Kulturpolitik ist keinesfalls bloß das, was von den offiziellen Funktionstragenden der Politik generiert wird. Es ist AUCH das, was von unserer Seite, von der Basis her kommt oder unterbleibt. Nach meiner Überzeugung ist überhaupt nur das Kulturpolitik, was aus dem Wechselspiel dieser Felder entsteht.
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Wovon handelt Kulturpolitik? #25
Kunst, Kultur, Politik, Kulturpolitik
Die Kunst ist der Gesellschaft zu gar nichts verpflichtet. Wer mir mit Floskeln kommt wie „Die Aufgabe der Kunst ist es…“, kriegt von mir in der Regel zweierlei zu hören. Erstens: „Rutschen Sie mir den Buckel runter!“ Zweitens: „Lernen Sie Kulturgeschichte!“
Zur Erinnerung, seit der Renaissance haben wir Übereinkunft in der zentralen Frage und dieser Konsens wurde bisher noch nicht aufgehoben: Die Kunst ist sich selbst Auftraggeberin und keiner anderen Instanz als sich selbst verpflichtet.

Wovon handelt Kulturpolitik? #24
Es ist sehr einfach. Wenn wir jetzt keine Schlüsse ziehen, wo wesentliche Dinge gewußt werden können, dürfen wir demnächst zuschauen, wie ein großer Teil unserer Strukturen den Bach hinuntergeht; vor allem jenseits des Landeszentrums, in der Provinz.
Wovon handelt Kulturpolitik? #23
Wie sollen oder können Kooperationsverhältnisse zwischen Zentrum und Provinz angeordnet sein, um beiden Seiten zu nützen? Welche gemeinsamen geschäftlichen Grundlagen sind denkbar, wenn private Initiative, öffentliche Hand und Wirtschaft zu Übereinkünften finden sollen? Und wozu all das?
Ich hab in einem früheren Eintrag jenes Motiv herausgestellt, mit dem wir einen gemeinsamen Nenner für sehr verschiedene Instanzen dieser Gesellschaft haben dürften:
„Dieser Region ein Bild ihrer selbst zu geben“ [link]
Wider das Beuyseln
Die Präsentation der Studie, welche Veronika Ratzenböck mit ihrem Team erarbeitet hat, stimmt zuversichtlich. Woher kommt dann die viele schlechte Laune unter den Kulturschaffenden in meiner direkten Umgebung? Naja, was generell gelingt, muß nicht alle von uns sanft betten. Gut, „sanft“ ist sowieso momentan nicht lagernd, kann auch auf absehbare Zeit nicht nachbestellt werden.

Die Wiener Session hat mir ergänzend deutlich gemacht, daß der Kulturbereich — ganz unabhängig von diversen krisenhaften Entwicklungen — generell gar nicht so übel beinander ist. Wir haben aber einen Verteilungswettkampf am Hals, ein Rennen um Budgets, das mit spitzen Ellbogen und anderen Artigkeiten ausgetragen wird.
Ich behalte einige Standardzeilen aus meinem Lieblingsliedchen auf den Lippen: „Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat wäre so ein Nordkorea-Modus. Will das jemand?“ Oder: „Als Künstler bin ich noch nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz aus.“ (Blöd, daß einen das rauhe Arbeitsklima schon geraume Zeit derart zaust, ich träume natürlich zwischendurch von einem Liegestuhl und kühlen Drinks on the house.)
Woher also Budgets nehmen und nicht stehlen, wenn Länder und Kommunen die Budgets runterfahren? Vom (Kunst-) Markt = Verkäufe von Werken? Von der Wirtschaft = Sponsoring?
Es ist ja klar, daß all unsere liebgewonnen Vorstellungen aus früheren Jahrzehnten völlig irrelevant werden, sobald wir a) die Landeszentren verlassen und dann womöglich auch noch b) von den Feldern bürgerlicher Repräsentationskultur runtersteigen.
