Mars: Faschismus IV

Faschismus im Plauderton? Ein paar markige Sätzchen und paßt? Kann man machen. Aber nicht mit mir. Weshalb?

Paul Mason bietet einen gut faßbaren Überblick. Victor Klemperer macht mit „LTI“ anschaulich, wie Sprache gesellschaftliche Realität herstellt. Machiavelli zu lesen hilft ebenso der Orientierung im geschichtlichen Raum.

Weil das bloß in seichte Gewässer führt und so zu dem beiträgt, was eigentlich abgelehnt wird. Steve Bannon, nicht gerade ein Demokrat, gilt als Urheber der Empfehlung: „Flood the zone with shit!“ Alles mit Blödsinn zuscheißen. Donald Trump hat ihm gut zugehört. Wladimir Putin spielt das mit Westeuropa schon seit vielen Jahren: Desinformation und das Überfluten von allen erreichbaren Medienkanälen mit Unfug, Propaganda, irritierendem Zeug.

Dabei geht es um das Diskreditieren von Journalismus, Politik, Wissenschaft, von möglichst allen etablierten Einrichtungen der Wissensarbeit. Das ist die Vorübung zu dem, was geschieht, wenn ein Land okkupiert wurde: das konsequente Auslöschen der Intelligenz dieses Landes, um die Definitionshoheit zu übernehmen.

Sie können davon ausgehen, daß Rußlands Präsident Putin in Debatten von Belang als Repräsentant eins aktuellen Faschismus eingestuft wird. Ich betone das Aktuelle deshalb, weil da etwas anderes die politische Bühne betreten hat als jener historische Faschismus, den seinerzeit Ernst Nolte mit seinem Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“ dargestellt hat, was zur sogenannten Habermas-Kontroverse führte.

Das war ein Historikerstreit, in dem es um die Gleichstellung von Stalinismus und Nazi-Diktatur ging. Es lohnt sich, das ein wenig genauer anzusehen, falls man Lust und Energie hat, sich dieser geschichtlichen Hintergrundfolie ausführlicher zu widmen; also dem Prozeß einer Klärung, womit man es in Sachen Faschismus im 20. Jahrhundert zu tun hatte.

Diese Lektüre ist freilich nicht zwingend nötig, um eine stichhaltige Vorstellung zu bekommen, was den Faschismus heute ausmacht. Die praktischen Erfahrungen und die Debatten sind ja inzwischen weitergelaufen. Vor allem aber hat eine Neue Rechte seit den 1980ern jene Arbeit geleistet, die dem heutigen Faschismus die Steigbügel richten konnte. Ganz speziell Putin und seinem Regime, dessen Theoretiker Alexander Dugin bei genau jener Neuen Rechten in Europa damals tüchtig gelernt hatte.

Ein typisches Meme: Gewalt durch Sprache wird als „Ehrlichkeit“ geschminkt.

Während in meinem Milieu noch so nichtssagende und hohle Begriffe wie „Alltagsfaschismus“ eine ernsthafte Verfassung mit dem Phänomen ersetzen mußten, hat die Neue Rechte ihre kulturelles und soziales Konzept gründlich überarbeitet, Begriffe neu gesetzt, kurz: eine beachtliche Kulturleistung erbracht, um all das politisch zu realisieren.

Voilà! Da sind wir nun. Und ich erlebe, daß auch innerhalb des Kulturvölkchens die Propaganda von Putin kolportiert wird, wonach die heutigen Faschisten angeblich im westlichen Europa säßen.

Ich habe „Der ewige Faschismus“ von Umberto Eco schon als eine nützliche Einstiegslektüre empfohlen, die man ohne jedes Vorwissen gut aufnehmen kann. Ich mache Ihnen später noch ein paar Vorschläge bezüglich anregender Texte zur psychologischen Disposition von Menschen, welche die Freiheit (= Selbstverantwortung) fürchten, es daher vorziehen, jemandem Gehorsam zu leisten. (Da wird etwa von Erich Fromm und Arno Gruen zu reden sein.)

Unter den aktuellen Publikationen hat mir ein Buch sehr zugesagt, das 2022 erschienen ist: „Faschismus“ (Und wie man ihn stoppt) von Paul Mason. Der Brite hat auf rund 400 Seiten eine historische Orientierungshilfe vorgelegt, aber auch eine frische Analyse einschlägiger Erscheinungen. Aus dem Vergleich (Vergangenheit/Gegenwart) und einigen Schlußfolgerungen kann man für sich sehr gut eine Position finden, die sich nicht in so verbalen Schlampereien wie „Alltagsfaschismus“ verausgabt.

Der aktuelle Faschismus ist ein politisches Konzept von unerbittlicher Angriffslust. Die „Demokratiematrix“ listet derzeit im Gesamtwertindex von 2023 leider nur 33 Staaten der Welt als „Funktionierende Demokratie“. Ab der Position #34, bis hin zu #81 (Albanien) und #82 (Sierra Leone), folgen Staaten der Kategorie „Defizitäre Demokratie. (Malen Sie sich selbst aus, was anschließend mit „Harte Autokratie“ gemeint sein könnte!)

Diese 33 funktionierenden Demokratien stehen weltweit wie vielen Staaten gegenüber? Die Vereinten Nationen anerkennen zum Stand 2024 offiziell 195 unabhängige Länder. Davon sind 193 offizielle Mitglieder.

Die Standarte von Präsident Putin bei Corona-Protesten in Gleisdorf als skurriles Statment pro Demokratie.

Bei diesen 33 funktionierenden Demokratien unter 195 Staaten möchte ich annehmen, es lohnt sich ein Engagement für die Demokratie in Abwehr faschistischer Anstrengungen. Den Kriterienkatalog in „Der ewige Faschismus“ von Umberto Eco habe ich dazu schon erwähnt, hier die Details: [Link]!

Ich werde ergänzend für meine nächste Glosse einige Charakteristika des aktuellen Faschismus zusammenstellen, strategische Maßnahmen der Faschisten wie das Hervorheben der eigenen Opferrolle, den ständigen Ruf nach Recht und Ordnung, und zwar abseits von verfassungskonformer Rechtsstaatlichkeit, das Spielen mit sexuellen Ängsten (z.B. Queer-Feindlichkeit) etc. [Fortsetzung folgt!]

+) Vorlauf: Faschismus III
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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