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Zwischen den Ebenen pendeln

Winfried Lehmann hat jetzt so weit Klarheit, daß seine „kunst ost“-Location Crew in Ludersdorf als konstituiert gelten darf. Er ist die Schlüsselperson eines Kreises Kreativer, die nun in gemeinsame Praxisschritte gehen. Details wird er zu einem späteren Zeitpunkt seines Projektverlaufes bekannt geben. Lehmann im Web: [link]

Winfried Lehmann schafft in Ludersdorf eine neue kulturelle Faktenlage

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kunst ost: reflexionen #5

Kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit

Aber nun kurz zurück zu den klar erinnerbaren Anfängen von kunst ost, in erster Schreibweise noch kunst O.ST, was auf den Regionsbegriff „Oststeiermark“ verwies. Rückblickend läßt sich ein Abend konstituierender Ereignisse markieren. Der 6. März 2007: [link]

Wir hatten bei kultur.at zu der Zeit eine Kooperation mit dem Festival steirischer herbst erreicht, um so im Herbst 2007 einen Kunstakzent von internationaler Relevanz zu realisieren. Der Auftakt dazu war für 16. März festgesetzt: [link] Im Mai folgte, als Zwischenschritt, die kleine Ausstellung „Nobody Want’s To Be Nobody“.

Veronica Kaup-Hasler (steirischer herbst, links) und Mirjana Peitler-Selakov (kultur.at, Mitte) bei der Eröffnung in Gleisdorf

Das eingangs erwähnte Treffen vom 6. März hatte ich als eine Einladung an regionale Kräfte konzipiert, mit einem Auftritt an die Herbst-Geschichte anzudocken und ein Gesamtereignis herbeizuführen, in dem internationale und regionale Kräfte in Wechselwirkung kamen.

Das war also 2007 gewissermaßen die Vorläufersituation zum aktuellen Programmschema, in dem diese zwei Positionen allerdings heute geteilt sind: Regionale Kräfte im ersten Halbjahr (April-Festival), internationaler Kontext im zweiten Halbjahr.

Ende März 2007 hatte ich außerdem noch ein Gespräch in Weiz erwirkt, bei dem wir eine mögliche Kooperation Kulturschaffender quer durch die Region erörterten: [link] Das war die kulturpolitische Ebene; mit einigen Konsequenzen, die ich damals nicht einmal geahnt habe, denn es sollte später noch für erhebliche Unruhe sorgen, daß unser Arbeitsansatz der regionalen Kulturpolitik ganz neue Optionen zumutete: [link]

Gleisdorfer Kunst- und Kulturschschaffende beim ersten 2007er-Treffen, das zu kunst ost führte

Für die Ebene der primären Kräfte hatte ich einen „Dreisprung“ vorgeschlagen. Es ging mir darum, daß wir in drei festgelegten Schritten innerhalb von drei Jahren die praktische Kooperation üben konnten und innerhalb der Region schrittweise wachsen würden; falls alles gut ging. Die „1 von 3“ trug den Titel „next code: flow“ und ging im November 2007 auf dem Weizberg über die Bühne: [link]

Mit der „2 von 3“ im Jahr 2008 waren wir bei den konzeptionellen Grundlagen des April-Festivals angelangt: [link] 2009 folgte die „3 von 3“ und 2010 hatte ich mit der ganzen Geschichte einen Status quo erreicht, der uns neue Möglichkeiten bot, weil kunst ost inzwischen zu einem LEADER-Kulturprojekt geworden war; weshalb wir es aus kultur.at auslagerten und als eigenständige Rechtsperson aufstellten. Hier eine kleine Zusammenfassung dieser Schritte: [link]

Von links: Winfried Kuckenberger (Kulturbüro), Christoph Stark (Bürgermeister) und Hannes Felgitsch (Kulturreferent) vertraten das "offizielle Gleisdorf" beim Weizer Treffen

Ich denke, einer der wichtigsten Aspekten dieses Prozesses lag darin, regionale und internationale Kräfte in ein Wechselspiel zu bringen, so daß für die Kreativen in der Region neue Impressionen und Erfahrungen zum fixen Bestandteil unseres gemeinsamen Tuns wurden. Außerdem haben wir im kulturpolitischen Bereich eingelöst, was die Kommunen seit Jahren offiziell erwarten und erbitten: „Bürgerbeteiligung“, Bürgerinnen selbstverständlich eingeschlossen. Genau dieses Einlösen des Bottom up-Prinzip hat uns allerdings in manchen Gemeindestuben auch erhebliche Widerstände beschert.

