Meta: Gefieder

Während er in die Hocke geht und die Kamera in Anschlag bringt, versuche ich erst einmal zu sehen, was er da entdeckt hat.

(Foto: Richard Mayr)

Ich erkenne den Vogel nicht bevor er abhebt. Das wäre für den Fotografen natürlich viel zu spät. Ich habe es dann nach einiger Zeit kapiert, Während ich gerade noch lerne, die Landschaft zu lesen, tut Richard Mayr genau das seit Jahrzehnten. Auf mehreren Kontinenten, auf fundamental unterschiedlichen Terrains.

Sein Blick folgt manchmal einem Geländeverlauf in der Natur wie einer Zeile in einem Buch. So stelle ich mir das vor. Das bedeutet, er kann dann auch auf erhebliche Distanz Kleinigkeiten erkennen, die weder angewachsen sind, noch seit längerer Zeit dort herumliegen. Ich sehe die nicht, er nimmt die Kamera ans Auge. (Eine typische Situation, wenn Mayr in Bewegung ist, laufend seine Umgebung scannt.)

Eine andere Möglichkeit ist die gezielte Wahl eines Platzes, an dem er auf seine Chance für das erhoffte Tier, das erhoffte Motiv wartet. Ansitzen. Oder auch bis zum Bauch im Wasser. Oder auf einem Felsbrocken im Sturm. Oder zu Zeiten, wo andere schlafen, irgendwo.

(Foto: Richard Mayr)

So oder so, das läßt dann in wesentlichen Momenten keine Zeit, über die Handhabung des Werkzeugs nachzudenken. Die Handgriffe müssen sitzen, um angemessene Ergebnisse zu bringen. Sonst ist der Moment weg und der Vogel auch. (Das handelt heute überdies von enormen Datenmengen, die anschließend zu bewältigen sind.)

Da man mit der Natur nicht verhandeln kann und fast nichts darin still hält, ist es ohnehin nötig, sich mit ihr auf grundlegend andere Art ins Einvernehmen zu setzen, als mit einer Statue oder einem Palais. Eine Kommunikation auf sinnlicher Ebene. Nicht bloß über das Hören und das Sehen. Auch was einem der Boden mitteilt, wenn man in dieses oder jenes Gelände hineingeht. Was an einen herankommt, was man streift…

Und dann eben diese tausend Arten von Gefieder, von Köpfen, von Gesichtern, auch von Posen. All das, wie es uns umgibt, wie es von nur wenigen gesehen wird, ist ein Stück der Lebendigkeit Europas. Es umgibt uns mit Farben, Linien, Strukturen und Stimmen, die mir manchmal erscheinen, als seien sie von einem anderen Planeten gekommen.

(Foto: Richard Mayr)

Das besagt aber bloß, daß ich meinen Planeten nicht ausreichend kenne. Da kommt nun zur Wirkung, was der Fotograf leistet, indem er mit der Natur auf eine andere Art in Wechselbeziehung, in Kommunikation ist, wie ich.

Was dabei entsteht, ist eine Art der fortlaufenden Erzählung. Das gefiederte Himmelsvolk und die ganze bodennahe Verwandtschaft sind ja bloß ein kleiner Teil all dessen, in das wir hineingeboren wurden. Aus den Gesprächen mit Richard Mayr habe ich den Eindruck gewonnen, vieles, was an seiner Kommunikation mit der Natur stattfindet, ist in einem völlig außersprachlichen Bereich festgemacht.

Eine Kommunikation auf visueller Ebene mit eben den Nuancen und den Möglichkeiten, seinen „Wortschatz“ durch ästhetische Erfahrungen ständig zu erweitern, zu verfeinern, wie das auch mit der menschlichen Sprache möglich ist.

Mir scheint, das kenne ich ähnlich von Leuten, die in der Musik leben. Darin liegt für mich ein spezieller Reiz. Die Zusammenarbeit mit Menschen in der Malerei, in der Fotografie, in der Musik, in anderen Genres bedeutet für mich, auch meine eigenen außersprachlichen Möglichkeiten der Kommunikation ständig zu entwickeln, denn die Sprache habe ich ohnehin laufend in Gebrauch. Aber es geht gelegentlich um das Verstummen, damit andere Klarheiten entstehen können.

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Postskriptum
Wir haben gerade ein NID-Booklet zum Thema in Arbeit, ein Networked Interactive Document. Das finden Sie dann in Mayrs Übersicht in der NID-Bibliothek, wo auch seine persönliche Website verlinkt ist: [Link]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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