An der Basis wird gearbeitet

Der Lockdown liegt hinter uns. Die Vernissage zu Arbeiten von Chris Scheuer markiert den Ausgang aus diesem Abschnitt. Der Abend wurde außerdem ein Beispiel, wie regionales Kulturgeschehen von der Basis her in die Gänge kommt, nachdem der ganze Kulturbetrieb durch die Pandemie erst einmal in den Graben gefahren ist.

Was es ist: wir müssen reden! (Foto: Kerstin Feirer)

Wir haben’s gemacht. Wir, die wir seit Monaten auf uns gestellt sind, im Ringen um nächste Klarheiten und Möglichkeiten; vor der Kulisse einer Kulturpolitik, die umfassend versagt hat.

Ich mag die prozeßhafte und stellenweise kollektive Wissens- und Kulturarbeit. Manchmal beneide ich mich selbst. Wenn Dinge gelingen, zu denen sehr unterschiedliche Menschen etwas beigetragen haben, bietet mir das eine eigenartige Euphorie. Man weiß vorher nie, wie es laufen wird.

Ein vertrauter Auftakt. Unmittelbar vor einer Veranstaltung, bei der ich einen Part zu liefern habe, fühle ich mich unendlich müde, mag einfach nicht hingehen, würde lieber etwas ganz anderes tun. Das hat sich über die Jahrzehnte nie geändert.

Da ist eine Schwelle, über die man durch Vorbereitung schreitet. Ich hab oft Leute erlebt, die etwas eröffnen, sich für sehr smart und vor allem cool halten, so daß sie – unvorbereitet – einfach nur extemporieren. Ich darf mir dann anhören, wie sie inhaltlich abstürzen, als einzige über ihre Pointen lachen, solche Flausen hinstellen.

Schauspielerin Carola Gartlgruber hat bei der Vernissage einen treffenden Satz gesagt, den ich im aktuellen Logbuch-Eintrag notiert hab: „Wer auf die Bühne geht, muß sich selbst kennen.“

Chris Scheuer (rechts: Kerstin Feirer)

Das handelt von Intensität und von Arbeitszeit. Es geht nicht darum, sich in der Kunst von der Arbeit zu erholen, sein Leben durch ein gediegenes Freizeiterlebnis zu veredeln, Erbauung zu suchen und für all das mit künstlerischen Methoden zu dilettieren.

Verstehen Sie mich recht, dagegen läßt sich keinesfalls etwas einwenden. Das sind soziale Vorgänge, die einem Gemeinwesen guttun. Aber in die Kunst zu gehen ist dann doch ein anderes Vorhaben.

Wenn es mich stört, daß Dilettanten Kunstbegriffe plündern und die Hüllen dieser Begriffe als Dekoration verwerten, sich wie ein Schultertuch umhängen, dann hat das gute Gründe. Ich nenne ein Beispiel.

Wir haben erlebt, wie die bäuerliche Landwirtschaft extrem unter Druck geriet, als die industrielle Landwirtschaft deren Bilder und Begriffe kaperte, um damit ihre Industrieprodukte zu vermarkten. Es wurde zum ökonomischen Albtraum für die bäuerliche Landwirtschaft. Es hat überdies der Kundschaft viel Irritation aufgebürdet.

Wenn also ein Metier das andere plündert, dessen Begriffe und Bilder kapert, gehen auch gleich deren Budgets mit. Da darf jemand, der redlich arbeitet, dann staunend zusehen, wie das eigene Genre annähernd untergeht, während große Players boomen.

Das geschieht natürlich im Kulturbereich auf vergleichbare Art, bloß mit anderen Akteurinnen und Akteuren, in anderen Strukturen. Wenn professionelle Kunstschaffende untergehen, geschieht das erfahrungsgemäß in einem Setting, da man uns die strukturellen Mängel des Landes als ein individuelles Versagen auslegt und aufbürdet. Das ist schlau. Und völlig unakzeptabel.

— [Dokumentation der Vernissage] [Kulturpolitik] —

Post Scriptum
Ich weiß, kurze Hosen gelten für älteren Herren als unpassend. Das kann ich leider nicht berücksichtigen. Meine Konzession: Ich hab die Verwendung weißer Socken kategorisch ausgeschlossen. Was nun mein Verhältnis zu Dresscodes ganz allgemein und speziell zu diesen Schuhen angeht, ist hier notiert: [Link]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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