Ich hab vor fast genau einem Jahr, beginnend am 21. März 2011, kurz zusammengefaßt, wo wir damals gerade mit kunst ost standen: [link] Es war das „Krisenjahr“, in dem die bestürzenden Budgeteinbrüche der Kommunen voll zur Wirkung kamen. Die weltweiten Krisen von 2008/2009 hatten voll zu uns durchgeschlagen, gerade im Kulturbereich wurde bedenkenlos gekürzt.

Ich habe in sehr schöner Erinnerung, was uns als Kollektiv in diesem schwierigen Jahr gelungen ist. Für mich steht außer Zweifel, daß wir diese Ergebnisse heuer bestätigen und stabilisieren können. Nächstes Jahr wird die aktuelle LEADER-Periode enden. Diesen Zusammenhang möchte ich noch kurz erläutern.

Wir sind in einer LEADER-Region, der Energie-Region Weiz-Gleisdorf (Oststeiermark), angesiedelt. Deshalb haben wir eine grundlegende Themenstellung formuliert, die ausdrückt, was hier prägend erscheint: „Zwischen Landwirtschaft und High Tech“. In diesem Gesamtzusammenhang entfalten wir seit Jahren unsere Aktivitäten.

Was diese Region angeht, finden Sie hier weiterführende Details: [link]

Auf dem Weg zum überhaupt ersten LEADER-Kulturprojekt des Landes im Jahr 2009 hatte ich die erhebliche Freiheit, daß mir niemand sagen konnte, wie zu verfahren wäre. Es gab ein interessantes Regelwerk, das sich von der Landesebene her aus a) Sonderrichtlinien und b) einem eigenen Arbeitspapier zusammensetzte:
a) Aktionsprogramm Achse 4 LEADER [Link]
b) Sechs Punkte zum Kulturgeschehen (Gerald Gigler) [link]

Es gab meine eigenen Erfahrungen aus der Praxis mit kultur.at und dem künstlerischen Langzeitprojekt the long distance howl, dessen damaliger Abschnitt unter dem Titel next code der Suche nach neuen Codes und Vorgangsweisen im Kunstkontext gewidmet war: [link]

Ich hatte außerdem seit den 1980ern meine Erfahrungen mit den Ideen eigenständiger Regionalentwicklung. Von da her war klar, daß jenseits des Landeszentrums noch keinerlei kulturpolitische Konzepte bestanden, die über Gemeindegrenzen hinausreichten; wenn wir vom Veranstaltungstyp „Landesausstellung“ und dessen Folgekonzept „regionale“ absehen. Aber die sind beide top down angelegt. Mich interessierte, was für einen Künstler bottom up möglich wäre…

[kunst ost: reflexionen]

Wovon handelt Kulturpolitik? #16

Ich erinnere mich an eine Debatte, da wurde Veronica Kaup-Hasler, der Intendantin des Festivals „steirischer herbst“, ausgerichtet, sie möge doch im Programm auch Kunstschaffende aus der Steiermark ausreichend berücksichtigen. Es stecke ja viel steirisches Kulturbudget im „herbst“, auch reichlich heimische Sponsorgelder, selbst der Name des Festivals berge einen Hinweis auf diese Verpflichtung.

Kaup-Hasler sah das anders und antwortete sinngemäß, dieses Festival sei nicht als Schaufenster für steirische Kunstschaffende konzipiert. Darin liegt u.a. die Frage, ob denn Herkunft und Wohnort Kategorien der Kunst seien und welche Rolle diese Kriterien spielen sollten, falls Veranstaltungen nicht ausdrücklich einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Region gewidmet sind.

Unser Landeskulturförderungsgesetz vom 24. Mai 2005 ist selbstverständlich dem Kunst- und Kulturgeschehen der Steiermark gewidmet, verzichtet aber auf derartige Bindungen; mit zwei Ausnahmen.

