Was der Fall ist: Gleisdorfs Neofaschismus II

Ich finde die neuen Erscheingsformen des Faschismus insofern imposant, als da erhebliche Kulturarbeit gelungen ist.

„Wissenschaft“ neu

Damit meine ich die aktuellen Strategien und Sprachregelungen. Es sind Prozesse in das Gemeinwesen implementiert, die auf Anhieb keine Widerstände erzeugen, aber wenn man genau hinsieht und hinhört, fällt einem auf, wie die Republik als Rahmen unserer Demokratie permanent belastet, auch herabgewürdigt wird.

Dazu kommt, und das erlebe ich aktuell, daß einzelne Aktivisten und Aktivistinnen zwar eine große Klappe haben, wenn sie was in die Welt hinausschreien können, aber sobald sie ein Debatte auf Dialogebene führen sollen, verebben ihre Posen.

Gleisdorf, Hauptplatz, Mai 2023

Dem gegenüber finde ich oft eine erstaunliche Passivität, ja sogar Agonie derer, die sich per Selbstdefinition im Lager der Demokratie sehen. Das macht es leichter, ihnen den Begriff zu entreißen und mit nächsten Inhalten zu befüllen. Manche Herzchen simulieren sogar Gegenpositionen, wodurch der Schein genährt wird, jemand bemühe sich um die Republik und die Demokratie. (Genau! Das ist nämlich zweierlei.)

Kontinuität links von Dschingis Khan
Natürlich posieren auch Rechtsradikale als Demokraten, bezichtigen Andersdenkende der Diktatur, der Lügen etc. Sie stehen ja immerhin links von Dschingis Khan, sind also gewissermaßen eh Linke. Von Übel sei demnach erst „linkslinks“.

(ORF, Mai 2023)

Anfang der 1990er Jahre, also ich noch Post aus dem Umfeld von Gottfried Küssel bekam, waren im Raum Gleisdorf Leute aktiv, die meiner Generation angehören, was aber mit jungen, unruhigen Geistern gut korrespondierte.

Während der Gleisdorfer Protestmärsche habe ich eine Reihe von Gesprächen geführt, welche belegen: die alten Antisemiten, Hitler-Nostalgiker und vaterländischen Leute sind alle noch da und wirken auf ihr Umfeld ein.

Wer 20 bis 25 Jahre jünger ist als ich, weiß zu erzählen, wo sich in Gleisdorfe junge Leute mit Neonazi-Tendenz regelmäßig trafen. Die Kenntnisse rund um die Präsenz diese ideologischen Varianten ist in Gleisdorf reichlich vorhanden. (Fragen Sie jene, die gerade um die 40 herum sind!)

Eines der Statements von c_olex

Solche dem Faschismus zugeneigten Stimmungen fanden durch unsere Pandemieerfahrungen reichlich Auftrieb. Ich kann mich nicht erinnern, daß es in den letzten Jahren irgendeine erkennbare Bemühung seitens der Politik oder des Kulturvölkchen gab, all dem etwas Erwähnenswertes gegenüberzustellen; ausgenommen die recht moderat angelegte Aktion der Gruppe „c_ollex“ („Quer gesagt“), die man kaum hätte zahnloser umsetzen können. Gewissermaßen „Alibikunst“ 😉

Wem gehört die Straße?
Im Gleisdorfer Pickerl-Sturm, der sich aktuell merklich beruhigt hat, dominierte vor allem Material von „Auf1“, dessen Gründer Stefan Magnet aus dem Lager der Rechtsextremen stand. Reste der Stickers können Sie heute noch in Gleisdorf finden. (Siehe dazu auch: „D:Demo #56, Pickerl-Match“!)

Die Kritzeleien sind seltener geworden

Es gab auch einige Stickers von Links, denen ich aber bestenfalls eine Quote von 1:20 geben möchte, wenn überhaupt. Dazu kamen während der massiven Corona-Phase unzählige Kritzeleien im Zentrum Gleisdorfs.

Mir sind aus den letzten 30 Jahren keinerlei Aktionen bekannt, mit der jemand im öffentlichen Raum und im öffentlichen Diskurs Gleisdorfs eine klare Gegenposition zu rechten und neofaschistischen Angeboten vorgebracht hätten. Die Politik schweigt hauptsächlich, das Kulturvölkchen mehrheitlich auch. (Dabei ist kaum etwas so belastend für Kulturschaffende, wie autoritäre Systeme.)

Prioritäten
Ich finde es bemerkenswert, daß es ein Thema wie „Flächenfraß/Bodenversiegelung“ explizit in Gemeinderatssitzungen schafft, dort behandelt wird, und für eine Kampagne gut ist, der einige tausend Menschen zugestimmt haben. Der Gleisdorfer Neofaschischmus, immerhin auf die Fundamente der Demokratie gemünzt und derzeit wieder belebter denn je, schafft das nicht einmal ansatzweise.

Eine Besonderheit Gleisdorfs läßt mich völlig ratlos. Es gibt seit 2015 das Jugendforum „PLAN G“. Es sei „Österreichweit einzigartig“, denn: „Dieses als Sonderausschuss der Stadtgemeinde Gleisdorf angelegte Forum ermöglicht es jungen Menschen zwischen 16 und 29 Jahren die Zukunft der Gemeinde aktiv mitzugestalten. Egal, ob sie einer politischen Fraktion angehören oder nicht.“ (Quelle)

Mehr als Party? Das Programm erzählt was anderes

Was sind die Themen dieses politischen Forums, das mit öffentlichen Geldern kofinanziert wird? Jugend-Flohmarkt, Samentauschbörse, ein neuer Skaterpark, denn der alte gilt als zu abgelegen, oder, Zitat: „Was war zuerst, das Osterei oder der Osterhase…?“, aber auch eine „Klausur in die Südsteiermark“…

Ich finde nichts, absolut gar nichts zu den Ereignissen der letzten zwei Jahre, in denen das Gemeinwesen auf vielfache Art gründlich erschüttert wurde. Keinerlei Beitrag der politisch organisierten Jungen zu einigen der brennenden Themen.

Während also eine Neue Rechte in Gleisdorf trommelt, pfeift, öffentlich für ihre Inhalte wirbt, während der Neofaschismus sich in freundlichen Kostümen niedergelassen hat, während uns nette Leute Putins Rußland als die bessere „Demokratie“ empfehlen, genießt dieser Teil der Jugend Gleisdorfs wohlverdiente Freizeit und chillt. Sehr komfortable Bedingungen für Gleisdorfs Neofaschismus.

+) Vorlauf: Gleisdorfs Neofaschismus I
+) Rechtsruck (Übersicht)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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