Wo ist links, wo rechts?

Mit den politischen Positionslichtern „links“ und „rechts“ ist es wie mit unseren Religionen. Es gibt sehr viele verschiedene Konzepte, die unter der gleichen Flagge stehen. Katholizismus, Judentum, Islam, man kann darüber keine klare Aussage treffen, ohne den näheren Zusammenhang des jeweils Gemeinten darzulegen.

Die Wiener Revolutionäre huldigen Erzherzog Johann, Mai 1848, Ausschnitt einer Lithographie von Karl Lanzadelly. (Ws-KuLa, CC BY-SA 3.0)

Das verhält sich mit politischen Formationen ebenso. Links, rechts oder Mitte, dazu gewinne ich erst Klarheit, wenn ich Referenzpunkte hab, wenn ich über Relationen spreche. Es geht um Beziehungen zwischen verschiedenen Positionen.

Ich setze als bekannt voraus, daß dieses alte Koordinatensystem auf die Zeit der Französischen Revolution zurückgeht. Es ergab sich damals aus der Sitzordnung der Delegierten, wenn die Generalstände zusammenkamen. Rechts der Adel, links das Bürgertum.

Daraus wird schon deutlich, das können wir auf die Gegenwart so nicht übertragen. Zur damaligen Geschichte bleibt eventuell erwähnenswert, daß Erzherzog Johann, der steirische Prinz, im Jahr 1848 zum Reichsverweser der Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde. Ein Gremium, das der deutschen Revolution eine Verfassung gab.

Dabei saßen die Befürworter der alten Ordnung und Anhänger einer gesamtdeutschen Monarchie rechts, die republikanischen Abgeordneten dagegen links. (Bezeichnend, daß Johann von Österreich, der Bruder unseres damaligen Kaisers, dort zu tun hatte, statt in Österreich.)

Im 19. Jahrhundert wird das für unsere aktuelle Betrachtung langsam etwas schlüssiger, wenn man über die Arbeiterbewegungen nachdenkt. Ihre ersten Erfolge galten Themen wie einem verbindlichen Limit, auf daß Kinder in der Fabrik nicht länger als zehn Stunden am Tag arbeiten mußten.

Wesentlichen Kräften dieser Bewegungen war klar, daß gerechte Entlohnung und Bildung unverzichtbar seien, um zu politischer Teilnahme zu führen. Dabei machten Frauenrechte einen speziellen Themenschwerpunkt aus. Aber auch Fragen wie Sicherheit am Arbeitsplatz, medizinische Versorgung und – ganz wichtig – angemessene Ernährung.

Die Eliten jener Zeit hatten nicht adäquat auf die Veränderungen in der anbrechenden Dampfmaschinenmoderne reagiert. Die Verelendung weiter Kreise arbeitender Menschen führte zu sozialen Unruhen.

Liest man den Text der „Internationale“, bekommt man heute noch einen Eindruck, welche Sorgen die Hackler hatten. Dazu kam dieser Aspekt des Internationalen, weil im Gedeihen moderner Nationalstaaten mit leistungsfähiger Verwaltung die Staatsbürgerschaft zu einem ideologisch befrachteten Thema wurde.

Aber die Arbeiterschaft sah, daß sie überall in industrialisierten Ländern im gleichen Elend stünden, weshalb es ihnen auch mißfiel, etwa als Soldaten für Eliten gegen die Arbeiterschaft anderer Nationen in den Krieg zu ziehen.

Was hier „links“ gedacht und gesagt wurde, wollte man „rechts“ keinesfalls akzeptieren. Eine Selbstermächtigung, wie sie damals in jener Hymne gefordert wurde, ist ja bis heute nicht gerade populär. Lied-Zitat: „Es rettet uns kein höh’res Wesen, / kein Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun!“ (Quelle)

Darum tauchte auch im zunehmenden Ringen um politische Möglichkeiten der Vorwurf an die Linke auf, dies seien „vaterlandslose Gesellen“. Die Nutznießer einer ständischen Gesellschaft hatten natürlich kein Interesse an einem politischen Konzept, in dem eine klassenlose Gesellschaft ebenso gefordert wurde wie eine Herrschaft des Volkes, wahlweise sogar Anarchie, daß also überhaupt niemand herrschen solle. [Fortsetzung]

+) Pfeifer im Sturm (Übersicht)
+) Ein Feuilleton (kulturpolitische Beiträge)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.