Eine davon ist der Absatz 5 des § 1, der lautet:
>>5. die Erhaltung und Nutzung des kulturellen Erbes des Landes Steiermark als ein bestimmendes Element des gegenwärtigen Selbstverständnisses mit dem Ziel, diese Einrichtungen, Errungenschaften und Werke für die Gegenwart zu erschließen und kulturell produktiver Nutzung verfügbar zu machen;<< [Quelle]

Die andere Ausnahme betrifft speziell den § 13 Joanneumsfonds:
>>Unter wertvollem Kulturgut sind hierbei Gegenstände zu verstehen, die Einzelstücke von internationaler Bedeutung darstellen oder in einer besonderen geschichtlichen, künstlerischen oder sonstigen kulturellen Beziehung zur Steiermark stehen.<<

Ansonsten besagt das Gesetz nicht, daß Leute aus der Steiermark in Fragen der Förderung einen speziellen Status hätten. Es wird wohl auch gewöhnlich keinen „Graz-Bonus“ geben. (Ob es einen „Wien-Bonus“ gibt, wäre zu klären.)

Aber darf eine Intendantin all das unwidersprochen so auslegen, wie es Kaup-Hasler getan hat? Steht es einem Kurator zu, seine Auswahlkriterien enger zu fassen, als die Kunstschaffenden, die ihm Werke anbieten? Welche Rolle spielen bei all dem die Geldquellen, die eine Kunstveranstaltung, ein Festival überhaupt erst ermöglichen?

Geld! Als wir in Gleisdorf 2007 erstmals eine Kooperation mit dem Festival „steirischer herbst“ zustande brachten, während die Gruppe „K.U.L.M.“ (nach mehreren Jahren der „herbst“-Kooperation) keinen Vertrag erhielt, richtete uns Kollege Richard Frankenberger via „Kleine Zeitung“ aus, Gleisdorf habe sich in das Festival eingekauft.

(Quelle: Kleine Zeitung)

Ein Zitat aus meinem Projekt-Logbuch von 2007:
>>Auf dem Kunstfeld unterstellt „sich einkaufen“, daß man kraft des Geldes und nicht kraft eines künstlerischen Konzeptes und einschlägiger Kompetenzen da oder dort dabei sei.<< [Quelle]

Es unterstellt also etwas Anrüchiges. Damit war erstens unser Projekt inhaltlich berührt, zweitens die Kompetenz des zuständigen Dramaturgen Florian Malzacher und der Intendantin. Oder sollte es bloß zur Debatte stellen, daß im Kunstbetrieb letztlich Geld entscheidet?

Dramaturg Florian Malzacher

Malzacher antwortete damals unter anderem:
>>Veronica hat dabei immer klar gesagt, dass es grundsätzlich keinen Automatismus in der Zusammenarbeit gibt, sondern, dass der herbst immer neu entscheidet, welche Konzepte für ihn interessant sind.<< [Quelle]

Meine aktuelle Kontroverse [link] mit Regisseur Heinz Trenczak, in der er mir mittlerweile sogar mit juristischen Schritten winkt [link], dreht sich um eben dieses Thema. Wird in einem Kuratorium, in einer Intendanz politisch willfährig gehandelt? Werden Wünsche von Sponsoren und Förderern womöglich über die berechtigten Anliegen von Kunstschaffenden gestellt?

Das ist der eine Themenkomplex, den wir debattieren könnten. Der andere betrifft Entscheidungsgrundlagen. Künstlerische Kriterien. „Diagonale“-Intendantin Barbara Pichler, die der Anlaß meiner Kontroverse mit Trenczak ist, schrieb mir dazu vom „formalen Diskurs und die – zugegebenermaßen subjektive(n) – Qualitätsfrage“.

Ja. Ist genau das Verhandlungssache? Öffentlich? Filmkritiker Reini Urban notierte dazu: >>Politisch und aktuell wichtige Filme haben andere Kriterien. Sie dienen als Diskussionspunkt für das Publikum. Es geht um die Sache, nicht um die Vermittlung. Das Publikum ist intelligent genug, das unterscheiden zu können.<<

Das ist ein interessanter Punkt, weil er etwa manche Dokumentarfilme aus einem ästhetischen Diskurs herausnimmt und andere Gründe einer Publikation betont. Ich widerspreche dem gar nicht, weil mir diese Ansicht gefällt.

