Zucker und Kreml

Die Gedichte der Elena Fanajlova kamen für mich wie ein Schock daher. Diese Themen und diese Ausdruckskraft. Dieses ruhige, völlig unprätentiöse Auftreten der Autorin. Ein Abend in der Veranstaltungsreihe „Zuckerkreml.“, gleichlautend dem Titel eines Romans von Vladimir Sorokin, der auch zu Gast war.

Elena Fanajlova neben Valerij Šubinskij bei den Minoriten in Graz

Für mich war das wie bestellt, um mich meiner Einschätzung zu versichern, da ich meinen Leuten vor Ort im Augenblick nicht gar so freundlich gesonnen bin. Welche Standorte Kunstschaffender innerhalb einer Gesellschaft erscheinen angemessen? Was momentan eine Kontroverse um das „Künstlerhaus“ in Graz sein möchte, gestaltet sich schon seit einer Weile hauptsächlich als ein larmoyantes Gezeter.

Wäre da nicht wenigstens eine kohärente kulturpolitische Streitschrift [link] von einem Konsortium überwiegend sehr kompetenter Leute, man möchte empfehlen, den ganzen Jammerhaufen vor die Türe zu setzen und ihm mit auf den Weg zu geben, es sei vielleicht in zehn Jahren so weit, über derlei Anliegen erneut sprechen zu können.

Fanajlova also, Ärztin, Lehrerin, Journalistin. Wir sind das ja nicht gewohnt, von einem Regime zu konventionellen Berufen gezwungen zu sein, um sich dann auch noch einigermaßen unbehelligt der Kunst widmen zu dürfen.

Das führt dort teilweise zu ganz anderen Kompetenzlagen, vor allem aber, was meine persönlichen Erfahrungen angeht, zum weitgehenden Fehlen von Selbstmitleid; weil dafür keine Energie und Zeit vorhanden ist.

Der Abend mit dem „Zuckerkreml.“

Fanajlova, deren Texte von poetischer Kraft eine Ahnung vermitteln, womit wir es zu tun haben, wenn wir nach einem Land Ausschau halten, das auch unsere Geschicke stets mitgeprägt hat, ohne je in die Nähe des Friedens und Wohlstandes zu kommen, den wir für selbstverständlich halten.

Es war für mich einigermaßen überraschend, daß ein eventuell etwas unkonzentrierter Moderator zum Ende der Veranstaltung die Frage nach „engagierter Literatur“ aufwarf. Hatte Sartre das nicht im vorigen Jahrhundert schon vorläufig erledigt? Gab es seither neue Erfahrungen, die dieser Frage wieder zu Bedeutung verhelfen?

Mir ist nichts dergleichen bekannt. Gut, Österreich hat nicht einmal so viele Einwohner wie Moskau. Was wissen wir schon? Ereignisse wie Sinclair Lewis oder Upton Sinclair kennen wir nicht; daß Romane soziale und politische Konsequenzen bewirkt hätten.

Was mir noch einfiele, Bernhard, Handke, Jelinek, mit denen hätte man vermutlich jederzeit Ärger haben können, wollte man sie danach fragen, ob sie „engagierte Literatur“ verfassen würden. Gut, es ist AUCH eine soziale und politische Konsequenz, wenn man allein für das Existieren seiner Texte angefochten wird, weil einem von dieser (österreichischen) Gesellschaft solche Deutungsmacht nicht zugebilligt wird, zu beschreiben, was man sieht und wovon man weiß.

Sabine Hänsgen („Kollektive Aktionen“) erzählt von Prigov

Zurück zu jenem Abend bei den Minoriten. Es war für mich auch ein Wiedersehen mit Sabine Hänsgen von den „Kollektive Aktionen“, mit der wir uns gerade erst kurz als „Donau-Piraten“ konstituiert hatten; genauer, wir hatten den künstlerischen Herbstschwerpunkt von „kunst ost“ diesmal jenseits der Grenzen absolviert, in Serbien, sehr unmittelbar am Ufer der Donau, als Gäste der Gruppe „Treci Beograd“: [link]

Sabine führte uns durch die Ausstellung von Prigov, der als Samizdat-Autor und bildender Künstler Bedeutung erlangt hat. Allein schon das Video Dmitrij A. Prigov liest „Der Milizionär und die anderen“ lohnt den Besuch.

“In der Regel hatten seine Texte eine ‚Auflage’ in der Höhe von Schreibmaschinendurchschlägen. Sie existierten jenseits der staatlichen sowjetischen Distributionssphäre im Samizdat als vom Autor selbst hergestellte, nicht gedruckte Bücher.“ schrieb Sabine in einem begleitenden Text. „Engagierte Literatur“? Das träfe es wohl nicht genau. Literatur-Literatur. Kraft der Sprache. Inhalte.

Ein Exponat von Prigov

Also Graz. Dieses Graz, deren Kunstschaffende wohl fast ausnahmslos geheizte Stuben genießen dürfen und denen nicht einfallen möchte, wie sich nun genau Politik und Verwaltung zu ihnen verhalten sollen; da haben wir noch Klärungsbedarf. Immerhin hat die IG Kultur Steiermark zum Diskurs aufgerufen. Möge er sich ereignen, der Diskurs: [link]

Mögen Gründe genannt werden, Polemik sich geistreich zeigen, möge ausdrücklich zur Sprache kommen, was wir aufzubieten wissen, um uns als Kunstschaffende gegenüber einem heimischen Regime zu behaupten, das vorerst noch wenig Ambitionen zeigt, unserem Metier angemessene Rahmenbedingungen zu bieten. Oder sind es doch vor allem wir selbst, die noch nicht recht wissen, welche Prioritäten zu verteidigen werden? Denn ein Protestruf in der Art von „Mehr Geld!“ ist ja keine sehr qualifizierte Aussage…

[Die Debatte: Übersicht]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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