Unsere letzte Veranstaltung des Jahres 2012 fand dort statt, wo wir 2010 mit der Serie „talking communities“ begonnen gaben. In Novi Sad, zu Gast beim Kollektiv „Art Klinika“. Das war zugleich ein formeller Schlußakt in deren Projektreihe „Eutanazija“, mit welcher die serbische Formation einen Teil der krisenhaften Erfahrungen in diesem jungen Staat bearbeitet hat.
Gegenwartskunst, regionale Kultur- und Wissensarbeit, eigenständige Regionalentwicklung, Bildung, Alltagskultur, Mobilitätsgeschichte… das in der Oststeiermark hervorgehobene Signum „kunst ost“ steht für ein kleines Netzwerk, welches dem kulturellen Engagement auf der Höhe der Zeit gewidmet ist.
Ich habe in meine Serie von Arbeitsgesprächen nun auch ein Treffen mit Gerald Gigler gehabt, der beim Land Steiermark als Fachreferent für das EU-Programm LEADER zuständig ist. Iris Absenger-Helmli, LEADER-Managerin unsere Region, war mit am Tisch.
Wir haben gerade diverse globale Krisen durchlaufen, die sich in den Jahren 2009/20120 aufgebaut haben und spätestens Ende 2010 in den Dörfern und Kleinstädten unserer Region angekommen sind.
Ich finde inzwischen fast schon Vergnügen an dieser Unruhe. Kaum etwas bleibt an seinem Platz. Nichts ist bloß, was es zu sein scheint. Das fordert uns freilich im Kommunikationsverhalten. Es fällt mir momentan eher schwer, meine Sachen beinander zu halten.
Hat neue Aufgaben übernommen: Sandra Kocuvan (Kulturabteilung des Landes)
Das Projekt „kunst ost“ ist in der „Energieregion Weiz-Gleisdorf“ verankert; als ein LEADER-Projekt, demnach im Rahmen eines Förderprogrammes der EU formiert. Das weist auf eine anspruchsvolle Themenstellung hin.
Der regionale Verband mit Sitz in Weiz berichtet aktuell: >>So können wir bereits 30 LEADER-Projekte vorweisen, die in der Region seit 2007 umgesetzt wurden. In absoluten Zahlen heißt das € 8.319.450,00 Projektvolumen und € 3.470.294,00 Förderung. Hier nicht inkludiert sind rund 1,5 Millionen Euro, welche über das Projekt „iEnergy 2.0“ umgesetzt werden.<< [Quelle]
Zur Wiener und zur Pischelsdorfer Session gilt gleichermaßen, was einer wie ich dort hineinträgt und wozu er gerne mit etwas erweiterten Vorstellungen herausgehen würde: Es wäre angenehm, könnte ich als freischaffender Künstler das Jahreseinkommen und die Benefizien etwa eines Mittelschullehrers oder Universitätsprofessors genießen. Genau das am besten bei dem hohen Maß an Selbstbestimmung und bei freier Wahl der Themen wie Vorhaben, wie ich es eben seit Jahrzehnten gewohnt bin.
Es gibt allerdings keine öffentliche Einrichtung, die mir so einen Modus finanziert. Was an öffentlichen Geldern durch meine Hände geht, ist außerdem stets der Kofinanzierung konkreter Vorhaben gewidmet. Kein Einwand! Ich bin ja der Litaneisänger, dessen Lieblingsliedchen besagt: Keine 100 Prozent Abhängigkeit vom Staat!
Gemeinderat Karl Bauer: Wenn einer unserer engagiertesten Verbündeten Kommunalpolitiker und landwirtschaftlicher Funktionär ist, wie erklären wir ihm und uns dann, daß doch alle Politker angeblich Volldeppen seien?