Urban weiter:
>>Die subjektiven Entscheidungskriterien aus ästhetischer Sicht öffentlich zu begründen wäre mutig. Dazu wird man meist von verärgerten Abgelehnten mit Beziehungen aufgefordert, das macht man normalerweise nicht. Aber für die subjektive – Qualitätsfrage vor einer Öffentlichkeit zu führen, die diesen Wissensstand nicht hat, das wäre wirkliche spannende Filmvermittlung.<<

Da stimme ich ihm völlig zu. Das wäre auch für übrige Kunstgenres wünschenswert. Und ich bin sicher, das ließe sich herbeiführen. Wir müßten es eben wollen und dafür adäquate Rahmenbedingungen schaffen. Ich habe keinen Zweifel, daß sich allerhand Leute aus der Kunstvermittlung darauf einließen.

Wäre ich Kurator, würde ich mich allerdings fragen: Interessiert mich das gerade? Wurde das vereinbart? Habe ich dafür Zeit? Werde ich dafür bezahlt? Aber das sind ja beantwortbare Fragen.

Was bedeutet es in möglicher Konsequenz, falls jemand dieses Ansinnen ausschlägt? Kann sich eine Intendantin, ein Kurator auf seine Bestellung berufen, auf eigenen Kriterien bestehen und Kunstschaffende, denen das mißfällt, an jene verweisen, die sie oder ihn engagiert haben?

Sollen Leute in solchen Positionen ihre Kriterien bei Dienstantritt zur Debatte stellen? Wo? Wem? Oder sollen sie sich während ihrer laufenden Amtszeit gelegentlich der Diskussion stellen? Würde ich selbst so einen Modus angemessen finden und akzeptieren?

Ich bin ja nicht nur Künstler, sondern auch entscheidende Kraft in Projekten, an dem andere Kunstschaffende teilnehmen, die ich auswähle. Ich tue das unter anderem AUCH gestützt auf Landesmittel, AUCH mit Sponsorengeldern.

Trenczak schrieb: „ich polemisiere seit jahren gegen das sog. intendanzprinzip beim festival des österr. films in graz.“ Durch welchen Modus sollte dieses Prinzip ersetzt werden? (Ich würde gerne sein „Gegenmodell“ kennenlernen!)

Was könnten wir den Leuten der Kunstvermittlung allenfalls im Gegenzug anbieten? Genauer: Welches Verhältnis wünschen wir Kunstschaffende uns mit a) Intendantinnen und Kuratoren, b) geldgebenden Instanzen und c) untereinander, um die kulturelle und kulturpolitische Gesamtsituation auf einen neuen Status zu bringen?

Da sind anscheinend eine Menge Fragen offen. Einige davon habe ich hier vorgelegt. Mich würden Antworten interessieren; auch jene, die einander womöglich widersprechen.

[überblick]

Die Künstlerhaus-Debatte

Über das Wollen, das Können und das Werden

Da war nun dieses kulturpolitische Arbeitspapier „Zur Lage der bildenden Kunst in Graz“ erschienen, in dem einige exponierte Kulturschaffende den Status quo skizziert haben: [link] Gegen Ende voriger Woche hat, so höre ich, Joanneum-Boss Peter Pakesch auf das Papier geantwortet. Diese Antwort ist leider bisher im öffentlichen Diskurs nicht aufgetaucht.

Peter Pakesch läßt wissen, daß er sich sein Leben auch gut ohne das Künstlerhaus vorstellen kann

Ich denke, es bleibt unverzichtbar, alle vertretenen Positionen auch sichtbar zu machen. Die IG Kultur Steiermark hat einiges an Statements und Presse-Reaktionen zusammengetragen, im Web deponiert: [link] Andere Akteurinnen und Akteure dieses Diskussions- und Klärungsprozesses zeigen sich in ihren Äußerungen noch sehr zurückhaltend.

Von APA/OTS kam kürzlich eine Meldung, die in manchen Punkten nachdenklich stimmt. Zum Beispiel: „So forderte die IG Kultur, das seit 2003 dem Joanneum zugeordnete Ausstellungshaus am Stadtpark lokalen Kulturschaffenden zur Verfügung zu stellen. Anita Hofer von der IG Kultur meint,…“ [Quelle]

Das halte ich für problematisch, denn „lokale Kulturschaffende“ wären jene von Graz, womit auch die IG Kultur Steiermark schon wieder einmal die Steiermark ausgeblendet hätte. Immerhin hieß es an anderer Stelle: „die Öffnung für die gesamte künstlerische Szene der Steiermark“, was offenbar den Leuten in der Grazer Szene nicht ganz selbstverständlich über die Lippen kommt.