Kleiner Einschub:
Ich hab keinerlei Ressentiments gegenüber bürgerliche Repräsentationskultur. Ich hab bloß die Erfahrung gemacht, daß sie für Agenda der eigenständigen Regionalentwicklung kaum etwas hergibt; im inhaltlichen wie im materiellen Sinn des Wortes „hergeben“. Sie bringt uns kaum etwas für die Arbeit an neuen Optionen. Aber sie sichert in einigen Nischen kulturellen Grundkonsens. Das hilft auch.

Gerald Gigler, der für LEADER zuständige Fachreferent beim Land Steiermark, hat mir zur Wien-Session noch ein paar Überlegungen und Einwände zugeworfen. Darunter zu Fragen der Funktionen von Gegenwartskunst:
„Was noch immer nicht beantwortet, welche Art von Kunst das nun sein wird, aber etwas hat mir schon einen Stich versetzt, dass du die Kunst nicht als ‚soziokulturellen Entwicklungshelfer’ sehen willst. Siehst du unsere ‚Ansprüche’ (Joseph II) wirklich so? Künstler als Unternehmensberater? Nein, hatten wir nicht im Sinn, aber – wie du immer betonst – das Schaffen von ‚NEUEN Verhandlungsebenen’, für Kunst, für gesellschaftliche Entwicklung, das kann schon ein verfolgbares Ziel sein.“
In Pischelsdorf hatte ich bemerkt, daß ich keine allgemeine Kenntnis voraussetzen darf, wer und warum er „J’accuse!“ ausgerufen hat. So verstand zwar Gigler meine ironische Erwähnung Josef II, aber ich erkläre es für alle Fälle kurz.
Seit dieser aufgeklärte Monarch in Österreich geschaltet und gewaltet hat, scheinen wir eine ungebrochene Tradition zu genießen, in der Reformen „von oben“ kommen, also von Regierungsseite. Seit jener Zeit haben wir auch den Typ des Künstlers im Staatsdienst als vertrautes Sujet vor Augen. Zum Thema „oben/unten“ siehe: [link]
In der Tat und peinlicherweise sind die gegenwärtigen Sonderrichtlinien plus das steirische Punkteprogramm zu LEADER Kultur sehr viel anregender als vieles, was ich seit Jahren von der steirischen Szene lese. Während wir also „vorne“ die Kulturpolitik lauthals schmähen, bekommen wir „hinten“ von der Beamtenschaft recht interessante Diskussionsgrundlagen zugestellt.
+) Die „Sechs Punkte“ von Gerald Gigler: [link]
+) Die Sonderrichtlinien: [link]
Nun muß ich einerseits, wie sich zeigt, die Autonomie der Kunst verteidigen, weil zu viele Leute mit unscharfen Vorstellungen herumgeistern, und zum Beispiel annehmen, Kunst ließe sich als soziokulturelles Reparatur-Set funktionalisieren. (Mumpitz!) Ich muß andrerseits völlig neue Arbeitsansätze finden, wo es um Kulturarbeit und eigenständige Regionalentwicklung geht, weil sich veraltete Zentrumskonzepte nicht in der Provinz recyceln lassen, wie sich auch die Provinz nicht „urbanisieren“ läßt.

Ergo kann ich, von einigen Teilaspekten abgesehen, für die (kulturelle) Emanzipation der Provinz gegenüber den Zentren keine Zentrumsstrategien anwenden. Wir müssen hier schon selbst herausfinden, was es überhaupt geben sollte und wie es zu erreichen wäre.
Gerald Gigler meinte auch: „Ist ja leider auch bei ‚Insidern’ noch nicht so angekommen: der Krusche plaudert mit Bauern und Schlossern, wo ist da die Kunst?“
Es wäre eine zu drollige Vorstellung:
Der Künstler rennt zu Bauern d und Handwerken und erklärt ihnen die Kunst, er „beuyselt“ also gewissermaßen, und die wackeren Kinder des Ruralen lauschen aufmerksam, werden erhellt und erweckt.
