Howl: Jahr 18, vier

Dreisprung

Hier noch einmal die drei Punkte und ihr Kontext, damit ich das dann in die Ablage schieben kann. Es waren eigentlich unübersehbare Markierungen: 2010, 2015 und 2020 wurden die Strukturen unsres Kulturbetriebs so massiv erschüttert, daß man sich hätte in Träumerei flüchten müssen, um es nicht zu bemerken.

Christian Buchmann, vormals Kulturlandesrat, bei einem meiner Kulturgespräche in Gleisdorf

Nach 2008 (Lehman Brothers etc.) sind so massive Probleme wirksam geworden, daß wir 2010 einen harten Schlag in die Kulturbudgets und in unsere Strukturen erlebt haben. Stichworte: „Doppelbudget & Reformpartnerschaft“. Wer erinnert sich noch? (Und wer hat damals den Schuß nicht gehört?)

„Weiters hielt er fest, dass die Landesregierung bereits proaktiv bei der Erstellung des Doppelbudgets für die Jahre 2009 und 2010 alles unternommen habe, um den Krisensymptomen mit geeigneten Maßnahmen entgegenwirken zu können.“ (Quelle)

Damals war auf politischer Ebene noch Christian Buchmann als Wirtschafts- und Kulturlandesrat unser Gegenüber. Der kam 2017 ins Wanken: „Mich hat der Studiendirektor der Karl-Franzens-Universität informiert, dass mein Promotionsbescheid vom 20. November 2000 aufgehoben wird“, sagte Buchmann damals. (Quelle)

Als er in der Folge sein Amt zurücklegte, verlor die steirische Kulturszene einen bewährten Lieblingsfeind. Davor also Doppelbudget & Reformpartnerschaft… Es blieb übrigens bis heute bei diesen Haushaltskonzepten mit den schmerzlichen Einschnitten.

Deko ohne diskurswürdige künstlerische Relevanz. Derlei wird aus Budgetgründen als „Kunswerk“ beschriftet.

Das lautet aktuell so: „Die US-Ratingagentur Standard & Poor‘s (S&P) hat beim Bundesland Steiermark den negativen Ausblick gestrichen. […] Die Ratingagentur begründete den Schritt mit dem kürzlich beschlossenen steirischen Doppelbudget für 2019 und 2020.“ (Quelle)

Von 2010 zu 2015
Warum kann ich mich an die Ereignisse vom Ende 2010 so gut als den Initialschlag erinnern? Kunst Ost schrammte damals knapp am Untergang vorbei. Plötzlich waren schon zugesicherte Budgets weg etc., weil: „Graz (16. Dezember 2010). Die steirische Landesregierung hat heute Vormittag die Durchführung einer Verwaltungsreform und die Einsetzung einer Gemeindereformgruppe beschlossen. Landeshauptmann Franz Voves und Landeshauptmann-Stv. Hermann Schützenhöfer betonten, diese beiden Vorhaben seien Ausdruck des Reformwillens der Reformpartnerschaft.“ (Quelle)

Das krachte quer durch alle Ebenen, bis hinunter zu den Kommunen auf dem Lande. Wir wurden ziemlich brachial aufgescheucht. Damals entstand ein Gerenne um Ressourcen und schon am Anfang des vergangenen Jahrzehnts zeigt sich in unserem Milieu: nach außen Solidaritätsrufe und Solidaritätsgehabe, hinterm Vorhang ein knallharter Verdrängungswettkampf. Eine neurotische Situation!

Ich konnte damals unsere fundamentale Kunst Ost-Krise auf geradezu romantische Art abfangen, indem ich mich als Sekretär von Heinz Boxan verdingt hatte. Der vormalige Verwalter von Gut Herberstein war gemeinsam mit Andrea Herberstein für allerhand Malversationen verknackt worden und wollte seine Sicht der Dinge in einem Buch darlegen.