In der OTS-Meldung heißt es weiters: „Am Kunsthaus Graz ‚sehen wir ja, wie so etwas läuft’, so Hofer: ‚Steirische Künstler haben kaum Chancen, dort auszustellen.’“ Da wäre freilich, mit Verlaub, einmal zu debattieren, warum Grazer Kunstschaffende vor allem in Graz mehr Ausstellungsmöglichkeiten haben sollen, anstatt sich zu rüsten, an anderen Orten und auch möglichst weit weg auszustellen.

Veronica Kaup-Hasler fühlt sich eher nicht prinzipiell für eine steirische Heimwerker-Bewegung zuständig

Eine Frage, in der schon Veronica Kaup-Hasler, der Intendantin des Festivals „steirischer herbst“, seinerzeit übel genommen wurde, daß sie auf ein ähnliches Anliegen hin wissen ließ, dieses Festival sei nicht primär als Schaufenster für heimische Kräfte konzipiert.

In gewissem Sinne wäre es sogar interessant auszuloten, was geschähe, wenn heimischen Leuten zuhause nur kleine Locations zum Üben verfügbar gemacht würden, es ihnen aber ansonsten möglichst schwer fallen solle, vor der eigenen Haustür auszustellen, um ihnen Geschmack an der Ferne nahezulegen. (Drohrufe, Verwünschungen und Briefbomben für mich bitte an das Salzamt adressieren!)

Zur Sache! Wir erfahren von Pakesch überraschend: „Wir sind auch nicht böse, wenn wir das Künstlerhaus wieder los sind. Wir haben ohnehin genug zu tun.“

Das hat doch Charme! Die Zeit wäre eventuell reif, Pakesch darin beim Wort zu nehmen, sich selbst die Verantwortung für so ein bemerkenswertes Haus aufzubürden. Ja, eine Bürde ganz bestimmt, denn solcher Strukturen Vorteile zu konsumieren ist eine viel gemütlichere Hackn, als sie Jahr um Jahr in Gang und in Schuß zu halten.

Ich habe inzwischen schon den Ruf nach Selbstverwaltung hören können. Prima!

Offen gesagt, als vor einer Weile zu lesen war, daß steirische Kunstschaffende nun einig seien: „Wir holen uns die Selbstverantwortung für unsere Arbeit zurück!“, habe ich erstmals heiße Tränen der Rührung in mein Taschentuch geweint. Warum hatten wir sie so lange nicht, die Selbstverantwortung? Wer hatte sie uns geraubt? Jetzt aber!

Christian Buchmann tut jetzt genau das, was wir von einem Landeskulturreferenten erwarten würden: Er bittet den Landeskulturbeirat, die eingegangenen Konzepte zu prüfen.

Scherzchen beiseite, das sind ja ernste Angelegenheiten. Landeskulturreferent Christian Buchmann ergänzte eben meine Notizen auf INFOGRAZ um eine Stellungnahme: „…aktuell liegen mir sechs Konzepte für eine zukünftige Positionierung des Künstlerhauses vor. Es sind dies Konzepte von
den Künstlervereinigungen (Dr. Beate Landen)
von Luise Kloos, Erika Lojen, Edith Temmel
von der IG Kultur
vom Grazer Stadtmuseum
vom Künstler-Paar Nestler-Rebeau
und vom Universalmuseum.

Diese Konzepte wurden von mir am 2. November an den Landeskulturbeirat weitergeleitet, den ich um eine Expertise zu den Konzepten bis Ende des Jahres ersucht habe.“ [Quelle]

Der Beirat wurde heuer im Frühjahr neu besetzt: [link] Unter diesem Link findet man auch ein downloadbares PDF-Dokument mit einem aktuellen Mission Statement des Landeskulturbeirates. Angesichts des personellen Status dieser Instanz wird es mit gängigen Verschwörungstheorien etwas langweilig.

Freilich gibt es die absolute Killerapplikation der Auguren, Blitzgneißer und Propheten, nämlich ein Ansichtenbündel, wonach das alles nur Getöse sei, eine Inszenierung, die bemänteln solle, daß Entscheidungen hinter den Kulissen längst gefallen seien, daß diese nun bloß noch von quasidemokratischen Prozessen bemäntelt und legitimiert werden sollen.

