D:Demo #42, Kyrill

Wie in der vorangegangenen Glosse avisiert, hier ein paar Zeilen zu Seiner Heiligkeit Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Rußland, der sich bei Putin angebiedert hat. Daß er den Liberalismus des Westens ablehnt und Schwule als Gefahr für die Gesellschaft sieht („Entartung“, „gegen die menschliche Natur“ etc.), kann man an beliebigen Stellen nachlesen.

Patriarch Kyrill I. und Präsident Putin (Press service of the government of Russia, CC BY 4.0)

Publizist Deniz Yücel betrachtet die demonstrative Queerfeindklichkeit und die Zustimmung für Putin als Beitrag zu einer Art der bewaffneten Identitätspolitik. Das ist – nebenbei bemerkt – auch ein fundamentales Anliegen des Faschismus: Selbstdefinition durch Feindmarkierung. Ein verläßlicher Hinweis auf ein schwächelndes Ego, das sich zu Lasten anderer Menschen aufzurichten versucht.

Kyrill meint (laut „Der Spiegel“), „Homosexualität sei Sünde und Selbstzerstörung für ein Volk“. Auch das illustriert, wie schwach hier „Das Völkische“ gesehen wird, wenn es von der sexuellen Orientierung einer Minorität gefährdet werden könnte.

Daß sich Kirchenfürsten mit Tyrannen arrangieren, sich ihnen anbiedern, ihre eigene Teilhabe an der Macht so absichern, ist nicht neu. Es gilt ferner auch bei uns bis heute nicht generell als merkwürdig, daß Priester Waffen segnen. Traditionspflege…

Kleiner Einschub
Wie launig, daß ich eben meine Hausbibliothek neu geordnet habe, weil ich zu aktuellen Themen immer allerhand Bücher greifbar haben muß, und dabei dieser Tage auch zwei Theaterstücke von Rolf Hochhuth in die Hand bekam, um sie abzustauben. Eines davon: „Der Stellvertreter“.

Der Dramatiker bearbeitet darin die Rolle von Papst Pius XII., bezogen auf die Verbrechen der Nationalsozialisten. Dann fand ich auch noch „Die Maßnahme“ von Bert Brecht. Das paßt gerade…

Kyrillisch im 21. Jahrhundert
Ich zitiere die Vatican News: „Der Moskauer Patriarch Kyrill I. stößt mit seiner Haltung zum Ukraine-Krieg auf wachsende Kritik innerhalb der orthodoxen Weltkirche. Der jetzige Konflikt habe „keine physische, sondern eine metaphysische Bedeutung“. Er kolportiert die Propagandainhalte von Putins Regime und dient sich dem System an, wofür er übrigens von anderen orthodoxen Kirchenoberhäuptern kritisiert wird.“ [Quelle]

Das Bildungswerk der Erzdiözese Köln berichtet: “Möge der Herrgott uns allen in dieser schweren Zeit für unser Vaterland helfen, uns zu vereinen, auch um die Staatsorgane herum“, sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag in Moskau in einem Gottesdienst. „Dann wird unser Volk echte Solidarität und die Fähigkeit haben, äußere und innere Feinde abzuwehren und unser Leben so zu gestalten, dass in diesem Leben so viel Gutes, Wahrheit und Liebe wie möglich gibt“, zitiert die Kirche weiter aus Kyrills Predigt. [Quelle]

Es ist eine interessante Entwicklung, zumal die einstige Grenze zwischen Ostblock und Westen in Europa über weiter Strecken mit der alten Grenze zwischen Ostrom und Westrom halbwegs ident war, also auch zwischen Orthodoxie und Lateinertum.

Das hatte weitreichende politische Konsequenzen. Bevor Napoleon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation das Licht ausgemacht hat, war es ganz wesentlich der Papst, von dem Kaiser legitimiert wurden, was mit dem Konzept des „Gottesgnadentums“ zu tun hat. (Gott legitimiert den Monarchen.) Somit hatte das herrschende Kirchenoberhaupt politische Relevanz.

Ganz anders in oströmischen Gefilden, wo das Kirchenoberhaupt sich zu Füßen des Basileus wohlverhalten mußte. Aber wie das so ist mit Priestern, die als Vermittler zwischen verschiedenen Sphären fungieren, auch hier ist Legitimation eine wichtige Funktion, in der sich Kyrill I. offenbar derzeit lieber den weltlichen Machtverhältnissen widmet; die Himmelsmacht möge warten.

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+) Die Betrachtungen im Überblick

Postskriptum
Um einen Referenzpunkt anzuführen, woran religiöse Menschen Maß nehmen, übrigens auch in diversen orthodoxen Kirchen, aus denen zu Kyrill I. kritische Stimmen kamen, hier Barbara Hallensleben, die Direktorin des Zentrums für Studium der Ostkirchen an der Universität Freiburg, zu den Gründen, die Kyrill I. bisher genannt hat:

„Keiner dieser Vorwände darf im Geringsten zur Rechtfertigung eines Krieges verwendet werden, der abgrundtief jeglicher Humanität widerspricht. Hier beginnt ein anderes Kapitel über die Kirchen als prophetische und diakonische Stimme des Friedens und der Nähe Gottes zu den Menschen.“ [Quelle]

PPS
Sie kennen diese hemdsärmelig vorgetragene Schnurre? Wenn alte Männer, die in bestickten Kleidern und prächtigen Umhängen herumrennen, mit dickem Goldschmuck behängt sind und sich in Weihrauch hüllen, gegen Schwule hetzen, kommt man ins Grübeln.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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