Kofinanzierung! Da wäre also nicht von „Förderung“ zu reden, das ist ein wenig unzeitgemäß. Ich sehe meine Arbeit vielfach in KOOPERATION, denn die Stadt, das Land, der Bund, all deren Kultureinrichtungen stehen mir ja keineswegs buddhistisch-absichtslos gegenüber. Sie erscheinen als KooperationspartnerInnen mit ihren eigenen Intentionen und Zielen. Nur dort, wo wir in meinen Intentionen und Zielen Schnittpunkte finden, kann Geld fließen, das eben keineswegs MICH „fördert“, sondern UNSERE Kooperation kofinanziert.
Das meint nun kulturelle Agenda und speziell jene der Kunstvermittlung. Kunstproduktion hat notwendigerweise andere Regeln. Das muß klar sein.
Bliebe außerdem noch, auf dem freien Markt einen entsprechenden Umsatz zu generieren. Ich kenne Kunstschaffende, denen das gelingt. Doch diesen Job muß man mental und intellektuell drauf haben. Ich möchte so eine Existenz lieber nicht führen, weiß auch sehr genau warum, weshalb ich andere Modalitäten zu akzeptieren hab.
Blieben noch die Optionen „reiche Eltern haben“ oder „reich heiraten“. Kleiner Scherz! Faktum ist, daß sich ein Dasein als Freelancer im Kunstbereich gewöhnlich nur gut situierte Leute leisten können. Für den Rest ist es, wie für mich, eine Plackerei, die zu jedem Quartal, da Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeitrag fällig sind, ein paar zusätzliche Stress-Momente ergibt. Siehe dazu: „2.136,60 Euro pro Monat für Finanz und SVA“! [link]
Gut oder schlecht, so ist der Job. Überdies leistet sich mein Milieu, so weit ich sehe, allerhand sozialromantische Klitterungen. Daß in Politik und Verwaltung lauter Deppen säßen, wurde in den letzten Jahren oft und laut genug behauptet. Derlei schlampige Ansichten sind freilich keine haltbare Basis für sinnvolle Kooperationen auf dem Weg in neue Verfassungen des Metiers.
Rutschpartie auf dem glatten Boden eines oststeirischen Fahrtechnikzentrums; die Preisfrage: Haben wir auch nur irgendwas gemeinsam, worüber wir reden könnten?
Dazu kommt, was ich noch einmal kurz und herzlos betonen möchte: „Die Wirtschaft“ gibt es nicht. Rund 90 von 100 Prozent der österreichischen Unternehmen sind Klein- und Mittelbetriebe. Über 60 von 100 Prozent der österreichischen Betriebe sind EPU, also „Ein-Personen-Unternehmen“.
Wer also nicht auf Formen bürgerlicher Repräsentationskultur setzt, bleibt schon einmal außerhalb bewährter Felder konventionellen Sponsorings. Außerhalb dieser Felder müßte überhaupt erst neu geklärt werden, was geeignete Anlässe und Gegenstände wären, damit Wirtschaftstreibende Geld in Kunstprojekte investieren.
Dabei müssen wir zugeben, daß wir noch wenig wissen und wenig entwickelt, erprobt haben. Diese Arbeit steht erst an und hat den bescheidenen Nachteil, daß sie vorerst kaum Geldgewinn erwirtschaften läßt. Sie kostet Ressourcen. Genau dieser „Grundlagenbereich“ wäre eigentlich dringendes Ziel gemeinsamer Anstrengungen des ganzen Milieus.
Damit ließen sich die „Entwicklungskosten“ auf mehr Leute verteilen und wir würden als Milieu ein Ausmaß an Know how generieren, durch das alle von uns Vorteile gewinnen müßten, denn was sich davon auf breiterer Ebene bewähren würde, ließe die Branche stabiler werden.
Damit meine ich, Kunstschaffende müßten ihre Kräfte und Ideen bündeln, sich mit sachkundigen Leuten aus anderen Genres verständigen, und an der Entwicklung ökonomisch tragfähiger Ideen, Konzepte, Strategien arbeiten.
