Bezüglich Veranstaltungen stehen wir (in meinem Umfeld) alle noch auf der Bremse. Die Bedingungen sind vorerst so gehalten, daß sie samt der Haftungsfragen für kleine Initiativen derart hohe Anforderungen stellen, da sage ich momentan: nein danke!

Bezüglich Veranstaltungen stehen wir (in meinem Umfeld) alle noch auf der Bremse. Die Bedingungen sind vorerst so gehalten, daß sie samt der Haftungsfragen für kleine Initiativen derart hohe Anforderungen stellen, da sage ich momentan: nein danke!

Die Themenstellung des Abends lautete: „Was darf Kunst?“ Da diese Frage ohnehin Mumpitz ist, kam sie wesentlich auch gar nicht erst zur Sprache. Statt dessen führte die Einleitung zu Pablo Picasso, von dem ein Zitat aus ungenannter Quelle deutlich machen sollte, daß er eigentlich jene verachtete, die für seine Werke sehr viel Geld ausgaben.
Ich lebe gerne in der Provinz. Ich mag den Begriff. Wo mich jemand „Provinzler“ nennen möchte, werden wir kein Problem haben. Wer annimmt, das werde nun provinziell, wird sehen, womit er es zu tun bekommt.
Seit Jahren steht im steirischen Kulturbetrieb ein kleiner, feiner Fragenkomplex im Raum, zu dem ich kaum Antworten höre. Im öffentlichen Diskurs muß er mit der Lupe gesucht werden. Ich könnte auch auf Anhieb keine Website nennen, die uns Auskunft gäbe, welche Ansichten dazu in der Steiermark gerade aktuell und präsent sind.
Ich saß im etwas entlegenen Gutenberg mit der IEFS-Frau Maki Stolberg an einem Tisch, den auch Andreas Gratl und Franziska Hederer aus dem Architekturbereich mit uns teilten. Eine Station im „April-Festival“ von „kunst ost“ im Rahmen unserer Diskursreihe: [link]
Mein Motto muß mehr denn je lauten: Aufwertung des Kulturbereiches in einer Abwärtsbewegung der Budgets. Wie kann das gehen? Meine bevorzugte Mutmaßung: Nur durch rigorose inhaltliche Arbeit und angemessene Kooperationen. Einen anderen Weg sehe ich derzeit nicht.
Wie sollen oder können Kooperationsverhältnisse zwischen Zentrum und Provinz angeordnet sein, um beiden Seiten zu nützen? Welche gemeinsamen geschäftlichen Grundlagen sind denkbar, wenn private Initiative, öffentliche Hand und Wirtschaft zu Übereinkünften finden sollen? Und wozu all das?
Ich hab in einem früheren Eintrag jenes Motiv herausgestellt, mit dem wir einen gemeinsamen Nenner für sehr verschiedene Instanzen dieser Gesellschaft haben dürften:
„Dieser Region ein Bild ihrer selbst zu geben“ [link]
Die Präsentation der Studie, welche Veronika Ratzenböck mit ihrem Team erarbeitet hat, stimmt zuversichtlich. Woher kommt dann die viele schlechte Laune unter den Kulturschaffenden in meiner direkten Umgebung? Naja, was generell gelingt, muß nicht alle von uns sanft betten. Gut, „sanft“ ist sowieso momentan nicht lagernd, kann auch auf absehbare Zeit nicht nachbestellt werden.

Die Wiener Session hat mir ergänzend deutlich gemacht, daß der Kulturbereich — ganz unabhängig von diversen krisenhaften Entwicklungen — generell gar nicht so übel beinander ist. Wir haben aber einen Verteilungswettkampf am Hals, ein Rennen um Budgets, das mit spitzen Ellbogen und anderen Artigkeiten ausgetragen wird.
Ich behalte einige Standardzeilen aus meinem Lieblingsliedchen auf den Lippen: „Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat wäre so ein Nordkorea-Modus. Will das jemand?“ Oder: „Als Künstler bin ich noch nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz aus.“ (Blöd, daß einen das rauhe Arbeitsklima schon geraume Zeit derart zaust, ich träume natürlich zwischendurch von einem Liegestuhl und kühlen Drinks on the house.)
Woher also Budgets nehmen und nicht stehlen, wenn Länder und Kommunen die Budgets runterfahren? Vom (Kunst-) Markt = Verkäufe von Werken? Von der Wirtschaft = Sponsoring?
Es ist ja klar, daß all unsere liebgewonnen Vorstellungen aus früheren Jahrzehnten völlig irrelevant werden, sobald wir a) die Landeszentren verlassen und dann womöglich auch noch b) von den Feldern bürgerlicher Repräsentationskultur runtersteigen.
Kleiner Einschub:
Ich hab keinerlei Ressentiments gegenüber bürgerliche Repräsentationskultur. Ich hab bloß die Erfahrung gemacht, daß sie für Agenda der eigenständigen Regionalentwicklung kaum etwas hergibt; im inhaltlichen wie im materiellen Sinn des Wortes „hergeben“. Sie bringt uns kaum etwas für die Arbeit an neuen Optionen. Aber sie sichert in einigen Nischen kulturellen Grundkonsens. Das hilft auch.

