber ich hatte auch gelernt, daß Redefreiheit die Freiheit von Rhetorik bedeutet.“ („We kids hurried to pick up the shells, precious items, but I had also learned that freedom of speech means freedom from rhetoric.“)

Klingen in der Sprache Formen von Gewaltbereitschaft oder Gewalttätigkeit an, werde ich stutzig. Finde ich solche Effekte kleingeredet oder geleugnet, werde ich stutzig. Wer mir mit verdeckten Intentionen begegnet, wird Sprache als Kostümierung nutzen. Ich bin seit rund 50 Jahren Autor, also ein Mann der Sprache. Es sollte schwierig sein, mir in diesen Dingen etwas vorzumachen.

In Gleisdorf ereignen sich keineswegs zum ersten Mal Dinge, die dieses Thema auf den Tisch bringen. Aber inzwischen hat das eine Tiefe, die im öffentlichen Diskurs zur Debatte stehen sollte. Ich bin überrascht, wie viel ich dazu während der letzten Wochen privat und off the record erfahren hab, während es an öffentlichen Äußerungen zur Sache auffallend mangelt.

Sprache ist Handeln
Wenn sich im Gemeinwesen etwas verdeutlicht, wenn in unserem öffentlichen Raum etwas laut wird, das gehört werden will, machen mich gewöhnlich zwei Phänomene sofort wacher: Rhetorik und Euphemismen.

Das Eiserne Kreuz kann man nicht mißverstehen.

Ich brauche niemandem zu erklären, was den Unterschied zwischen natürlichen Gesprächs- und Redeformen gegenüber strategischer Sprücheklopferei (Rhetorik) ist. Das wissen wir alle aus Alltagssituationen ganz gut, aus speziellen Zusammenhängen aber gründlich.

Durch Werbebotschaften jeglicher Art ist uns Rhetorik vertraut. Euphemismus ist dann das möglichst raffinierte Bemänteln, Kostümieren von Worten, die man bewußt milde und freundlich erscheinen lassen möchte, hinter denen sich aber etwas anderes verbirgt. Dazu bietet sich auch das Framing an, wofür eine Botschaft – je nach Zielgruppe – unterschiedlich formuliert wird, um möglichst verläßlich anzukommen und gewünschte Effekte zu erzielen.

Das sind bloß einige der Mittel, die man entdecken kann, wo uns Produzenten oder politische Formationen etwas verkaufen beziehungswiese vermitteln möchten. Die Stadt Gleisdorf hat nun eine Serie von Protestmärschen und Protestkundgebungen erlebt, die für sich schon euphemistisch beworben und auffällig „geframed“ wurden: Lichtermarsch. Spaziergang.

Hört man sich die Protestreden an, dominiert Rhetorik. Parolen und Phrasendrescherei. Es wird viel von Liebe gesprochen und daß die Liebe siegen werde. Worüber und wogegen sie siegen solle, hab ich bisher nicht erfahren. Und genau dieses Süßeln soll etwas bemänteln, kostümieren, was ich für sehr problematisch halte.

Lernen von der SA
Von der SA (SturmAbteilung), diesen Nazibanden, deren Job es vor allem war, unter den eigenen Leuten jene einzuschüchtern, notfalls zu vermöbeln, die sich den bevorzugten Ideen widersetzten, kennen wir den Brauch: eine Zusammenrottung vor den privaten Wohnsitzen diverser Politiker, um diesen Opponenten mit Kerzen und Fackeln heimzuleuchten.

Foto: Christoph Stark

So jüngst geschehen vor dem Haus des Gleisdorfer Bürgermeisters Christoph Stark und seiner Frau. Nur ein Agent der Blödheit kann übersehen haben, wie in den letzten wenigstens 20 Jahren dem etablierten politischen Personal vor allem von rechtsradikaler Seite, aber auch von allerhand Staatsverweigerern und anderen politischen Abenteurern, laut ausgerichtet wurde: „Wir wissen, wo du wohnst!“

Das steht in solcher Tradition. Dazu ein Flugblatt am Schaufenster des Geschäftes von Ulli Stibor-Stark, der Frau des Bürgermeisters. Der Zettel ist nicht bloß im Rang eines Steinwurfes, er ist eine Drohung. Er bietet inhaltlich eine Absage an unser demokratisches System. (Wer diesen Dienst an der Tyrannei nicht als das identifizieren kann, braucht Nachhilfe in Sachen Republik.)

Fragen
+) Was hat man denn einer Ehefrau des Bürgermeisters auszurichten, statt es mit ihm zu klären, wo angeblich ein Ringen um „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ stattfindet?
+) Wo ist der Beleg für die Unterstellung krimineller Machenschaften (Korruption)?
+) Wodurch unterscheidet sich dieses Flugblatt von schäbiger Denunziation?
+) Warum klebt es im Stadtzentrum, auf einer großen Scheibe, die einem Steinwurf nicht standhalten würde?
+) Wer meint, dieser Akt kann nicht als Ausdruck von Gewaltbereitschaft und Drohung gedeutet werden?
+) Wie lautet die Begründung einer Umdeutung dieses Flugblattes in die Abteilung „Liebe wird siegen“?

Hintergründe
Wer über all das hinwegzugehen versucht und diese Vorfälle kleinredet, hat zumindest verdeckte Intentionen. (Lieb dreinschauen und sich blöd stellen schafft diese Zumutung nicht aus der Welt.)

„Wenn ich es nicht gesehen hab, dann ist es auch nicht geschehen!“

Wenn ich dann noch etwas gründlicher recherchiere und feststelle, wer da alles in Gleisdorf neuerdings mitspaziert, mit welchen Inhalten und welchen Personen sich einige der Mitspazierenden assoziiert haben, wird deutlich, daß sich der Neofaschismus in Gleisdorf wohlfühlt. (Ich erläutere diese Zuschreibung „Neofaschismus“ hier noch!)

Wir werden über Merkmale und Kriterien zu reden haben. Momentan herrscht zu diesen Zusammenhängen im öffentlichen Diskurs noch eine gespenstische Stille. Das wird sich ändern lassen.

+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick

Postskriptum: Einige Details
+) Krusche: Neofaschismus
+) Krusche: Achtsam genutzte Begriffe
+) Krusche: Faschistoid oder wie?
+) Der Vortrag „Ur-Fascism“ von Umberto Eco als PDF-Datei

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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