Bei Franz Seidl ("estyria") und manch anderen sind wir nicht auf Akquise, sondern bitten um grundlegende Gespräche, damit überhaupt erst einmal brauchbare Vorstellungen entstehen, womit wir es zu tun haben
Genau davon erfahre ich nichts, wenn ich mich zur Sache etwas umhöre. Die steirische „Szene“ zeigt ab und zu inhaltlich die Zähne, einige erfahrene Leute bringen Lesenswertes auf den Punkt. So etwa im Papier „Zur Lage der bildenden Kunst in Graz“ [link]
Doch mutmaßlich eine Mehrheit dieser „Szene“ bevorzugt das Verfassen von Protestnoten und Petitionen, hofft anscheinend, darin möge auch nur irgendein Segen liegen. Ein Beispiel aus dem Vorjahr ist das inhaltlich extrem dünne und in seinen Folgen völlig wirkungslose „Manifest“ zu Kontroverse um das Grazer Künstlerhaus: [PDF-link]
Ein aktuelles Beispiel wäre etwa die offene Facebook-Gruppe „Eichberg und Tannhaus“, mit der Autor Günther Eichberger dagegen mobil macht, daß
a) die Kleine Zeitung weiterhin auf seine Kolumnenbeiträge verzichtet und
b) die Einstellung externer Textformate in der „Kleinen Zeitung“ („Exit Graz“ in G7, „Stadtflaneur“ im Grazer Lokalteil u.a.) hingenommen werde. [Quelle]
Kurz gefaßte Protestnoten und Petitionen samt Unterschriftenlisten, statt zehn, fünfzehn Jahre konsequente kulturpolitische Arbeit. Das wird vermutlich nichts bringen, wie man auch „der Wirtschaft“ ruhig so allerhand zurufen kann, was dort kaum zur Verständigung beitragen dürfte.
Zitat Eichberger: „Eine rein betriebswirtschaftliche Sicht geht erfahrungsgemäß zu Lasten des Qualitätsanspruchs. Und sie kostet mehr Leserinnen und Leser, als sich das Erbsenzähler, die nur Bilanzen lesen, vorstellen können…“
Wunderbar! Das ist gewiß aufmerksam gehört worden und macht auch betriebswirtschaftlich allerhand Sinn. Zumindest in der Phantasie betriebsferner Flaneure. Ich darf versichern, das ist alles, wenn auch emotional redlich befeuert, ganz der Geist des vorigen Jahrhunderts. Das ist ferner eine etwas altbackene Rhetorik, die überdies ignorieren läßt, was ich oben schon angedeutet habe. Konzerne, wirklich große Companies, machen keine zehn Prozent der österreichischen Unternehmen aus.
Wir haben es bei der heimischen Wirtschaft in der Regel mit kleineren Formationen zu tun. Wer unter Kunstschaffenden ernsthaft annimmt, dort würden bloß profitorientierte Deppen ohne soziale und kulturelle Kompetenz fuhrwerken, hat definitiv keine Ahnung von diesen Dingen.
Kaufmann Gregor Mörath macht in seinem Geschäft eine erste Ausstellungserfahrung
Ich wüßte im Augenblick nicht, auf welcher Ebene wir mit welchen Argumenten losziehen könnten, um jene zu erreichen, die Eichberger für „Erbsenzähler“ und deren Bosse hält. Da wäre noch einige Denk- und Diskussionsarbeit nötig, um einmal erste Ansätze dingfest machen zu können. Eine Unterschriftenliste im Rahmen einer Facebook-Gruppe ist da bestenfalls eine Ersatzhandlung, wahrscheinlich eine vollkommen leere Geste.
Meistens haben wir es ohnehin nicht mit großen Companies, schon gar nicht mit globalen Players zu tun, sondern mit Klein- und Mittelbetrieben sowie mit Legionen von Ein- und Zweipersonen-Unternehmen. Haben wir diesen Leuten was zu sagen? Und falls ja, was genau?
