was ist kunst? #2

es mag ihnen irritiernd erscheinen: was immer ich hier vorbringe, es kann auch dessen gegenteil zutreffen. deswegen ist das gesagte nicht falsch. aber es bleibt anfechtbar. quer durch das 20. jahrhundert ist genau diese erfahrung im kunstbereich sehr radikal gemacht worden. aber sie war schon vorher keine neuigkeit mehr: wo kommen wir denn hin, wenn alle regeln gebrochen werden können und wenn die unterschiedlichsten stile wie positionen sich parallel nebeneinander zeigen dürfen, ohne einander auszuschließen? wo kommen wir denn hin, wenn das bewährte in frage gestellt werden darf?

in schlampigen zugängen nehmen manche menschen gerne an, das sei ein dubioser modus; die möglichkeit, daß etwas zutrifft, aber auch sein gegenteil gelten darf. diese skepsis mißtraut einer großen menschlichen und kulturellen qualität; daß nämlich unser denken nicht bloß auf praktische ergebnisse ausgerichtet ist, welche der „unzweideutigkeit“ gewidmet sind.

geht es um kunst, dann geht es sehr wesentlich um menschliche selbstvergewisserung, die sich nicht einlöst, indem ein status quo festgeschrieben wird. genau in diesem aspekt der kunst, uns keinerlei gewißheit anbieten zu wollen, liegt eine chance, vielfältige erfahrungen zu machen, die über vertraute formen der alltagsbewältigugung hinausweisen. brauchen wir das? ich schon! dazu brauche ich vor allem auch ein umfeld mit inspirierten menschen.

kunst-praxis handelt nicht nur von geifbaren werken, sondern auch von prozessen: (von links) kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov, abine hänsgen, sergei romashko und sergei letov ("kollektive aktionen", moskau)

für mich ist ein leben in solcher „ungewißheit“ jedem anderen in endlosen klarheiten vorzuziehen. das wird nicht bloß in unserer kultur geschätzt. in einem lied von van morrison heißt es: „Chop that wood / Carry water / What’s the sound of one hand clapping / Enlightenment, don’t know what it is“ [link] „hacke das holz, trage das wasser, wie klingt einhand-klatschen, erleuchtung, ich weiß nicht, was das ist.“

damit zitiert morrison ein berühmtes „koan“, das dem meister hakuin zugeschrieben wird. „wie klingt einhandklatschen?“ suchen sie nicht nach einer eindeutigen antwort! das „koan“ ist eine übung im zen-buddhismus, durch welche keine „logischen schlußfolgerungen“ trainiert und keine „eindeutigen lösungen“ produziert werden sollen, sondern, wie soll ich es ausdrücken? … diese übungen sollen einen dazu bringen, in seiner wahrnehmung und auffassung über die absehbare enge der erwähnten „zweckmäßigkeit“ des alltäglichen denkens hinauszugelangen.

das ist meines erachtens keine haltung GEGEN alltägliches denken. dieses brauche ich ja, um meinen alltag zu bewältigen. darüber hinaus soll mir die befassung mit KUNST aber noch weitere möglichkeiten eröffnen. so pendele ich als künstler, aber auch als teil eines kunstinteressierten publikums, zwischen diesen gefielden des alltags und den „erweiterten terrains“ der kunst. ich würde es freilich für eine komische attitüde halten, wenn jemand eines über das andere stellen möchte.

[überblick]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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