Gerald Gigler, der für LEADER zuständige Fachreferent beim Land Steiermark, hat mir zur Wien-Session noch ein paar Überlegungen und Einwände zugeworfen. Darunter zu Fragen der Funktionen von Gegenwartskunst:
„Was noch immer nicht beantwortet, welche Art von Kunst das nun sein wird, aber etwas hat mir schon einen Stich versetzt, dass du die Kunst nicht als ‚soziokulturellen Entwicklungshelfer’ sehen willst. Siehst du unsere ‚Ansprüche’ (Joseph II) wirklich so? Künstler als Unternehmensberater? Nein, hatten wir nicht im Sinn, aber – wie du immer betonst – das Schaffen von ‚NEUEN Verhandlungsebenen’, für Kunst, für gesellschaftliche Entwicklung, das kann schon ein verfolgbares Ziel sein.“
In Pischelsdorf hatte ich bemerkt, daß ich keine allgemeine Kenntnis voraussetzen darf, wer und warum er „J’accuse!“ ausgerufen hat. So verstand zwar Gigler meine ironische Erwähnung Josef II, aber ich erkläre es für alle Fälle kurz.
Seit dieser aufgeklärte Monarch in Österreich geschaltet und gewaltet hat, scheinen wir eine ungebrochene Tradition zu genießen, in der Reformen „von oben“ kommen, also von Regierungsseite. Seit jener Zeit haben wir auch den Typ des Künstlers im Staatsdienst als vertrautes Sujet vor Augen. Zum Thema „oben/unten“ siehe: [link]
In der Tat und peinlicherweise sind die gegenwärtigen Sonderrichtlinien plus das steirische Punkteprogramm zu LEADER Kultur sehr viel anregender als vieles, was ich seit Jahren von der steirischen Szene lese. Während wir also „vorne“ die Kulturpolitik lauthals schmähen, bekommen wir „hinten“ von der Beamtenschaft recht interessante Diskussionsgrundlagen zugestellt.
+) Die „Sechs Punkte“ von Gerald Gigler: [link]
+) Die Sonderrichtlinien: [link]
Nun muß ich einerseits, wie sich zeigt, die Autonomie der Kunst verteidigen, weil zu viele Leute mit unscharfen Vorstellungen herumgeistern, und zum Beispiel annehmen, Kunst ließe sich als soziokulturelles Reparatur-Set funktionalisieren. (Mumpitz!) Ich muß andrerseits völlig neue Arbeitsansätze finden, wo es um Kulturarbeit und eigenständige Regionalentwicklung geht, weil sich veraltete Zentrumskonzepte nicht in der Provinz recyceln lassen, wie sich auch die Provinz nicht „urbanisieren“ läßt.