Das Sekretariat für Heinz Boxan (Fall Herberstein) als Krisen-Deal für Kunst Ost.

So hab ich 2010/2011 die nötigen Gelder für Kunst Ost erwirtschaftet. Siehe dazu: „Verleger Reinhard Wernbacher brachte Heinz Boxan mit dem Autor, Journalisten und ‚kunst ost‘-Koordinator Martin Krusche zusammen. Dieser fungierte in weiterer Folge als Sekretär im Verfassen des Buches.“ (Quelle)

In den folgenden Jahren war der hohe Anforderungsdruck bezüglich der Budget Standard. Um es moderat auszudrücken: die Balance zwischen Eigennutz und Gemeinwohl hatte merklich gelitten. Das gipfelte in einem neuen Phänomen.

Das 2015er-Kräftespiel
Ich mach es kurz. Es läßt sich nicht übersehen, daß Kommunen quer durch die Steiermark diverse Schrauben anzogen. Die Kulturpolitik ließ sich deutlicher als zuvor in die Rolle einer Magd von Stadtmarketing und Tourismus bewegen. Ich kann mich nicht erinnern, daß Kunst- und Kulturschaffende das nennenswert beeinsprucht hätten.

Ab 2015 erlebten wir zunehmend, wie Kulturbudgets gekapert wurden, um die Mittel anderer Ressorts aufzufetten. Marketingprojekte wurden auf „Kulturprojekt“ geschminkt, Dekorationsgegenstände als „Kunstwerke“ beschriftet, um öffentliche Gelder widmungsgerecht abrechnen zu können.

Mir fehlt in meinem Metier bis heute ein kritischer Diskurs, der sich solchen Praxisformen entgegenstellen würde. Zwischen 2015 und 2020 orte ich in der Szene ein nach innen gerichtetes Kräftespiel im Wettkampf um Positionsvorteile. Dabei widersprechen Handlungsweisen auffallend oft den ostentativ vor sich hergetragenen „Idealen“. Wir haben in der Zeit zwei wichtige Optionen vernachlässigt oder überhaupt ignoriert:

+) (Kultur-) Politik und Verwaltung im Sachdiskurs fordern, um herauszuarbeiten, was nun vorrangige kulturpolitische Fragen seien und was das strategisch bedeutet, welche Konsequenzen es verlangt.

+) Die Überlegung „Kooperation geht vor Konkurrenz“ ernster nehmen und prüfen, in welchen Modi wir gemeinsam mit knapper werdenden Ressourcen effizienter umgehen können, um unsere Interessen zu vertreten und unsere Arbeit voranzubringen.

(Quelle: Facebook)

Das Jahr 2020
Mit diesen Schwächen behaftet sind wir in die Pandemie und den Lockdown von 2020 gestolpert. Der Rückblick zeigt, daß ein anschwellendes Rufen nach dem bedingungslosen Grundeinkommen völlig ins Leere ging, wobei eigentlich bekannt war, daß derzeit nicht einmal die Grünen in Regierungskreisen darüber reden möchten. Also: Karaoke!

Vorerst erlebe ich noch ein beunruhigendes Ausmaß an kulturpolitischer Inkompetenz auf meinem beruflichen Terrain, so daß ich keine Vorstellung hab, wie breit der Kahlschlag in unseren Reihen ausfallen wird.

Der inhaltlich völlig inkonsistente Slogan Ohne Kunst wird’s still, wie er derzeit zu den Spitzenreitern unter Protestrufen zählt, illustriert dieses Elend. Die Kunst schweigt nie. Doch dieses Bild des Verstummens malen wir an die Wand, um in der Sache etwas zu erreichen?

Damit wäre dem 18. Jahr meines Langzeitprojektes ein ziemlich burleskes Motto aufgedrückt, das ich als die Kennzeichnung eines Wendepunktes deuten möchte, aber sonst nicht brauchen kann.

— [Stadt-Land] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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