was ist kunst? #12

gelegentlich steht mir jemand mit folgender haltung gegenüber: „ja, können sie mir jetzt sagen, was kunst ist oder nicht?“ es scheint manchmal menschen ein beruhigendes gefühl zu verschaffen, wenn sie keine kurze wie bündige antwort erhalten. („aha, er weiß es nicht!“)

bei unseren talking communties erlebte ich sogar die kuriosität, daß eine ausgewiesene kunsthistorikerin behauptete, man könne eigentlich nicht so genau sagen, was kunst sei. kurz und bündig läßt es sich freilich nicht klären. auf die art könnten sie nicht einmal klären, was zum beispiel eine zange sei. oder erklären sie mir einmal, was „sozialpartnerschaft“ ist; immerhin sind wir in der „zweiten republik“ entlang dieses politischen konzeptes aufgewachsen.

selbstverständlich können wir in der frage nach kunst sehr viel klären. das verlangt aber interesse und zeit. wer die welt in drei sätzen erläutert haben möchte, findet auf dem boulverad reichlich zuspruch. hier geht es aber etwas zeitraubender zu.

ich hab nun einige monate keine konzentration für dieses thema gefunden, der eintrag #11 stammt aus dem vergangenen februar. in jenem eintrag sieht man bilder von der eröffnung einer ausstellung des serbischen künstlers nikola dzafo.

dzafo arrangiert dzafo in der "schock-galerie", links flaniert schon mrdjan bajic (foto: art klinika)

in meinem privaten logbuch tauchte dzafo kürzlich auf: [link] er ist gerade dabei, mein set „nobody wants to be nobody“ in der „schock-galerie“ (novi sad) neu zu ordnen: [link] das hat übrigens seinen bezug auf eine unserer früheren stationen in gleisdorf, als wir nämlich 2007 das erste mal mit dem festival „steirischer herbst“ kooperiert haben: [link]

merken sie etwas? dieser text bündelt eine reihe von vorkommnissen, die in der zeit angeordnet sind und zu einander in beziehung stehen. es geht — aus gutem grund — damit noch ein stück weiter, das DOKUMENTIEREN spielt dabei eine wichtige rolle.

der erwähnte eintrag in meinem logbuch handelt unter anderem vom theoretiker boris groys. der ist heuer kurator des russichen beitrags zur biennale in venedig und entschied sich für die „kollektiven aktionen“: „Empty Zones: Andrei Monastyrski and the ‘Collective Actions’ Group (Nikita Alexeev, Elena Elagina, Georgy Kizevalter, Igor Makarevich, Andrei Monastyrski, Nikolai Panitkov, Sergei Romashko, Sabine Hänsgen)“ [link]

romashko und hänsgen waren (gemeinsam mit sergei letov) letzten herbst auf unserer strecke. mit „the track: virtuosen der täuschung“ [link] hatten wir eine der bedeutendsten konzeptkunst-formationen des 20. jahrhunderts in der oststeiermark.

von links: mirjana peitler-selakov, sergei romashko und sabine hänsgen im "gemälde-zimmer" des gleisdorfer "red baron"

für uns war es ein vergnügliches wie anregendes erlebnis, mit so erfahrenen leuten einige zeit zu verbingen. in der gegenwartskunst rußlands spielen ARCHIVE eine bedeutende rolle. außerdem waren die tage mit dieser crew höchst lehrreich; nie zuvor habe ich kunstschaffende erlebt, die es in ihrer arbeit mit jedem detail, bis hin zum einzelnen wort, so genau nehmen.

im gesamten werk der „kollektiven aktionen“ sind die aspekte des archivs und der dokumentation sehr wesentliche bestandteile dessen, wie sich diese konzeptkunst-formation über viele jahrzehnte manifestiert hat.

ich habe nun schon boris groys erwähnt, dessen theorie einer „kulturökonomie“ von den komplementär angeordneten zuständen des „profanen raumes“ und der „kulturellen archive“ handelt.

groys geht davon aus, daß kulturen grundsätzlich hierarchisch aufgebaut sind, genauer: „werthierarchisch“. wir bestimmen permanent, was es wert sei erhalten zu werden und was uns insoferne als banal umgibt, daß wir es zwar haben, benutzen etc., dem aber keine besondere bedeutung beimessen, die uns diese dinge als erhaltenswert erscheinen ließe.

kunst ereignet sich unter anderem genau dort, wo wir dingen eine bedeutung zuschreiben, die sie aus dem „profanen raum“ in die „archive der kultur“ verschiebt. groys‘ theorie finde ich deshalb so anziehend, weil sie überdies das dynamische solcher prozesse betont.

schafft es ein werk zu einem publikum und in die archive? bleibt es es fremden blicken verborgen? ist kunst an veröffentlichung gebunden? (franz sattler und emil gruber bei unserer station in albersdorf.)

was einmal mit der ausstattung zum erinnern geweiht wurde, also in bibliotheken, museen oder anderen archiv-varianten verwahrt wird, kann nämlich auch wieder profanisiert werden, also aus den archiven der kultur in den profanen raum zurückfallen.

umgekehrt kann zum beispiel triviale massenware im lauf der zeit qualitäten zugeschrieben bekommen, die sie in die archive wuchtet, also mit ganz neuer bedeutung auflädt.

ich habe eingangs vor allem einmal begonnen, ein wenig geschichtchen zu erzählen. die „kollektiven aktionen“ aus moskau, nikola dzafo aus petrovaradin, der „steirische herbst“ in der oststeiermark, die prozesse und momente, wie sie hier auch in unseren online-dokumentationen auftauchen. ideen, themen, prozesse, artefakte und dokumentationen. unsere künstlerische praxis ist auf eine sehr kompexe ereignis-kette angewiesen. ist es nur kunst, wenn all das auch „kanonisiert“ und in die geschichtsschreibung eingetragen wird?

[überblick]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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