+) Siehe zu einem Teil dieser Angelegenheiten und zu Fragen des kulturpolitischen Klimas in der Steiermark auch die Polemik „Ich glaub, mich tritt die Goaß“ [link]
Wir debattieren in unserem Milieu keine Fragen wie die nach dem Leistungsaustausch. Aber wir praktizieren es. Wenn „Die Szene“ Geld erwartet, sogar Geld fordert, sei es von der öffentlichen Hand oder von der Wirtschaft, impliziert das ja einen Leistungsaustausch. Die Forderung nach Geld ist evident, die nach MEHR Geld häufig.
Ich betreibe keine Philosophie, sondern rede dem realen Leben hinterher, wenn ich daran erinnere, daß Geld ein MEDIUM ist. Was immer andere Menschen an Prioritäten bevorzugen, in MEINEM Universum bleibt es unverzichtbar, stets neu zu klären:
a) WAS möchte ich in Geld konvertieren?
b) IN was möchte ich Geld konvertieren?
Gerald Gigler bei der Session in Wien
Gut, als Kunstschaffender ist mir das schnurzegal, weil ich in der künstlerischen Praxis mit solchen Kategorien nichts zu tun hab. Aber als Kulturschaffender empfinde ich da stets Klärungsbedarf. Verwechseln wir also nicht Fragen der Kunst und Fragen der Kunstvermittlung.
Eine Gesellschaft kennt viele Zusammenhänge, in denen erbringbare Leistungen NICHT einer kommerziellen Verwertungslogik unterworfen werden können. Wo wir das für uns geltend machen, müssen wir natürlich unsere Gründe nennen können. Ich hab im vorigen Beitrag [link] LEADER-Fachreferent Gerald Gigler erwähnt.
Giglers Feedback zur Wiener Session an mich berührt einen grundlegenden Bereich möglicher Schnittstellen verschiedener Genres. Er schreibt zum Beispiel: „Mechanismen, Qualitäten oder auch nur Themen, die mich und andere ‚berühren’, offenzulegen und deren innere Logik für unterschiedliche Kontextebenen brauchbar zu machen.“
Worum es da geht? Wir debattieren immer wieder, auf welchen Grundlagen praktikable ANSATZPUNKTE liegen können, um der Gegenwartskunst in der Provinz mehr Boden zu verschaffen. Diese Ansätze können nicht in der Kunst selbst liegen, sondern bedürfen ziemlich sicher grundlegenderer „Bezugsfelder“.
1982: Eine dichte "Club-Szene", in der sich Kunstschaffende erproben konnten, gab es im Landeszentrum, aber nicht in der Provinz
Da habe ich mit Gigler offenbar schon Konsens: „Ich glaube verstanden zu haben, was du für Intentionen hegst und von welchen Arbeitsprämissen du ausgehst. Ich versuche in der Regionalentwicklung ja ähnlich anzusetzen.“
Das bedeutet auch, wir haben nicht die Ambition, als „Provokateure“ im Sinne einer „antibürgerlichen Bohème“ aufzutreten, denn dieses Konzept ist in seiner heutigen Deutung über 200 Jahre alt und überdies „Zentrums-Kram“. Darin liegt keinerlei brauchbare Strategie für unsere Vorhaben in der Provinz, das ist bloß ein Rollenangebot für soziokulturelle „Pausen-Kasperln“, denen die Argumente ausgegangen sind.
Gigler geht es darum, und da sind wir uns einig, „an den Schnittstellen der Regionalentwicklung ‚Diskussion und Innovationskraft’ zu ‚provozieren’“. Er meint damit genauer ein „nicht systemangepasstes Verhalten – natürlich gepaart mit hoher Kompetenz in der Argumentation bzw. Dialektik“. Wir wissen ja beide, „dass ANDERE schon das als provokativ erachten, was nicht ihrem Denkschema entspricht“. Das trifft übrigens auch und besonders auf unser Milieu selbst zu.
