Der Gleisdorfer Fußgänger-Boulevard

Es ist für mich eine kuriose Erfahrung. Erstmals erlebe ich so deutlich, daß ein breiter Strang des Fahrzeugverkehrs zurückgenommen wird, um für eine Art Boulevard des Fußvolkes Platz zu machen.

Nun epische Breite in der Schillerstraße.

So hab ich es eben bei mehreren Streifzügen in der Schillerstraße erlebt. Bisher kaum Fahrräder auf der Piste, was sich vermutlich noch ändern wird. Nebenan der einspurige Kraftfahrzeug-Verkehr, baulich auf Abstand gehalten. Das Trottoir von einer fulminanten Breite, die dem Flanieren eine ungewöhnliche Basis gibt. Momentan der größte Gehsteig Gleisdorfs.

Links der Unterbau, Blick von West nach Ost, rechts schon fortgeschritten, Blick von Ost nach West.

Es wird so wohl nicht bleiben. Aber ich mag die augenblickliche Situation. Das ist aus folgendem Grund bemerkenswert, hat eine historische Dimension. Erst einmal waren die Metropolen Europas wenigstens quer durch die 1890er Jahre davon geprägt, daß sich mit den damals modernen Niederrädern (Safeties) neue Verkehrsteilnehmer in den Alltagsverkehr mischten und ein neues Tempo in die Städte brachten. (Siehe dazu die Notiz „Florianiplatz: Verkehr I“!)

Links: Das Ende der Schillerstraße bei der Neugasse. Rechts wie auch links provisorische Fahrbahnen.

Pferdefuhrwerke und Straßenbahnen waren überwiegend nicht so schnell und vor allem nicht so leise wie die Velozipedisten mit ihren „Fußkutschen“. Frauen sind dabei noch kaum in Erscheinung getreten. Man riskierte in den Zentren des Kontinents mindestens bis zum Ersten Weltkrieg Beschimpfungen und sogar Übergriffe, wenn man als Frau öffentlich in Hosen auftauchte.

Um 1905 waren Kraftfahrzeuge schon so verbreitet, daß die österreichische Behörde eine Pflicht zur Registrierung einführte und Nummerntafeln ausgab. Das lag an zahlreichen Vorfällen, die Beschwerden ausgelöst hatten. Kollisionen aller Art.

Vor rund 200 Jahren reichte Gleisdorf hier grad bis zur Gartengasse, die hinter dem Busbahnhof rechts abzweigt.

Die Menschen mußten erst lernen, daß es gesundheitsgefährdend war, wenn man unachtsam durch die Stadt ging. Der Kraftfahrzeugverkehr hatte also vor über hundert Jahren begonnen, alle anderen Verkehrsteilnehmer zur Seite zu schieben. (Straßenbahnen natürlich ausgenommen.)

Ein Echo dieser historischen Entwicklungen können Sie aktuell auf dem Florianiplatz erleben, wenn sie die – Ostseite entlang – vom Rathaus nach Norden spazieren. Auf dem Gehsteig müssen Fußgänger und Radfahrer miteinander auskommen.

Seit Jahren mischen sich Scooter in dieses Geschehen. Und manchmal wird von „Autlern“ so rücksichtslos geparkt, daß Fahrzeugteile dieses Terrain auch noch einengen. (Siehe dazu die Notiz „Florianiplatz: Verkehr IV“!)

Der „Fußgänger-Boulevard“ vom Dezember 2023 ist in dieser Form also gewiß ein besonderes Erlebnis, das derzeit noch in voller Breite erkundet werden kann.

+) Schächte und Kanäle (Schwerpunkt Schillerstraße)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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