Wir bewegen Tradition

Wir realisieren heuer die dritte Folge von Mythos Puch. Dieses Wir handelt von einer bunten Gemeinschaft, deren Zusammenarbeit die Veranstaltung überhaupt erst möglich macht. Dabei wird anschaulich, was mit dem Bottom up-Prinzip gemeint ist: Arbeit von der Basis her.

Die Alltagsklassiker: Überwiegend Yopungtimers, aber auch einzelne Vorkriegsfahrzeuge

Beispiel Alltagsklassiker: Überwiegend Youngtimers, aber auch einzelne Vorkriegsfahrzeuge

Da wirkt eine lebhafte Szene von Fans, Sammlern und Schraubern, auch Frauen darunter, aber mehrheitlich Männer. Eigenwillige Leute, die ihr jeweiliges Thema mit großer Hingabe erschließen, betreuen.

Bürgermeister Robert Schmierdorfer (Albersdorf-Prebuch) hat auf Anhieb verstanden, das solches Engagement nicht vereinnahmt und für andere Zwecke umgeleitet werden will, sondern von ihm begleitet, verstärkt sein mag, um an Sichtbarkeit zu gewinnen. Ein Zutun im Sinne der eigenständigen Regionalentwicklung.

Schmierdorfer gibt dieser Ausdrucksform einer Volkskultur in der technischen Welt nun einmal im Jahr einen speziellen Ort; die große Halle des Altstoffsammelzentrums im Gewerbepark Albersdorf-Prebuch.

In solchen Vorhaben bündeln sich mehrere Spielarten von kulturellem Engagement. Das zentrale Ereignis ist, was unsere Kooperationspartnerin, die Österreichische Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen (ÖGHK), als ihr zentrales Motto führt: „Wir bewegen Tradition“.

Bewegen und Tradition sind hier mehrdeutig gemeint. Das Erhalten und das Fahren historischer Vehikel verlangt nicht bloß Handfertigkeit sowie ein gutes Netzwerk sachkundiger Leute. Es braucht auch Wissensarchäologie, weil viele wichtige Informationen nie dokumentiert wurden oder längst verloren gegangen sind.

Handwerker Bernhard Lagler: Wissen sichern, Handfertigkeit erhalten

Beispiel Bernhard Lagler: Wissen sichern, Handfertigkeit erhalten

Das setzt auch einen klugen Umgang mit dem Nichtwissen voraus und fordert ein angemessenes Kommunikationsverhalten. Es wird aber nicht nur altes Wissen geborgen und gesichert.

Solches Engagement verlangt ferner den Erhalt handwerklicher Techniken, von denen viele in der Industrie längst nicht mehr gebraucht werden. Stahl, Chrom, Holz, Leder, Glas, Kunststoffe, Lacke, kein ambitionierter Schrauber kann alles beherrschen, um knifflige Restaurationsprojekte zu bewältigen.

Auf dieser Ebene entstehen übrigens materielle und symbolische Werte, wo etwa ein Schrotthaufen wieder zu einem tauglichen Fahrzeug wird, von dem es eventuell nur mehr wenige erhaltene Einheiten oder gar kein weiteres Exemplar gibt. In den meisten Fällen ist der Gegenwert geleisteter Arbeit an Geld auf keinem Markt lukrierbar.

Wer sich über Jahre einem bestimmten Fahrzeug oder Fahrzeugbereich widmet, will meist auch mehr über die Ursprungszeit wissen, in der solche Artefakte hergestellt wurden, wird sich eventuell die Vorgeschichte und manche Querverbindungen genauer ansehen.

Ob Zeitgeschichte oder Regionalgeschichte, einschlägige Neugier erstreckt sich dann auch leicht auf Nachbargebiete der eigenen Sammelleidenschaft. Wer einen Klassiker erhält, findet meist zusätzlich Gefallen an Dingen aus dem gleichen Zeitfenster. So entstehen oft Sammlungserweiterungen.

Das sind dann vielleicht Reklametafeln oder alte Radios, Uhren, Kaffeemühlen, Haushaltswaagen oder Zigarettenautomaten, auch Staubsauger. Das sind eventuell Waffen und übrige Militaria, ferner Fotoapparate, Ansichtskarten, Vereinsabzeichen, Kronkorken und Bierdeckel, Bücher und Zeitschriften, alte Werbegeschenke, allerhand Nippes…

Festival am Schlechenberg: Kühner Genre-Mix quer durch die jahrzehnte

Beispiel Festival am Schlechenberg: Kühner Genre-Mix quer durch die Jahrzehnte

Dazu kommt, daß sich über das ganze vorige Jahrhundert hinweg verschiedene Musik-Genres entfaltet haben, die in der Klassiker-Szene zum fixen Bestandteil wurden; je nach Milieu und Subkultur. Das reicht von traditionellen Volksmusiken über alle Musikgenres der Popkultur und überhaupt der Unterhaltungsindustrie.

Je nachdem, welche Zirkel das jeweilige Vereinsleben dominieren, zeigen sich Musikschwerpunkte sowie andere wiederkehrende kulturelle Inszenierungen, die für alljährliche Zusammenkünfte prägend werden. Eigene Clubzeitschriften, gelegentliche Buchpublikationen, Flugblätter, Plakate und vielfache Arten der Internetpräsenz runden solche Kommunikationsakte nach außen ab.

Langjährige Fixpunkte und spontane Vorhaben ergeben ein reich strukturiertes Veranstaltungsleben, bei dem Sie alle denkbaren Größenordnungen und Organisationsformen finden können. Über Logos, Schriftmarken und Vignetten zeigt sich eine kontrastreiche Emblematik, die meist durchgängige Merkmale hat.

Auch wenn die Szene manchmal Dünkelhaftigkeit und Lagerbildung kennt, vor dem Motor, der klemmt, sind alle gleich. Vor der ungelösten Aufgabe zählen keine allfälligen Standesdünkel. Die Lösungskompetenz erhält Respekt; was in unser aller Alltagsleben keinesfalls selbstverständlich ist.

Im Überwinden sozialer Lagergrenzen entfaltet sich letztlich landesweit jene zeitgemäße Volkskultur in der technischen Welt, die ein breites Publikum anspricht, ohne dabei marktschreierisch zu wirken oder jene astronomischen Budgets zu verheizen, wie sie von der Unterhaltungsindustrie häufig gebraucht werden.

ÖGHK, von links: Lisl und Heinz Mesicek, Gottfried Lagler

Für die Österreichischen Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen, von links: Lisl und Heinz Mesicek, Gottfried Lagler

Viele der selbstbewußt und selbstbestimmt realisierten Club-Aktivitäten haben bisher jeder schlampigen Vereinnahmung durch Tourismus- und Marketingbüros widerstanden. Sie lassen sich nicht durch außenliegende Interessen verwässern.

Sie bleiben der authentische Ausdruck kultureller Bedürfnisse von Menschen, die in ihrer Freizeit den Talenten und Interessen, von denen sie sich bewegt fühlen, ganz nach eigenen Vorstellungen nachgehen. Ein markantes Beispiel für regionale Wissens- und Kulturarbeit.

+) Mythos Puch III [link]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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