Ich hab im vorigen Eintrag mit einem Gigler-Zitat zu jenem grundlegenden Bezugsfeld hingeführt, von dem aus mir dann auch der Bodengewinn für die Gegenwartskunst möglich erscheint: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Das klappt nämlich nicht, indem wir die Kunstfernen zum Auftakt über Kunst belehren wollten. Wir schon erwähnt, es wäre eine zu drollige Vorstellung: Der Künstler rennt zu Bauern und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er„beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
Wir verstanden uns als Ausdruck einer "Subkultur", die etablierten Formationen erschienen uns suspekt.
Derlei selbstreferenzielle und arrogante Bildungsschusselei war im Grunde schon Ende der 1970er-Jahre erledigt und – man beachte! – in eben ihrem Scheitern ein wesentlicher Entstehungsimpuls der damals ganz jungen Initiativenszene. Zum Mitschreiben:
Genau WEIL eurozentristisch und zentralistisch angelegte bildungsbürgerliche Bildungsschusselei sich als ziemlich untauglich erwiesen hat, genau WEIL a) „Entwicklungshilfe“ für „Entwicklungsländer“ und b) rund zwei Jahrzehnte heimischer Erwachsenenbildung auch all die Mängel und Defizite damaliger Ansätze offengelegt hatten, waren Ende der 1970er-Jahre Prozesse in Gang gekommen, die unter anderem jene kulturelle Initiativenszene hervorbrachten, zu der wir uns zählen.
Sind wir womöglich in der Steiermark heute zu eben dem geworden, was uns vor rund 30 Jahren als soziokulturelle Innovation ausgelöst hat? Das wäre ja etwas gruselig. Ich rede deshalb so bestimmt darüber, weil ich mich mit allerhand Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen herumtreibe und einigermaßen klare Vorstellungen hab, womit man ihnen die Plomben zieht und wodurch man ihre Verachtung lostritt.
Der Mechaniker und der Ingenieur, Rennsportlegende F. Thaler (links) und Syncro-Ingenieur E. Mohorko: "Die Bodenplatte ist heilig. Da könntest du sonst gleich ein neues Auto konstruieren, so teuer wird das."
Wir „beuyseln“ nicht, wenn wir einander begegnen, wir Künstler, Bauern, Handwerkern, Ingenieurinnen, sondern tun das mit Achtsamkeit uns Respekt. Niemand von jenen, mit denen ich dafür Zeit verbringe, würde den anderen eine Superiorität des eigenen Metiers aufschwatzen wollen. So ein paternalistisches Verhalten würde einen mit Sicherheit sofort aus diesen Kreisen heraushebeln.
Die Präsentation der Studie, welche Veronika Ratzenböck mit ihrem Team erarbeitet hat, stimmt zuversichtlich. Woher kommt dann die viele schlechte Laune unter den Kulturschaffenden in meiner direkten Umgebung? Naja, was generell gelingt, muß nicht alle von uns sanft betten. Gut, „sanft“ ist sowieso momentan nicht lagernd, kann auch auf absehbare Zeit nicht nachbestellt werden.
Wissenschafterin Veronika Ratzenböck
Die Wiener Session hat mir ergänzend deutlich gemacht, daß der Kulturbereich — ganz unabhängig von diversen krisenhaften Entwicklungen — generell gar nicht so übel beinander ist. Wir haben aber einen Verteilungswettkampf am Hals, ein Rennen um Budgets, das mit spitzen Ellbogen und anderen Artigkeiten ausgetragen wird.
Ich behalte einige Standardzeilen aus meinem Lieblingsliedchen auf den Lippen: „Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat wäre so ein Nordkorea-Modus. Will das jemand?“ Oder: „Als Künstler bin ich noch nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz aus.“ (Blöd, daß einen das rauhe Arbeitsklima schon geraume Zeit derart zaust, ich träume natürlich zwischendurch von einem Liegestuhl und kühlen Drinks on the house.)
