Lyrik #7: Strah (Rezka Kanzian)

Ich bin überzeugt, daß Menschen, die zweisprachig leben, ein völlig anderes Sprachvermögen haben, als wir Einsprachigen.

Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner.

Was ich meine, ist noch nicht eingelöst, indem man – wie ich mit dem Englischen – über eine Fremdsprache gerade noch hinreichend verfügt, um sich passabel unterhalten zu können. Ich meine ein Leben in zwei Sprachen, die womöglich ganz unterschiedlich funktionieren.

So etwa das Slowenische und das Deutsche, deren Satzbau und Sprachkonventionen sich stark unterscheiden, deren Metaphern und Jargons unterschiedliche gesellschaftliche Erfahrungen ausdrücken.

Ferner geht es auch um die Dimension des verfügbaren Wortschatzes und um Vertrautheit mit dem Klang von Wörtern. Das ist in der Lyrik von spezieller Bedeutung, denn in diesem Genre kann man nichts verbergen oder überspielen.

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Die zweisprachige Rezka Kanzian ist Schauspielerin, hat sich dabei vor allem mit der Kunstfigur Mutter Übü assoziiert, bei ihrer Theaterarbeit Hand in Hand Franz Blauensteiner als Vater Übü. Sie ist aber auch eine versierte Lyrikerin. Von Kanzian ist ein zweisprachiger Lyrikband verfügbar („Strah / Angst“), den ich aus mehreren Gründen für bemerkenswert halte.

Ich meine natürlich ihre deutschen Texte, für die sie verschiedene Stilmittel nutzt und in ihrem Erzählen wirksam macht. Dabei klingt auch an, was sie aus dem dramatischen Raum und von der Bühne her an Kompetenzen erworben hat. Dann die slowenischen Gedichte, wie sie einem hier greifbar werden. Auch wenn man davon – wie ich – kein Wort versteht, ist das eine wertvolle Erfahrung.

Wie ereignet sich das Andere, das ich nicht bin, wenn es sich zum Beispiel in Texten manifestiert? In welchen Kontrasten leben wir geradezu selbstverständlich und sollten diesen kulturellen Gewinn durch das Andere gelegentlich auch konkret erleben können? (Kultur bedeutet seit jeher, das Ungewohnte zu erfahren.)

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An einer Stelle des Buches heißt es übrigens „in memoriam fabjan hafner“, um auf einen österreichischen Autor von Rang zu verweisen, der uns 2016 verlassen hat. Genau! Auch ein zweisprachiger Dichter.

Den anderen bemerkenswerten Aspekt dieses Lyrikbandes sehe ich in der Publikationsform. Es gibt die Printfassung, die ich für unverzichtbar halte. Bücher sind durch kein anderes Medium ersetzbar, sind grundlegende Elemente unseres geistigen Lebens.

Aber Sie finden Kanzians Gedichtband „Strah / Angst“ auch als frei zugängliche PDF-Datei im Web. Das hat zwei Vorteile. Man kann sich einen Eindruck verschaffen, der manche Menschen zum Erwerb des Buches anregen dürfte. So ist aber auch für Evidenz gesorgt, denn Faktum bleibt, daß allerhand an österreichischer Gegenwartsliteratur in Buchform, und da vor allem Lyrik, oft nur wenige Jahre erhältlich ist, um dann vom Markt zu verschwinden.

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