Vorzüglich nutzbarer Raum in günstiger Lage: Das Künstlerhaus Graz

Das Bequeme an solchen Verschwörungstheorien ist, daß sie niemals entkräftet werden und so auch nicht aus der Welt geschafft werden können, ganz egal, wie sehr sich diese oder jene Menschen in der Sache anstrengen. Deshalb sind mir Verschwörungstheoretiker so suspekt. Sie betreiben ein dubioses Geschäft, welches kaum angemessen überprüft werden kann.

Da bewegen wir uns also jetzt im Bereich von Glaubensgegenständen, zu denen jemand vor allem einmal sein eigenes Credo einreihen kann. Ich mach das hier gleich: Diese lahme Verschwörungstheoretisiererei ist eine letzte Zuflucht jener, die sich nicht aufraffen möchten, um Klärungen zu ringen. Selbst ein inspirierender Dissens ist harte Arbeit. Diese Arbeit muß nun gemacht werden. Schauen wir, dann sehn wir schon!

[Die Debatte: Übersicht]

was ist kunst? #12

gelegentlich steht mir jemand mit folgender haltung gegenüber: „ja, können sie mir jetzt sagen, was kunst ist oder nicht?“ es scheint manchmal menschen ein beruhigendes gefühl zu verschaffen, wenn sie keine kurze wie bündige antwort erhalten. („aha, er weiß es nicht!“)

bei unseren talking communties erlebte ich sogar die kuriosität, daß eine ausgewiesene kunsthistorikerin behauptete, man könne eigentlich nicht so genau sagen, was kunst sei. kurz und bündig läßt es sich freilich nicht klären. auf die art könnten sie nicht einmal klären, was zum beispiel eine zange sei. oder erklären sie mir einmal, was „sozialpartnerschaft“ ist; immerhin sind wir in der „zweiten republik“ entlang dieses politischen konzeptes aufgewachsen.

selbstverständlich können wir in der frage nach kunst sehr viel klären. das verlangt aber interesse und zeit. wer die welt in drei sätzen erläutert haben möchte, findet auf dem boulverad reichlich zuspruch. hier geht es aber etwas zeitraubender zu.

ich hab nun einige monate keine konzentration für dieses thema gefunden, der eintrag #11 stammt aus dem vergangenen februar. in jenem eintrag sieht man bilder von der eröffnung einer ausstellung des serbischen künstlers nikola dzafo.

dzafo arrangiert dzafo in der "schock-galerie", links flaniert schon mrdjan bajic (foto: art klinika)

in meinem privaten logbuch tauchte dzafo kürzlich auf: [link] er ist gerade dabei, mein set „nobody wants to be nobody“ in der „schock-galerie“ (novi sad) neu zu ordnen: [link] das hat übrigens seinen bezug auf eine unserer früheren stationen in gleisdorf, als wir nämlich 2007 das erste mal mit dem festival „steirischer herbst“ kooperiert haben: [link]

merken sie etwas? dieser text bündelt eine reihe von vorkommnissen, die in der zeit angeordnet sind und zu einander in beziehung stehen. es geht — aus gutem grund — damit noch ein stück weiter, das DOKUMENTIEREN spielt dabei eine wichtige rolle.

der erwähnte eintrag in meinem logbuch handelt unter anderem vom theoretiker boris groys. der ist heuer kurator des russichen beitrags zur biennale in venedig und entschied sich für die „kollektiven aktionen“: „Empty Zones: Andrei Monastyrski and the ‘Collective Actions’ Group (Nikita Alexeev, Elena Elagina, Georgy Kizevalter, Igor Makarevich, Andrei Monastyrski, Nikolai Panitkov, Sergei Romashko, Sabine Hänsgen)“ [link]

romashko und hänsgen waren (gemeinsam mit sergei letov) letzten herbst auf unserer strecke. mit „the track: virtuosen der täuschung“ [link] hatten wir eine der bedeutendsten konzeptkunst-formationen des 20. jahrhunderts in der oststeiermark.

von links: mirjana peitler-selakov, sergei romashko und sabine hänsgen im "gemälde-zimmer" des gleisdorfer "red baron"

für uns war es ein vergnügliches wie anregendes erlebnis, mit so erfahrenen leuten einige zeit zu verbingen. in der gegenwartskunst rußlands spielen ARCHIVE eine bedeutende rolle. außerdem waren die tage mit dieser crew höchst lehrreich; nie zuvor habe ich kunstschaffende erlebt, die es in ihrer arbeit mit jedem detail, bis hin zum einzelnen wort, so genau nehmen.