Woher also Budgets nehmen und nicht stehlen, wenn Länder und Kommunen die Budgets runterfahren? Vom (Kunst-) Markt = Verkäufe von Werken? Von der Wirtschaft = Sponsoring?
Es ist ja klar, daß all unsere liebgewonnen Vorstellungen aus früheren Jahrzehnten völlig irrelevant werden, sobald wir a) die Landeszentren verlassen und dann womöglich auch noch b) von den Feldern bürgerlicher Repräsentationskultur runtersteigen.
Kleiner Einschub:
Ich hab keinerlei Ressentiments gegenüber bürgerliche Repräsentationskultur. Ich hab bloß die Erfahrung gemacht, daß sie für Agenda der eigenständigen Regionalentwicklung kaum etwas hergibt; im inhaltlichen wie im materiellen Sinn des Wortes „hergeben“. Sie bringt uns kaum etwas für die Arbeit an neuen Optionen. Aber sie sichert in einigen Nischen kulturellen Grundkonsens. Das hilft auch.
Für "LEADER Kultur" zuständig: Sandra Kocuvan und Gerald Gigler
Gerald Gigler, der für LEADER zuständige Fachreferent beim Land Steiermark, hat mir zur Wien-Session noch ein paar Überlegungen und Einwände zugeworfen. Darunter zu Fragen der Funktionen von Gegenwartskunst:
„Was noch immer nicht beantwortet, welche Art von Kunst das nun sein wird, aber etwas hat mir schon einen Stich versetzt, dass du die Kunst nicht als ‚soziokulturellen Entwicklungshelfer’ sehen willst. Siehst du unsere ‚Ansprüche’ (Joseph II) wirklich so? Künstler als Unternehmensberater? Nein, hatten wir nicht im Sinn, aber – wie du immer betonst – das Schaffen von ‚NEUEN Verhandlungsebenen’, für Kunst, für gesellschaftliche Entwicklung, das kann schon ein verfolgbares Ziel sein.“
In Pischelsdorf hatte ich bemerkt, daß ich keine allgemeine Kenntnis voraussetzen darf, wer und warum er „J’accuse!“ ausgerufen hat. So verstand zwar Gigler meine ironische Erwähnung Josef II, aber ich erkläre es für alle Fälle kurz.
Seit dieser aufgeklärte Monarch in Österreich geschaltet und gewaltet hat, scheinen wir eine ungebrochene Tradition zu genießen, in der Reformen „von oben“ kommen, also von Regierungsseite. Seit jener Zeit haben wir auch den Typ des Künstlers im Staatsdienst als vertrautes Sujet vor Augen. Zum Thema „oben/unten“ siehe: [link]
In der Tat und peinlicherweise sind die gegenwärtigen Sonderrichtlinien plus das steirische Punkteprogramm zu LEADER Kultur sehr viel anregender als vieles, was ich seit Jahren von der steirischen Szene lese. Während wir also „vorne“ die Kulturpolitik lauthals schmähen, bekommen wir „hinten“ von der Beamtenschaft recht interessante Diskussionsgrundlagen zugestellt.
+) Die „Sechs Punkte“ von Gerald Gigler: [link]
+) Die Sonderrichtlinien: [link]
Nun muß ich einerseits, wie sich zeigt, die Autonomie der Kunst verteidigen, weil zu viele Leute mit unscharfen Vorstellungen herumgeistern, und zum Beispiel annehmen, Kunst ließe sich als soziokulturelles Reparatur-Set funktionalisieren. (Mumpitz!) Ich muß andrerseits völlig neue Arbeitsansätze finden, wo es um Kulturarbeit und eigenständige Regionalentwicklung geht, weil sich veraltete Zentrumskonzepte nicht in der Provinz recyceln lassen, wie sich auch die Provinz nicht „urbanisieren“ läßt.
