D:Demo #39, Evrazija

Setzt man das Puzzle zusammen, auch wenn etliche Steinchen fehlen mögen, wird deutlich, warum in den Reihen der Impfgegnerschaft und sonstiger Unzufriedener auf Gleisdorfs Straßen die Standarte von Präsident Putin plausibel ist.

Alexander Dugin spricht jederzeit Klartext

Was man im Westen Europas als Neue Rechte kennen könnte, hat sich in Putins Umfeld als politische Bewegung „Evrazija“ („Eurasien“) etabliert. Diese Formation wurde 2001 von Alexander Dugin gegründet.

Die „Misterii Evrazii“ („Mysterien Eurasiens“) eignen sich für den irrationalen Teil dieser Bewegung genausogut, wie keltisch und arisch bezeichnete Romantizismen für rechtsextreme Gruppen des Westens. Was unseren Neofaschisten die Arier sind, gelten Dugins Anhängern die Hyperboräer.

Wer auch immer auf Gleisdorfs Straßen berechtigte Kritik dagegen vorbringt, wie österreichische Regierungen und deren Verwaltung mit der Pandemie verfahren sind, unter all diesen Leuten hat sich die Neue Rechte mit verschiedenen Fraktionen breit gemacht.

Wie hängt das zusammen?
Putins Aggression gegen die Ukraine veranschaulicht, wohin dieser Obskurantismus führen kann, wie er sich auf selbstreferentielle Behauptungen stützt, statt sich jenen Fakten zu stellen, die in bewährten Verfahren herausgearbeitet wurden. Bewährte Verfahren, das meint internationale Diskurse, kritische Prüfungen der Statements.

Im Gegensatz zu Rußland und Dugins Gefolgschaft hat Österreich – soweit ich sehe – keine faschistische Intellektuellenbewegung, die an Boden gewinnt. (Noch?) Nun könnte man meinen, bei uns würde auf den boomenden Obskurantismus und die Angriffe auf Fundamente der Republik energisch reagiert werden. In Gleisdorf finde ich davon eher nichts, im öffentlichen Diskurs der Oststeiermark sehe ich keinerlei klare Antworten demokratischer Kräfte.

Unsere Neue Rechte und Rußlands Evrazija haben eine Menge Schnittpunkte. Auch die Anastasia-Bewegung wird im Raum Gleisdorf gewürdigt, fügt sich ins Mosaik. Sowas kann große politische Relevanz bekommen. Etliche russische Intellektuelle lügen über die aktuellen Kriegsgründe bedenkenlos und verbreiten ihre Behauptungen etwa via RIA Novosti.

So Timofey Sergeytsev, der uns Anfang März zur Ukraine wissen ließ: „Die gerechte Bestrafung dieses Teils der Bevölkerung ist nur möglich, wenn er die unvermeidlichen Härten eines gerechten Krieges gegen das NS-System erträgt, der so sorgfältig und umsichtig wie möglich gegenüber Zivilisten geführt wird.“ [Quelle]

Das bedeutet, Gefolgsleute von Dugin und Putin, die umfassende Kriterien des Faschismus erfüllen, ohne dazu ihre Hände aus den Hosentaschen nehmen zu müssen, beschuldigen eine benachbarte Regierung ein faschistische Regime zu sein. Sie rechtfertigen so den Überfall auf die Ukraine. Das wird auch in Gleisdorf begrüßt. Es schöpft aus den selben neofaschistischen Quellen.

Eurasien und wir: Narrative
Ich hab in der Glosse „D:Demo #38, das Heidegger-Ding“ den „Neuen Eurasianismus“ von Alexander Dugin erwähnt, in dem zwar Elemente des Eurasianismus aus den 1920er Jahren verwertet werden, den sachkundige Kommentatoren aber als ein anderes Konzept beschreiben.

Die Grundidee unterscheidet Westeuropa und Mitteleuropa von „Eurasien“. Dugins Evrazija wendet sich von Mitteleuropa und dem Westen ab, zielt offenbar auf gute Nachbarschaft mit China, während Putin in diesem Gefüge das Territorium Rußlands zu vergrößern sucht. Das bringt enorme Unruhe auch in unseren Lebensraum, in unsere Lebensverhältnisse. Im öffentlichen Diskurs finden wir dazu seit wenigstens 20 Jahren den Begriff „Neonationalbolschewismus“.

Das weist sehr weit über alles hinaus, was brave steirische ÖVP-Gefolgsleute zu fürchten wagten, als die Kommunistin Elke Kahr Grazer Bürgermeisterin wurde. Es nimmt gegen die atlantischen Seemächte (USA etc.) Stellung, betont eurasische Landmächte, zu denen wir „Westler“ nicht gezählt werden, und geht dort weiter, wo etwa Historiker Yuval Noah Harari noch im Fragen verharrt.

Grafik: Heinz Payer

Harari erwähnt schon auf der ersten Seite eines Buches „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ (2018), daß die „drei großen Erzählungen“ erledigt seien. Er meint, „die faschistische Erzählung, die kommunistische Erzählung und die liberale Erzählung“ hätten sich erschöpft.

Der Faschismus sei militärisch geschlagen worden, der Kommunismus in sich zusammengebrochen, die liberale Erzählung aber als Narrativ mit der Weltwirtschaftskrise von 2008 ins Wanken gekommen.

Was nun? Harari skizziert erst einmal die Probleme und Aufgaben, Dugin bietet schon eine Lösung an: die „Vierte politische Theorie“. Ein Euphemismus, denn das Konzept ist neofaschistisch, ohne so genannt zu werden.

Das finde ich so interessant an der „Vierten politischen Theorie“. Sie verwertet die alten Narrative Faschismus und Kommunismus, entnimmt daraus, was nützlich erscheint, formuliert die Interessen der faschistischen Intellektuellen von heute neu, ist zu all dem inzwischen Teil einer Kriegsmaschinerie, die ganz Europa erschüttert. Dugin und Putin ergänzen sich offenbar vorzüglich. Der Faschismus hat nicht bloß die Straßen betreten, er steht in Waffen.

Österreichischer Obskurantismus korrespondiert mit dieser ideologischen Mogelpackung, feiert sich unter anderem allwöchentlich auf Gleisdorfs Straßen, ohne daß ich zu Hause bisher klare politische Antworten auf diese Umtriebe finde. Das nenn ich einen Coup!

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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