im gesamten werk der „kollektiven aktionen“ sind die aspekte des archivs und der dokumentation sehr wesentliche bestandteile dessen, wie sich diese konzeptkunst-formation über viele jahrzehnte manifestiert hat.

ich habe nun schon boris groys erwähnt, dessen theorie einer „kulturökonomie“ von den komplementär angeordneten zuständen des „profanen raumes“ und der „kulturellen archive“ handelt.

groys geht davon aus, daß kulturen grundsätzlich hierarchisch aufgebaut sind, genauer: „werthierarchisch“. wir bestimmen permanent, was es wert sei erhalten zu werden und was uns insoferne als banal umgibt, daß wir es zwar haben, benutzen etc., dem aber keine besondere bedeutung beimessen, die uns diese dinge als erhaltenswert erscheinen ließe.

kunst ereignet sich unter anderem genau dort, wo wir dingen eine bedeutung zuschreiben, die sie aus dem „profanen raum“ in die „archive der kultur“ verschiebt. groys‘ theorie finde ich deshalb so anziehend, weil sie überdies das dynamische solcher prozesse betont.

schafft es ein werk zu einem publikum und in die archive? bleibt es es fremden blicken verborgen? ist kunst an veröffentlichung gebunden? (franz sattler und emil gruber bei unserer station in albersdorf.)

was einmal mit der ausstattung zum erinnern geweiht wurde, also in bibliotheken, museen oder anderen archiv-varianten verwahrt wird, kann nämlich auch wieder profanisiert werden, also aus den archiven der kultur in den profanen raum zurückfallen.

umgekehrt kann zum beispiel triviale massenware im lauf der zeit qualitäten zugeschrieben bekommen, die sie in die archive wuchtet, also mit ganz neuer bedeutung auflädt.

ich habe eingangs vor allem einmal begonnen, ein wenig geschichtchen zu erzählen. die „kollektiven aktionen“ aus moskau, nikola dzafo aus petrovaradin, der „steirische herbst“ in der oststeiermark, die prozesse und momente, wie sie hier auch in unseren online-dokumentationen auftauchen. ideen, themen, prozesse, artefakte und dokumentationen. unsere künstlerische praxis ist auf eine sehr kompexe ereignis-kette angewiesen. ist es nur kunst, wenn all das auch „kanonisiert“ und in die geschichtsschreibung eingetragen wird?

[überblick]

aussichten auf 2011

wogen haben sich geglättet. klarheiten haben sich eingestellt. im ersten halbjahr 2011 werden wir mit dem regionalen april-festival“ unseren hauptakzent setzen. (hier wird unsere kollegin nina strassegger-tipl eine zentrale rolle einnehmen.)

im zweiten halbjahr soll es wieder ein internationaler akzent sein; wenn alles gut geht, erneut in kooperation mit dem festival „steirischer herbst“.

kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov bei "labor-übung"

eine eigene kategorie ist der „frauenmonat“, dem „schwerpunkt frauenleben“ gewidmet, den wir weiterführen möchten. diese größeren vorhaben werden quer durch das jahr mit kleineren ereignissen verflochten. hier sollen die „talking communities“ dominieren: reden, reden, reden, bis wir einander kennen.

mit diesem fazit beschrieb mir vor jahren eine türkische künstlerin den ermordeten journalisten hrant dink. wir leben in einer ära, wo weltweit auffallend oft kritische medienleute ermordet werden; vor dem hintergrund, daß der mainstream-betrieb, allem voran das fernsehen, ohnehin jede dialogfähigkeit und diskursbereitschaft der menschen übertönt, zur seite drängt.

also heißt es für uns „back to the basiscs“, abgeleitet aus unserer konferenz in permanenz und aus den bisherigen „kultursalons“. die betonung liegt hier auf realer sozialer begegnung, auf gesprächen und der fähigkeit, seine bzw. ihre gründe zu nennen. (dazu kommen know how-angebote speziell für den kulturbereich.)

einen prägnanten auftakt dessen haben wir gerade im serbischen novi sad gesetzt: [link] das ist zugleich ein hinweis darauf, daß „kunst ost“ nicht nur lokal und regional agiert, sondern auch den austausch mit kulturschaffenden anderer länder sucht und praktiziert.

warum? ganz einfach! einerseits lassen sich die eigenen annahmen und schlüsse ganz gut auf ihre tauglichkeit überprüfen, wenn man deren grundlagen auch mit menschen aus ganz anderen regionen debattiert. andrerseits ist dies ein eu-projekt. die dimension einer eventuell europaweiten relevanz kann ich nicht zuhuse, im eigenen dorf klären oder erreichen.

