Kulturen mischen?

Da sagt ein Politiker: „Mischkulturen haben auf der Welt bewiesen, dass sie nicht vorteilhaft sind.“ Was sind Mischkulturen? Wie sieht der Beweis aus? Was ist das für ein Patriot, der so offenkundig annähernd nichts über dieses Land, seine Geschichte und Kultur weiß?

Genau das offenbart er nämlich mit solchem Gerede, welches keiner Überprüfung standhält. Wir erleben sie nun schon so viele Jahre, diese Marktschreier, diese Schausteller in eigener Sache. Wie angenehm wäre es, würden sie einfach rundheraus sagen, was sie meinen und wollen, statt herumzuschwurbeln und uns Phrasen über das Thema Kultur zuzumuten.

Das Wort Mischkulturen ist verräterisch, denn es unterstellt etwas, das es nicht gibt, nämlich „reine“, unvermischte Kulturen im Gegensatz zum Phantasieprodukt dieses Herren. Es ist das grundlegende Wesen von Kultur, sich im Austausch mit Fremdem zu entfalten. Nur so ist überhaupt Fortschritt möglich.

In Europa hat kaum ein Land mehr Tradition in eben diesem Aspekt von Kultur als das historische Österreich, immerhin über ein halbes Jahrtausend lang ein multitehnisches Imperium. Als 1914 der Große Krieg begann, wandte sich Kaiser Franz Josef seinen Untertanen mit der Adresse „An meine Völker!“ zu. Was könnte er damit gemeint haben?

Wer sich also gegen „Mischkulturen“ ausspricht, wünscht uns ins Neandertal zurück und weist sich überdies als für die Politik völlig ungeeignet aus. Es ist schon lange her, daß es genügte, eine Dorfgemeinschaft zu ordnen und alle Leute von außerhalb der Dorfgrenzen als potentielle Bedrohung zu sehen. Das wurzelt eigentlich im Neolithikum, als die Menschen begannen seßhaft zu werden.

Österreich und Europa ruhen in ihrem wohlhabenden Teil genau auf Begegnung, Austausch, Mischung von Erfahrungen, Kenntnissen, Irritationen. Für die Steiermark gilt das ganz besonders, denn dies war ursprünglich eine sehr rückständige Region, vielerorts mit bescheidenen landwirtschaftlichen Betrieben, aus denen unmöglich Wohlstand entstehen konnte.

Woher kam das Blühen, das wir kennen? Aus der Öffnung nach außen, aus den Reisen, aus den Begegnungen mit fremd wirkenden Menschen. Das hat ein sehr prominentes Beispiel in Erzherzog Johann, dem Bruder des damaligen Kaisers (Leopold II), der 1815/16 England bereiste und James Watt besuchte. Watt hatte die Dampfmaschine optimiert und somit das Wirtschaften Europas verändert.

Johann von Österreich war ein konsequenter Meister darin, den Austausch zu forcieren und fremdes Know how in die Steiermark zu bringen. Oft sind es aber auch Zuwanderer gewesen, die der Steiermark wichtige Impulse gaben. Einzelne Persönlichkeiten, die in einem Strom von Arbeitssuchenden, Soldaten und Studenten aus allen Teilen des Reiches herausstachen.

So zum Beispiel der Slowene Janez Puh, den wir als Johann Puch kennen. Oder der Ungar Josef Körösi, auf den die Andritzer Maschinenfabrik (heute: Andritz AG) zurückgeht. Was mag die Muttersprache von Ingenieur Alois Negrelli gewesen sein? Wo wurde denn Erzherzog Johann selbst geboren? Seine erste Sprache war das Italienische, er lernte anschließend Französisch und erst in der Folgezeit Deutsch, schließlich auch Latein. (Das nenn ich eine Mischung kultureller Elemente!)

Nein, die Geschlossenheit eines kulturellen Feldes läßt keinen Glanz zu. Wenn Älpler nur unter sich blieben, in einem Tal, in einer Region nur ihresgleichen sehen wollten und sich gegen alles andere verschlossen, hatten wir nicht bloß kulturellen und wirtschaftlichen Stillstand. Das würde auch körperlich ein Problem.

Der schottische Philosoph David Hume notierte 1748 auf seiner Reise durch die Steiermark: „Aber so angenehm das Land in seiner Wildheit ist, so unzivilisiert, deformiert und gräßlich sind die Bewohner in ihrer Erscheinung. Sehr viele von ihnen haben häßlich geschwollene Kehlen. Debile und Taube drängen sich in jedem Dorf, und das allgemeine Aussehen der Leute ist das Schockierendste, das ich je gesehen habe.“

Abgeschiedenheit und Inzucht haben sich noch nie zum Vorteil der Menschen entwickelt. Gerade Europa belegt die Erfolgsgeschichte von Vielfalt und Austausch. Europas Kultur und Wohlstand ist das Produkt der Offenheit und eines geistigen Lebens, das seine Anregungen aus allen Teilen der Welt bezieht.

Verzagte Politiker, denen der heutige Zustand der Welt nicht geheuer ist und deren politische Vision gerade noch für eine Dorfgemeinschaft reicht, sollten sich daher nicht fadenscheinig an „unserer Kultur“ abarbeiten, sondern offen sagen, was sie möchten, denn das ist offensichtlich: Sie wollen die Früchte der kulturellen Vielfalt Europas genießen, aber nicht seriös daran arbeiten, diesen alten Weg in die Zukunft zu gehen.

Zugegeben, eine anstrengende Arbeit, geistig fordernd, mit Risiken behaftet. Wer aber solche Anstrengungen scheut, ist uns in der Politik bloß eine Bürde, kein Gewinn, ein Trittbrettfahrer dieser besonderen Zeiten.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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