Kulturpakt und Kulturspange
„Die Kulturspange ist das Ergebnis des Arbeitsjahres 2014. Wir sind damit bei einem konkreten Modus angekommen, der Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in Wechselwirkung bringt.“ [Quelle]

Kulturpakt und Kulturspange
„Die Kulturspange ist das Ergebnis des Arbeitsjahres 2014. Wir sind damit bei einem konkreten Modus angekommen, der Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in Wechselwirkung bringt.“ [Quelle]
Markierungen. Etiketten. Wir müssen es hinbekommen, für sehr komplexe Arbeitsvorhaben ein paar leicht betretbare Zugänge zu bilden, zu beschriften. Dahinter geht es dann natürlich nicht gerade flockig zu, sondern da muß konzentriert gearbeitet werden.
Auf dem Weg zum heurigen Aprilfestival stand nun in Schloß Freiberg „Die Ehre des Handwerks“ zur Debatte. Am zweiten Abend der Serie „Handfertigkeit und Poesie“ waren weitere Aspekte zu erörtern, die uns Bedingungen des Menschseins zu klären helfen.
Es gab in den letzten Jahren einige Abschnitte, da waren auch Kräfte aus Politik und Verwaltung geneigt, Teile der Oststeiermark als Kulturregion zu entwickeln. Die Betonung liegt auf „entwickeln“, denn man kann derlei weder dekretieren, noch durch PR-Maßnahmen herbeireden. Es muß erfahrungsgemäß in laufenden Prozessen erarbeitet werden.
Eben ist unser letztes April-Festival angelaufen. Ein Versuchsfeld kollektiver Kulturpraxis, aus dem nun der Kulturpakt Gleisdorf hervorgegangen ist. Diese neue Formation wird hier in der Region der Rahmen weiterer Entwicklungen sein. Das geht jetzt seine eigenen Wege.
Mein Beitrag zur kommenden Station in Markt Hartmannsdorf, für den Michaela Knittelfelder-Lang die Themenstellung „Human Melting Pot“ auf den Tisch gelegt hat, trägt den Titel „Imperium“ — ein Teil dieser Station. Wir sind dabei bisher zu viert, neben Knittelfelder-Lang und mir auch Michael Ramminger und Daniel Wetzelberger.
wenn sich zur frage der gestaltung unserer zukunft nicht nur leute aus der welt funktionstragender angesprochen fühlen sollen, wird es knifflig. „bottom up“, „bürgebeteiligung“, fein, aber wie gelingt kommunikation zwischen milieus, die kaum praktische erfahrung haben, einen austausch in augenhöhe zu pflegen? und wie gelingt dann erst konkrete kooperation?
solche fragen dürften im hintergund lauern, wenn es etwa um projekte wie „ienergie weiz-gleisdorf“ geht; siehe: [link] KOMMUNIKATION scheint mir dabei übehaupt DAS „schlüsselereignis“ zu sein. nun hat ein erster öffentlich zugänglicher abend zu dieser themenstellung stattgefunden: wie soll sich die region entwickeln? wie wollen wir in 40 jahren leben?
dazu hat ein projektteam fünf szenarien entworfen. das sind keine prognosen, sondern bloß denkmodelle von möglichen situationen in der zukunft. es stand dem publikum frei, eines der szenarien als das plausibelste hervorzuheben. ich hab zuerst eine eher pessimistische einschätzung bevorzugt. mit einer kleinen runde von „kunst ost“-leuten fanden wir uns dann aber bei der optimistischsten version wieder.
das hatte sehr wesentlich mit einer kurzen erörterung mit michael narodoslawsky von der tu graz zu tun, der bei jenem modell als diskussionspartner zur verfügung stand. er empfahl: „trennen wir einmal projekt und regionale realität“, was vermutlich meint, man solle sich den kopf frei machen, denn: „irgendwo muß man einmal anfangen zu klären, wo die region eigentlich hin will.“ dabei sollte man sich vermutlich nicht von überlegungen bezüglich des status quo einengen lassen.
narodoslawsky betonte: „regionalentwicklung spielt sich in den köpfen und in der kultur ab. wenn es da nicht hineingeht, ist es keine regionalentwicklung, sondern ein technologieprojekt.“ auf die frage, wovon wohl günstige veränderungsprozesse in einer ganzen region ausgelöst würden, falls für die menschen klar sei, WAS die region sei und was das alles mit ihnen zu tun habe, meinte narodoslawsky: „es braucht einen zündenden funken.“ und der habe mit IDENTITÄT zu tun.
aber welche IMPULSE könnten so einen funken auslösen? was muß geschehen, damit etwas „überspringt“? dazu meinte narodoslawsky, es gehe nicht nur um die impulse, sondern daß sie auch RESONANZ fänden. das skizziert ja klar eine KOMMUNIKATIONSSITUATION, vorzugsweise nicht im alten „broadcasting-modus“: ein sender, viele empfänger.
