Florianiplatz, soziokulturell betrachtet

Es steht für mich nun außer Zweifel, daß diese zwei Flügel eines Zeitfensters für Gleisdorf besondere Relevanz haben: 1820 bis 1920 und 1920 bis 2020.

Die alte Version der Stadtapotheke. (Foto: Archiv Mayr)

Was bedeutet das, wenn man die Gegenwart mit genau dieser Hintergrundfolie in ihren kulturellen Zusammenhängen betrachtet? Das Stadtbild ist natürlich ein Abbild dieser Verläufe. Das zeigt zum Beispiel der Franziszeische Kataster von 1822, den ich als Ausgangspunkt solcher Betrachtungen nutze.

Gleisdorf hatte erst noch dieser dörfliche Charakter, der sich innerhalb von hundert Jahren fundamental änderte. Das bescherte dem Markt anno 1920 die Stadterhebung. Genau das drückt sich dann auch im veränderten Stadtbild aus. Das Rathaus, der Florianiplatz, der Hauptplatz, die Bürgergasse…

Ich nenne es Gleisdorfs erste Gründerzeit. Das Fin de Siècle war hier klarerweise nicht einmal annähernd so prächtig wie in der damaligen Reichshauptstadt Wien. Hier war Provinz. (Das Muster Zentrum/Provinz hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auflösen lassen.)

Um 1820 ergaben die Bürgerhäuser üblicherweise ansehnliche Fassadenfronten. Betrieb und Wohnbereich lagen eng beieinander. Dahinter Wirtschaftsgebäude, Gärten, Felder. Das hat einige Reste in manchen Gleisdorfer Innenhöfen. Es gibt auch noch Gärten, doch die meisten Felder (nicht alle!) sind Siedlungsbauten gewichen.

Als der Florianiplatz noch ein Dorf war. (Quelle: GIS Steiermark)

Wer dann im 20. Jahrhundert einen elterlichen Betrieb übernommen hat, ist derzeit im passenden Alter, um die Pension anzutreten, oder ist aus dem aktiven Berufsleben schon ausgeschieden. Damit meine ich Menschen, die nun zwischen Anfang 60 und Anfang 70 sind. Von denen wurde gestaltet, was ich die zweite Gründerzeit Gleisdorfs nenne.

Das heißt, die ererbten/übernommenen Betriebe mußten spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts adäquat verändert, neuen Verhältnissen angepaßt werden. Wer das nicht hinbekam, konnte in der Regel zumachen. (Wer glaubt, das seien „gemachte Nester“ gewesen, hat von der Wirtschaft keine Ahnung.)

Falls jemand solchen Umbrüchen nicht gewachsen ist, wird er oder sie auch mit dem beste Laden flott in den Graben fahren. In manchen Betrieben leitet heute eine nächste Generation die Geschäfte, wahlweise hat sich das Setting völlig verändert. Manche Läden wurden aufgelöst, wie etwa Feinkost Muhr am Florianiplatz, wo anschließend ein Fotolabor bestand, heute Tee und Design der Stadtapotheke.

Florianiplatz: Vorboten des großen Umbaus.

Auch das hat alles seinen Ausdruck in Veränderungen des Stadtbildes. Was dazwischen geschehen war? Ein paar Beispiele. Die Spenglerei Csamay wurde eines Tages mit einer radikal neuen Marktsituation konfrontiert und mußte sich völlig verändern. Gregor Mörath hat mit sich gerungen und dann den Ausbau seines Betriebs beschlossen.

Der Buchhandlung Plautz wurde auf dem Hauptplatz (in Sichtweite) eine Libro-Filiale gegenübergestellt. Die Stadtapotheke im Zentrum teilt sich den Markt längst mit der Raabtalapotheke nahe dem GEZ.

Ich denke, es wird nach wie vor eher unterschätzt, was die Akteurinnen und Akteure all dieser Umbrüche am geistigen und kulturellen Leben der Stadt bewirkt haben. Zugleich sind die Konsequenzen solcher wirtschaftlichen wie soziokulturellen Prozesse für das Stadtbild eigentlich ein interessantes Thema, das man auch mit künstlerischen Mitteln bearbeiten könnte.

Unter anderem, weil wir inzwischen mitten in der Vierten Industriellen Revolution angekommen sind. (Die nächste Gründerzeit?) Außerdem erweist sich der Rückbau des zweispurigen Einbahnringes (bei gleichzeitiger Erneuerung und Erweiterung der Infrastruktur unter der Erde) als großes Unterfangen, das auch seine ästhetischen Aspekte hat.

Diese Situation rundet sich markant mit der kommenden Umgestaltung des Florianiplatzes. Was bedeutet all das? Was wird sichtbar und erfahrbar, wenn man solche Zusammenhänge unter anderem auch mit künstlerischen Mitteln bearbeitet? Zu welchen Arten der Kommunikation über und Interaktion mit unserem Lebensraum sind wir befähigt?

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