Was es wiegt, das hat’s XL: Das Simulakrum

(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)

Es ist eines meiner Standardthemen: das Simulakrum. Im Kulturbereich wurde das ab 2014/2015 sehr deutlich erfahrbar. Da gingen allerhand Formationen dazu über, Kulturbudgets zu kapern und einen Kulturbetrieb zu simulieren, um mit den so verfügbaren Ressourcen andere Agenda zu bedienen. Moderat ausgedrückt: derlei erfolgreiche Akquise hat den Betrieb merklich verändert.

Wir kennen in unserer Branche auch Situationen, wo Verwaltungskräfte Programm und Kulturpolitik machen, was nicht zu ihren Aufgaben gehört, denn dazu haben wir primäre Kräfte und politisches Personal. In solchen Fällen wird angemessene Arbeit simuliert, indem man zum Beispiel „Vernetzung“ als Inhalt promotet, wo Vernetzung doch bloß ein Werkzeug ist, um Inhalte und Umsetzung in Resonanz zu bringen.

In meiner Generation ist es schon lange sehr populär, individuelle Partikuklarinteressen als „Szene-Agenda“ zu verkleiden. Von Autor Will Storr stammt der anregende Satz: „We all play the status game, but who are the real winners?“ Status-Spiele. Für Status-Spiele werden – wie schon angedeutet – andere Genres und deren Ressourcen mitunter gekapert.

Wir haben in Europa mehr als zweitausend Jahre Erfahrung mit der Möglichkeit, kritische Diskurse am Laufen zu halten und so unser eigenes Tun zu überprüfen, auch bei anderen Leuten das Verhältnis zwischen ihrem Denken, dem Reden und Tun zu erfragen.

Wer das scheut, wird in der sanften Variante versuchen, einen adäquaten Diskurs zu simulieren und dabei nicht aufzufliegen. Kompetenzerwerb und zunehmende Diskursqualität wären Auswege aus diesem Modus, indem man früher oder später unweigerlich aufgedeckt wird. Das meint: man könnte sich auch kompetenter machen oder eben weiter simulieren.

Unsere Regierung, deren jüngster Kanzler eben unter dem Druck der Vorwürfe unethischen Verhaltens demissionieren mußte, hat uns eine andere Strategie gezeigt. Die wirkt hinter den Kulissen, indem etwa eine Schar von Anwälten unliebsame Journalistinnen und Journalisten mit eine Flut von Schriftstücken übergoß, in denen ihnen Verfahren mit allerhand Streitwert-Summen angekündigt wurden.

Aus „Ende des Gehorsams“ (2011) von Anneliese Rohrer

Vor den Kulissen bewährt sich allemal die Strategie „Flood the zone with shit“. Notfalls lassen sich für spezielle Fälle beide Methoden kombinieren. Das geschah in den letzten Jahren speziell vor auffallend steigenden PR-Budgets staatlicher Stellen.

Wie sehr solche Budgets auch genutzt wurden, um das Wohlverhalten in einzelnen Redaktionen zu belohnen und anderen Redaktionen auf dem Weg einen Wettbewerbsnachteil umzuhängen, ist derzeit Gegenstand von behördlichen Untersuchungen.

Wir sind keine netten Leute
Ich hab hier in etlichen Notizen behauptet, ab 2010 hätte unser Metier im Kielwasser der weltweiten Krisenmomente von 2008/2009 eine zunehmende Klimaverschlechterung erfahren. Ich bin überzeugt, spätestens ab 2015 entfaltete sich in Kreisen des Kulturvölkchens ein zunehmender Verdrängungswettbewerb.

Seither nehmen auch Beispiele unethischen Verhaltens auffallend zu. Wir sind keine netten Leute. Es geht im Kulturbetrieb um sehr viel Geld und Sozialprestige, auch einige andere immaterielle Güter, die von Begehrlichekeiten umlagert sind.

Zeitgleich wurden jene Stimmen und Chöre immer lauter, die „Vernetzung“ und „Solidarität“ als Ausweg aus solchen Umständen proklamieren. Ich kann aber kaum Belege dafür finden, daß derlei praktisch stattfindet; altbewährte Seilschaften ausgenommen, die eine Flagge der Gemeinwesenorientierung vor sich hertragen, um damit von ihrem Fokus auf Partikularinteressen abzulenken.

Warum debattieren wir in unsere Branche diese Dinge nicht? Muß ich annehmen, mir sei eine Mystifikation wiederfahren oder ich würde en Verstand verlieren? Ist alles ganz anders?

— [The Long Distance Howl] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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