genau damit haben wir aber, trotz mehrerer jahre neuer mediensituation, noch erhebliche probleme: wie kommunizieren viele sender mit vielen empfängern, so daß mehr als bloß geschwätzigkeit und hintergrundrauschen herauskommen? müssen wir da auch mit inhalten anders umzugehen lernen? was bedeutet so eine kommunikationssituation für die welten „alter funktionärsherrlichkeit“? was heißt das für bürgerinnen und bürger, die den staat eher als service-eirichtung betrachten?
wenn als IDENTITÄT bei solchen vorhaben ein zentraler faktor ist, dann haben wir unter anderem von kulturellen agenda zu reden. wenn es um identität gehen soll, müssen wir ja eine vorstellung entwickeln, wer wir sind. das ist immer auch ein umgang mit DIFFERENZ.
wo im scheinbar widersprüchlichen ein größeres ganzes erkennbar werden mag, muß zur „erzählung“ dieses größeren ganzen eine vielfalt an stimmen zugelassen sein. auf dem boulevard suggeriert uns gängige medienpraxis, das sei nur über komplexitätsreduktion und knappe slogans/headlines möglich. ich bezweifle das…
[2050: übersicht]
nun stecken monate arbeit in diesem „april-festival“. so viele inspirierte leute haben sich aufgerafft, mehr zu tun als nur das eigene werk zu promoten. und obwohl ich die ganze zeit mitten in diesen prozessen gesteckt habe, bin ich verdutzt, was sich mir alles zeigt. auch falle ich in manches, das sich plötzlich ereignet, wie ein fremder, ein gast, hinein.
das sind ziemlich irritierende effekte, die mir zugleich große freude machen, weil sich darin eine ganz neue erfahrung andeutet. wir arbeiten zwar schon geraume zeit an der idee von „kollektiver kreativität“ und wie die sich ereignen mag, aber nun, wo sich das anscheinend stärker denn je einlöst, bin ich ziemlich überrascht, wie es sich anfühlt.
in diesen ereignissen tun sich mittlerweile auch unter den beitragenden stärkere kontraste auf als zuvor. da gibt es etwa eine künstlerin, die ein zehn jahre altes konzept aufwärmt und so schlampig umsetzt, daß die arbeit nach einer woche schon auseinandergefallen ist. gut, soll sein. andere haben sich dagegen auf die gesetzte themenstellung eingelassen und neue werke gründlich erarbeitet.
da riecht man an bildern noch die frische farbe. da darf ich dabei sein, wenn jemand seine ergebnisse per post erhält, auspackt, vor freude strahlt, weil die arbeiten den hoch angesetzten erwartungen entsprechen.
da plaudere ich mit dem kunstsammler erich wolf, der sich stets umsieht, was an künstlerischen arbeiten in der region entsteht, und erfahre von ihm, wer sich in den letzten zwei jahren gut sichtbar gesteigert habe.
es ist also ein lebhaftes geschehen, das sich im kontext von „kunst ost“ entfaltet. immer mehr leute nützen merklich die gelegenheit, erstens von einem konzentrierten kunstgeschehen impulse zu beziehen und zweitens dann durch das eigene tun ihrerseits impulse zu geben. ein kurioses kräftespiel.
mit fotograf franz sattler hatte ich inzwischen ein plauder-stündchen, in dem etliche dinge auf den punkt zu bringen waren. eine seiner arbeiten („in der hitze der nacht“) ist nun gegenstand der erste karte in einer kleinen edition von kunstkarten, die ich voranbringen möchte: [link]
ferner habe ich mit ihm erörtert, was ich davor schon mit kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov debattiert hatte. wir beginnen jetzt schon mit den vorbereitungen für das „april-festival“ 2012. die themenstellung geht noch näher an die menschen heran: „leben: die praxis der zuversicht“.
— [april-festival] —
durch welche verfahrensweisen läßt sich für den kulturbereich in der heutigen situation terrain halten? wir haben gerade erlebt, wie radikal sich der rückzug der öffentlichen hand vollzieht, wenn budgets einbrechen und strukturen wanken.
das aktuelle krisenmanagement war für uns überhaupt nur mit privatem einsatz von arbeitskraft und geld zu bewältigen. ansonsten wäre „kunst ost“ nun den bach hinuntergegangen. für mich schien vorrangig, das heurige „april-festival“ zustande zu bringen. das ist nach innen eine prüfung, was unser konzeptioneller arbeitsansatz taugt.
nach außen soll es ein signal sein, das den verantwortlichen aus politik und verwaltung demonstriert, was das kollektiv zu leisten imstande ist; inhaltlich und in der umsetzung. da bewährt sich nun jener prozeß aus mehreren jahren, in dem wir klären konnten, was alles NICHT geeignet ist, einen modus kollektiver kreativität voranzubringen.
