Romirer im Flußbett

Sich einer Angelegenheit bewußt werden. Im Englischen nennt man das Awareness. Unser Wort Aufmerksamkeit trifft es nicht so genau.

Eines der Abbilder der Fundstücke.

Künstlerin Christina Helena Romirer widmet sich solchen Zusammenhängen in einer ganz unaufgeregten Weise. Sie verschiebt das Bild von Gegenständen, die wir im Alltag ausblenden würden, um ein kleines Stück, was ganz neue Eindrücke schafft. Quasi via Abbild.

Da ich schon geraume Zeit eine Matrix der Gewässer erkunde, staune ich manchmal, wo überall welcher Abfall zu finden ist. Darunter vor allem auch Dosen und Flaschen, die teilweise zum Verrotten sehr lange brauchen.

Künstlerin Christina Helena Romirer auf der Schotterbank.

Romirer hat unter solchem Schwemmgut eine Auswahl getroffen, allerhand Zeug aus dem Wasser gezogen, um von diesen Fundstücken Negativformen abzunehmen. Anhand dieser Formen entstanden dann ihre „Imaginary Stones“, die im Rahmen der 2023er „Wasser-Biennale“ in Fürstenfeld wieder freigesetzt wurden.

Der „Walrücken“ auf der Schotterbank: Zugang und Abgang.

Kurator Günther Pedrotti hatte dazu eine Passage der Feistritz gewählt, in der eigenwillige Natur und menschlicher Zugriff auf die Gewässer anschaulich zusammenkommen; nämlich unterhalb der Wehr der alten Rennmühle.

„Willst du auch einen aussetzen?“ fragte mich Romirer und gab mir auf mein Ja eines der Exponate in die Hand. Es stand mir frei, den Platz dafür zu wählen. Das Wasser hatte auf der Schotterbank verschiedene Wege genommen und dabei einen bewachsenen Hügel entstehen lassen.

Der „Imaginary Stone“ an seinem nächsten Platz.

Diese Passage hat etwa die Größe eines Wals. Auf dem Rücken Baumbestand, Buschwerk, aber um Schwemmholz ergänzt. Flußabwärts sieht dieser Abschnitt – gemäß der Strömung – wie der Bug eines umgedrehten Bootes aus. Das war die Stelle meiner Wahl, um das Objekt auszusetzen.

Ich bevorzuge solche Projekte gegenüber den knackigen Appellen, mit denen bei uns zum „Naturschutz“ aufgerufen wird. Erstens, weil mir scheint, die Natur zu erleben, zu erfahren, ist ein vorrangiger Weg, um Wertschätzung zu erlangen. Zweitens, weil wir ja eigentlich nicht die Natur zu schützen haben, sondern unsere Lebensbedingungen als Spezies.

Fotograf Richard Mayr bei Durchsicht der Exponate.

Die Natur wird uns Menschen problemlos abschütteln, falls wir es mit unseren Eingriffen zu weit treiben. Was Mahnungen nützen, illustriert der Status quo. Die künstlerische Arbeit von Romirer bietet dagegen eine Blickwinkelverschiebung an. Indem die Künstlerin Müll kurz ästhetisiert, geschieht genau das, was der Begriff Ästhetik eigentlich bedeutet. Das griechische Aisthesis steht für Wahrnehmung.

Die Position zwischen „Walrücken“ und Flußufer.

Aus der Gedankenlosigkeit des beliebigen Wegwerfens kurz heraussteigen, und zwar genau dort, wo sich die Wegwerferei manchmal so deutlich manifestiert, in einem Flußbett, an Stellen, wo sich alles Ankommende verfängt, das halte ich für einen vorzüglichen Modus.

Natürlich ist das kein Massenprogramm, keine „Maßnahme“. Aber wer meint, Kunstpraxis sei dazu da, um zu belehren, zu erziehen, verwechselt die Genres. Kunst ist keine Reparaturanstalt für soziale Schieflagen, sondern eine Quelle von Wahrnehmungserfahrungen; Denkanstöße inbegriffen. Aber denken muß man dann schon selbst.

+) Die Stadt. Der Fluß. (Übersicht)
++) Matrix der Gewässer (Projekt)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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