überdies haben wir ja für den aspekt des „labor-betriebes“ von „kunst ost“ die aufgabe übernommen, kulturpolitische und soziokulturelle grundlagen zu erarbeiten, die sich über die eigene region hinaus als tauglich erweisen sollen. auch dazu ist es unverzichtbar, das eigene bezugssystem gelegentlich zu verlassen. (siehe dazu etwa dieschock-allianz!)

ein moment in sarajevo ...

andere mögen von paris, london oder berlin träumen. wir sind zum schluß gekommen, daß länder wie bosnien oder serbien interessante referenzpunkte ergeben. unsere „kulturen“ verfügen über gemeinsame historische wurzeln. sie waren außerdem mehr als ein halbes jahrtausend jener region zugehörig, in der wien und istambul die absolut normativen instanzen gewesen sind. beograd war dazwischen ein „angelpunkt“ dieses kräftespieles und sarajevo ein vor allem auch kulturelles zentrum von herausragender bedeutung.

lokal, regional, international. ich denke das ist ein angemessener horizont für ein ambitioniertes kulturprojekt. dieser zugang, der nun auf mehrjähriger praxis beruht, rechtfertig gewiß die feststellung: „provinz war gestern!“ und zwar auf jeden fall da, wo uns die dinge gelingen.

was uns zwischendurch mißlungen ist, macht uns zwar keine freude, hat aber einen bescheidenen nutzen im sinne von „fein, daß wir diese fehler abhaken können. nicht nötig, sie zu wiederholen.“

subtil. draußen. vehement.

nein, es ist nicht eigentlich eine veranstaltung von „kunst ost“. aber ja, es hat einiges mit „kunst ost“ zu tun. das intermezzo „subtile transfers“ von IEFS [Kiesling & Stolberg] ist der schritt einer dokumentation jenes prozesses, den ursula kiesling und maki stolberg im öffentlichen raum der oststeiermark realisiert haben.

ursula kiesling (links) & maki stolberg

wir haben uns bei der eröffnung vonthe track: virtuosen der täuschung („steirischer herbst“) in gleisdorf darüber besprochen, daß diese präsentation im „einraum“ stattfinden werde. die kleine galerie in der innenstadt gleisdorfs (barbara lukas) ist momentan „kultursalon“ von „kunst ost“.

der „kultursalon“ ist weniger ein fixer raum, mehr eine kommunikationssituation, so auch gewissermaßen ein möglichkeitsraum. dort, im „einraum“, im aktuellen „kultursalon“, führt momentan die themenlinie von den „kollektiven aktionen“ aus moskau (andrej monastyrskij & co.) über „protok“ (banja luka, bosnien & hercegovina) zu einem moment in racak (kosovo).

in diesem zusammenhang haben nun also [Kiesling & Stolberg] ein intermezzo realisiert, einen einschub. dabei ergab sich übrigens ein bemerkenswertes gespräch mit dem kunsthistoriker werner fenz und dem landvermesser gerhard skrapits, den ich bisher nur als fotograf gekannt habe.

gerhard skrapits (links) und werner fenz

das führte zu einigen fragen im zusammenhang der themen öffentlicher und privater raum sowie zeitgemäße positionen kunstschaffender. damit waren wir inhaltlich beim gesamtzusammenhang des aktuellen „kultursalon“, der wiederum von den „kollektiven aktionen“ in einem internationalen rang repräsentiert wird. (tondokumentation in vorbereitung!)

und genau DAS mag ich so am stand der entwicklungen in unserem tun. diese weiten horizonte und komplexen themenstellungen, denen wir uns nun zunehmend in der praxis widmen können; abseits des landeszentrums aber durchaus in augenhöhe mit den interessanten leuten aus der hauptstadt.

[subtile transfers]