dank dieser praktischen erfahrungen können wir uns heute in hohem maße auf jene schritte konzentrieren, die sehr vielversprechend erscheinen.
wir haben 2006 begonnen, ein setup herauszuarbeiten, welches aktuell stabilität bringt, wo sich in den letzten monaten – mangels verfügbarer budgets – einige mögliche kooperationspartner schlagartig verflüchtigt haben.
es war wichtig, für „kunst ost“ eine neue „basis-crew“ zu formieren, die sich so einer aufgabe gewachsen sieht, und – wie erwähnt – das „april-festival“ 2011 sicherzustellen. eine idee, ein handlungsplan, etwas geld und einige engagierte leute, die auch bereit sind, unbezahlte arbeit einzubringen.
das hat sich als leistungsfähige „grundausstattung“ erwiesen, um den aktuellen umbruch zu bewältigen. von hier aus sollte sich ein status erarbeiten lassen, der einen passablen mix von ehrenamtlicher und hauptamtlicher kulturarbeit ermöglicht.
das packen wir vor dem hintergrund einer mittefristigen entwicklung des inhaltlichen horizonts, dem sich „kunst ost“ widmet, an. das bedeutet, aus dem erst skizzenhaft entworfenen themenbogen „zwischen landwirtschaft und high tech“ haben wir nun konkrete inhaltliche arbeitsansätze, die von sehr verschiedenen personen mitgetragen werden.
ich habe die ganze situation am denkmodell der „drei sektoren“ orientiert. dabei ist keine hierarchische anordnung vorgesehen. ziel dieser orientierung ist eine kooperation von sachkundigen leuten aus den drei sektoren staat, markt und zivilgesellschaft. also
1) politik und verwaltung,
2) wirtschaft und
3) kulturschaffende als einzelpersonen wie als teil von vereinen.
das aktuelle „april-festival“ bildet diese vorstellung schon sehr konkret ab. die inhaltliche entwicklung haben wir in rund einem dreiviertel jahr kontinuierlicher themenarbeit realisiert: [link]
zur „basis-crew“ (krusche, peitler-selakov & strassegger-tipl) kamen heuer autonome „location-crews“ und (aktuell in erprobung) einige „labor-gruppen“. in dieser situation kommt den verantworlichen „schlüsselpersonen“ eine wesentliche rolle zu: [link]
sie sind nicht nur bindeglieder zwischen der „basis-crew“ und den verschiedenen autonomen formationen eines größeren vorhabens, sie sind auch garanten für eine vielfalt in den zugängen und verfahrensweisen.
das bedeutet, wir nehmen die „praxis des kontrastes“ sehr ernst. und wir sind gestimmt, die vereinbarkeit dieser komtraste zu demonstrieren. das bezieht sich übrigens auch auf die vier genres, die wir integrieren: alltagskultur, kunsthandwerk, voluntary arts und gegenwartskunst [link]
überdies haben wir, was die annäherung zwischen kulturschaffenden und wirtschaftstreibenden angeht, auch einen modus entwickelt, der sich inzwischen als sehr tragfähig erweist … siehe dazu den beitrag „im licht zu kontrasten„!
— [april-festival] —
— [übersicht] —
Wenn diese Region eine Erzählung wäre, dann könnte sie sich selbst erzählen, falls die Menschen, die hier leben und arbeiten, ihre Stimmen erheben würden. Die Stimmen zu erheben ist in diesem Fall auch metaphorisch gemeint und bezieht sich auf das Einsetzen der jeweils bevorzugten Kommunikations- und Gestaltungsmittel.
Das sind soziokulturelle Aufgabenstellungen. Wir erproben bei „kunst ost“ verschiedene Möglichkeiten, solche Prozesse herbeizuführen. Das Jahresthema 2011 lautet „elektrisiert“. Es geht dabei um den Funken, der uns bewegt, um auf die Zukunft aktiv zugehen zu können.
Bei der Arbeit am Teilprojekt „ungleich/ist gleich“ kam für uns ein zentraler Aspekt der ganzen Geschichte zum Vorschein; gewissermaßen eines der großen Themen menschlicher Gemeinschaft: Die Bewältigung der Wildnis.
Das meint nicht etwa die Beherrschung der Wildnis, denn diese Idee ist ein Phantasma, welches uns die Natur regelmäßig herunterräumt. Aber die Bewältigung der Wildnis als ein Ringen um Lebensräume, in denen die Menschenwürde sichere Orte hat, das ist eine große Aufgabe, die ohnehin nur in einzelnen Schritten angepackt werden kann.
Wir durchleuchten heuer Zusammenhänge im regionalen Leben zwischen agrarischer Welt und High Tech, zwischen trivialen Mythen und realen Strategien der Krisenbewältigung. Es geht gewissermaßen umd die Praxis der Zuversicht.
— [zum aprilfestival 2011] —