Ergo kann ich, von einigen Teilaspekten abgesehen, für die (kulturelle) Emanzipation der Provinz gegenüber den Zentren keine Zentrumsstrategien anwenden. Wir müssen hier schon selbst herausfinden, was es überhaupt geben sollte und wie es zu erreichen wäre.
Gerald Gigler meinte auch: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Es wäre eine zu drollige Vorstellung:
Der Künstler rennt zu Bauern d und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er „beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
So hat das natürlich Gigler nicht gemeint, so hab auch ich das noch nie versucht, aber derlei fahrlässiges „Beuyseln“ kommt tatsächlich gelegentlich vor, wenn manche Spießer und Mittelschicht-Trutschen sich selbst auf Bauern oder Mechaniker loslassen. Na, das muß ich noch genauer ausführen. Was ich mit „Beuyseln“ meine, ist hier skizziert: [link]
— [Dokumentation] —
Wir haben die Session in Pischelsdorf zweigeteilt erlebt. Im ersten Abschnitt waren Retrospektive und Reflexion der Arbeit des Kollektivs K.U.L.M auf dem Programm. Die Repräsentation verlangte also reichlich Platz. Natürlich war das IMPLIZIT auch kulturpolitischer Natur. Aber es drückte zugleich aus, was wir im Steirischen längst bevorzugen, nämlich die Kür zu tanzen und die Pflicht als erledigt zu betrachten.
Ich denke, das Betonen eigener Verdienste hat zwar wohltuende Wirkungen, ist aber kulturpolitisch von geringer Relevanz. So lange wir uns selbst nicht als eine fundamentale Quelle der Kulturpolitik verstehen, so lange wir das hauptsächlich der Funktionärswelt zuschreiben, so lange wir um eigene Bedeutung ringen, aber die Verantwortung für all das anderen auf den Hut stecken, bleibt unser Lauf der Dinge in dieser Sache völlig diffus.
Damit möchte ich betonen, daß der eigene, recht umfassende kulturpolitische „Sündenfall“ von uns gerne bemäntelt und geleugnet wird, statt daß wir ihn konsequent bearbeiten. Das zeigt sich eben auch an solchen Tagen, die ja eine Chance gewesen wären, so manchen Stier an den Hörnern zu packen; und sei es bloß jenen unserer umfassenden Weigerung, uns selbst als primär konstituierende Kräfte von Kulturpolitik zu verstehen und zu verantworten.
Dann hätte diese Veranstaltung keineswegs der Repräsentation gewidmet sein dürfen, sondern die Zusammenkunft Kulturschaffender und die insgesamt verfügbare Zeit wären einer Verständigung über den Status quo zu widmen gewesen, speziell jenes der Kunst- und Kulturschaffenden in der Provinz. Also zu Beispiel eher eine Konferenz am Nachmittag, eine Präsentation von a) Konferenzergebnissen und b) geplanten Schritten am Abend, anschließend die Inputs von Juliane Alton und mir mit anschließend öffentlicher Debatte dieser Inputs allgemeinerer Natur.
Schon die Titelgebung der Veranstaltungsserie zuzüglich einiger „Tagestitel“ ist ja verräterisch, läßt erahnen, daß wir in Fragen der Kulturpolitik längst mit trüben Kategorien arbeiten, weshalb neue Klärungen wohl hilfreich wären.
Der Titel unserer Pischelsdorfer Session lautete: „Kulturpolitiken im ländlichen Raum“. Er präsentiert den Plural des Diffusen, da wir schon im Singular „Kulturpolitik“ kaum Klarheit und schon gar nicht Konsens haben, worüber wir reden. Den Titel „Strategien einer Kulturpolitik von unten“ finde ich rundheraus entsetzlich. Ich kann nicht verstehen, warum wir in unseren Sprachregelungen alte Hirarchiekonzepte reproduzieren und wie es also kommt, daß „wir“ jene seien, die „unten“ Politik machen würden.
So bleibt mir weiters schleierhaft, was uns annehmen läßt, daß die Welt der Funktionstragenden „oben“ angesiedelt sei, quasi auf einem steirischen Olymp oder Dachstein, warum also das, was wir etwa von einem Landeskulturreferenten erfahren, „Kulturpolitik von oben“ sei, der wir „von unten“ gegenüber stünden.
Gerade wir Kunstvölkchen sollten um die Macht von Codes, von Begriffen und Sprachkonventionen bescheid wissen. Wir sollten Ahnung und Kompetenzen haben, daß wir mit unserer Sprache das Denken prägen und Realität konstituieren. So gesehen ist allein schon die Metaphorik des „Oben-Unten“ ebenso unerträglich wie unakzeptabel, ist außerdem verräterisch, weil sie offenbart, wo “Die Szene“ sich selbst zu sehen meint.
Eigentlich bietet unsere Kultur- und Ideengeschichte da eine Ermutigung und Anregung, die in solchen Selbstdarstellungen unberücksichtigt bleibt. Die Vorstellung von Politik ergab sich begrifflich aus der „Polis“, heute würden wir von Gemeinwesen und von Zivilgesellschaft sprechen, aber auch von „Politiká“, quasi der konsequenten Befassung mit Fragen und Angelegenheiten der „Polis“.
Der „Politikos“ ist der „Staatsmann“, welcher die „Staatskunst“ ausübt, da wäre heute eben von „Politkerinnen und Politikern“ sprechen, vom Funktionärswesen. Nun ist aber in meinem Universum die Politik NICHT das, was die Funtionärswelt generiert. Politik tritt erst in Erscheinung, wenn Funktionärswelt und Zivilgesellschaft interagieren.
In solcher Auffassung von Demokratie verbieten sich aber Denkmodelle des „Oben“ und „Unten“ einer Politik oder politischer Maßnahmen. Die Augenhöhe ist ein konstituierendes Element, selbst wenn die Funktionärswelt natürlich über andere, teils sehr kraftvolle Mittel verfügt. Das liegt im Wesen einer repräsentativen Demokratie. Und genau deshalb sollten wir sehr viel konkretere Vorstellungen von kulturpolitischer Praxis haben, stett jenen, die wir „oben“ vermuten, bloß etwas zuzurufen.
— [Dokumentation] —