IG Kultur: Stefan Schmitzer und Juliane Alton in Pischelsdorf
Ergo kann ich, von einigen Teilaspekten abgesehen, für die (kulturelle) Emanzipation der Provinz gegenüber den Zentren keine Zentrumsstrategien anwenden. Wir müssen hier schon selbst herausfinden, was es überhaupt geben sollte und wie es zu erreichen wäre.
Gerald Gigler meinte auch: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Es wäre eine zu drollige Vorstellung:
Der Künstler rennt zu Bauern d und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er „beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
So hat das natürlich Gigler nicht gemeint, so hab auch ich das noch nie versucht, aber derlei fahrlässiges „Beuyseln“ kommt tatsächlich gelegentlich vor, wenn manche Spießer und Mittelschicht-Trutschen sich selbst auf Bauern oder Mechaniker loslassen. Na, das muß ich noch genauer ausführen. Was ich mit „Beuyseln“ meine, ist hier skizziert: [link]
Aber nun kurz zurück zu den klar erinnerbaren Anfängen von kunst ost, in erster Schreibweise noch kunst O.ST, was auf den Regionsbegriff „Oststeiermark“ verwies. Rückblickend läßt sich ein Abend konstituierender Ereignisse markieren. Der 6. März 2007: [link]
Wir hatten bei kultur.at zu der Zeit eine Kooperation mit dem Festival steirischer herbst erreicht, um so im Herbst 2007 einen Kunstakzent von internationaler Relevanz zu realisieren. Der Auftakt dazu war für 16. März festgesetzt: [link] Im Mai folgte, als Zwischenschritt, die kleine Ausstellung „Nobody Want’s To Be Nobody“.
Veronica Kaup-Hasler (steirischer herbst, links) und Mirjana Peitler-Selakov (kultur.at, Mitte) bei der Eröffnung in Gleisdorf
Das eingangs erwähnte Treffen vom 6. März hatte ich als eine Einladung an regionale Kräfte konzipiert, mit einem Auftritt an die Herbst-Geschichte anzudocken und ein Gesamtereignis herbeizuführen, in dem internationale und regionale Kräfte in Wechselwirkung kamen.
Das war also 2007 gewissermaßen die Vorläufersituation zum aktuellen Programmschema, in dem diese zwei Positionen allerdings heute geteilt sind: Regionale Kräfte im ersten Halbjahr (April-Festival), internationaler Kontext im zweiten Halbjahr.
Ende März 2007 hatte ich außerdem noch ein Gespräch in Weiz erwirkt, bei dem wir eine mögliche Kooperation Kulturschaffender quer durch die Region erörterten: [link] Das war die kulturpolitische Ebene; mit einigen Konsequenzen, die ich damals nicht einmal geahnt habe, denn es sollte später noch für erhebliche Unruhe sorgen, daß unser Arbeitsansatz der regionalen Kulturpolitik ganz neue Optionen zumutete: [link]
Gleisdorfer Kunst- und Kulturschschaffende beim ersten 2007er-Treffen, das zu kunst ost führte
Für die Ebene der primären Kräfte hatte ich einen „Dreisprung“ vorgeschlagen. Es ging mir darum, daß wir in drei festgelegten Schritten innerhalb von drei Jahren die praktische Kooperation üben konnten und innerhalb der Region schrittweise wachsen würden; falls alles gut ging. Die „1 von 3“ trug den Titel „next code: flow“ und ging im November 2007 auf dem Weizberg über die Bühne: [link]
Mit der „2 von 3“ im Jahr 2008 waren wir bei den konzeptionellen Grundlagen des April-Festivals angelangt: [link] 2009 folgte die „3 von 3“ und 2010 hatte ich mit der ganzen Geschichte einen Status quo erreicht, der uns neue Möglichkeiten bot, weil kunst ost inzwischen zu einem LEADER-Kulturprojekt geworden war; weshalb wir es aus kultur.at auslagerten und als eigenständige Rechtsperson aufstellten. Hier eine kleine Zusammenfassung dieser Schritte: [link]
Von links: Winfried Kuckenberger (Kulturbüro), Christoph Stark (Bürgermeister) und Hannes Felgitsch (Kulturreferent) vertraten das "offizielle Gleisdorf" beim Weizer Treffen
Ich denke, einer der wichtigsten Aspekten dieses Prozesses lag darin, regionale und internationale Kräfte in ein Wechselspiel zu bringen, so daß für die Kreativen in der Region neue Impressionen und Erfahrungen zum fixen Bestandteil unseres gemeinsamen Tuns wurden. Außerdem haben wir im kulturpolitischen Bereich eingelöst, was die Kommunen seit Jahren offiziell erwarten und erbitten: „Bürgerbeteiligung“, Bürgerinnen selbstverständlich eingeschlossen. Genau dieses Einlösen des Bottom up-Prinzip hat uns allerdings in manchen Gemeindestuben auch erhebliche Widerstände beschert.
Ich hab vor fast genau einem Jahr, beginnend am 21. März 2011, kurz zusammengefaßt, wo wir damals gerade mit kunst ost standen: [link] Es war das „Krisenjahr“, in dem die bestürzenden Budgeteinbrüche der Kommunen voll zur Wirkung kamen. Die weltweiten Krisen von 2008/2009 hatten voll zu uns durchgeschlagen, gerade im Kulturbereich wurde bedenkenlos gekürzt.
Ich habe in sehr schöner Erinnerung, was uns als Kollektiv in diesem schwierigen Jahr gelungen ist. Für mich steht außer Zweifel, daß wir diese Ergebnisse heuer bestätigen und stabilisieren können. Nächstes Jahr wird die aktuelle LEADER-Periode enden. Diesen Zusammenhang möchte ich noch kurz erläutern.
Wir sind in einer LEADER-Region, der Energie-Region Weiz-Gleisdorf (Oststeiermark), angesiedelt. Deshalb haben wir eine grundlegende Themenstellung formuliert, die ausdrückt, was hier prägend erscheint: „Zwischen Landwirtschaft und High Tech“. In diesem Gesamtzusammenhang entfalten wir seit Jahren unsere Aktivitäten.
Was diese Region angeht, finden Sie hier weiterführende Details: [link]
Auf dem Weg zum überhaupt ersten LEADER-Kulturprojekt des Landes im Jahr 2009 hatte ich die erhebliche Freiheit, daß mir niemand sagen konnte, wie zu verfahren wäre. Es gab ein interessantes Regelwerk, das sich von der Landesebene her aus a) Sonderrichtlinien und b) einem eigenen Arbeitspapier zusammensetzte:
a) Aktionsprogramm Achse 4 LEADER [Link]
b) Sechs Punkte zum Kulturgeschehen (Gerald Gigler) [link]
Es gab meine eigenen Erfahrungen aus der Praxis mit kultur.at und dem künstlerischen Langzeitprojekt the long distance howl, dessen damaliger Abschnitt unter dem Titel next code der Suche nach neuen Codes und Vorgangsweisen im Kunstkontext gewidmet war: [link]
Ich hatte außerdem seit den 1980ern meine Erfahrungen mit den Ideen eigenständiger Regionalentwicklung. Von da her war klar, daß jenseits des Landeszentrums noch keinerlei kulturpolitische Konzepte bestanden, die über Gemeindegrenzen hinausreichten; wenn wir vom Veranstaltungstyp „Landesausstellung“ und dessen Folgekonzept „regionale“ absehen. Aber die sind beide top down angelegt. Mich interessierte, was für einen Künstler bottom up möglich wäre…