So hat das natürlich Gigler nicht gemeint, so hab auch ich das noch nie versucht, aber derlei fahrlässiges „Beuyseln“ kommt tatsächlich gelegentlich vor, wenn manche Spießer und Mittelschicht-Trutschen sich selbst auf Bauern oder Mechaniker loslassen. Na, das muß ich noch genauer ausführen. Was ich mit „Beuyseln“ meine, ist hier skizziert: [link]
— [Dokumentation] —
Die aktuelle Krisensituation verstehen
Ich hab kein Problem mit der Tatsache, daß wir Krisen bewältigen müssen. In unserer Kulturgeschichte besteht seit Jahrtausenden die Vorstellung, daß jede Katharsis eine Krisis zur Vorbedingung habe. Außerdem sind Umbrüche aufregende Zeiten; wenn auch ziemlich anstrengend.
Im Jahr 1848 wurde das Ende der „Erbuntertänigkeit“ rechtskräftig, 1919 endete die Feudalzeit formal. Es folgte ein autoritärer Ständestaat, der in die Nazi-Tyrannis mündete. 1945 durfte die Zweite Republik anbrechen. Wir haben also noch nicht gar so viel Erfahrung damit, ein Kulturgeschehen inhaltlich zu gestalten, kulturpolitisch zu verhandeln und mit angemessenen Ressourcen auszustatten, um nicht bloß Eliten zu bedienen, sondern Zugänge zu Kunst und Kultur für eine Massengesellschaft zu schaffen, zu öffnen…
Ab den späten 1970ern wurde erprobt und etabliert, was wie heute als freie bzw. autonome „Initiativenszene“ kennen. Vieles, was einst unsere Arbeit war, ist heute Standard konventioneller Kulturbeauftragter. Wir sind also überfällig, neue Aufgaben zu finden. Dabei kommt uns der Lauf der Dinge aufmunternd entgegen, denn demnächst bleibt auf mehreren Feldern kein Stein auf dem anderen.
Wir haben in der Kooperation von „kunst ost“ und „kultur.at“ einen Schwerpunkt herausgearbeitet, der mit dem Kürzel KWW markiert wurde: Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft.
Da wir uns nicht nach den dominanten Marktsituationen reichten möchten, da wir aber auch keine 100 Prozent Abhängigkeit vom Staat für sinnvoll halten, ist neu zu klären, wie diese drei Bereiche sich zu einander verhalten mögen; speziell jenseits des Landeszentrums, in der „Provinz“.
Damit meine ich auch, wir haben zu klären, worin genau der Leistungsaustausch bestehen mag, der uns Budgets einbringt. Ich hab einiges zu diesen Überlegungen im Beitrag „Feine Krise“ [link] skizziert. Unsere genaue Kooperationssituation ist hier dargestellt: [link]
Ich hab außerdem zu behaupten, daß es „Die Wirtschaft“ nicht gibt und daß wir gefordert sind, etwas differenzierter klar zu machen, mit wem wir uns unter welchen Bedingungen was vorstellen können; siehe dazu: [link] Das handelt von RAHMENBEDINGUNGEN für all das, was wir dann einzeln und ganz speziell der GEGENWARTSKUNST widmen. In der Arbeitspraxis siehst das abschnittweise aus wie in den folgenden Absätzen umrissen.
Kleiner Einschub: In der „Provinz“ dominieren seites der Kreativen die „Voluntaries“ übermächtig. Das meint, mindestens 80 Prozent der Leute, die hier einen Kulturbetrieb reklamieren, um selbst zu veröffentlichen/auszustellen, sehen sich keineswegs der Gegenwartskunst verpflichtet, sondern repräsentieren die Voluntary Arts: [link] Das hat fundamentale kulturpolitische Konsequenzen.
Wo stehen wir im Moment? Ich hab im vorigen Eintrag [link] skizziert, welche Grundlagen im „FrauenMonat“ 2012 nun greifbar sind, um ein Labor-Projekt („FMTech_Lab!“) zu initiieren. Eine andere Themenlinie ist hier beschrieben: [link] Das bündelt in Summe Aspekte folgender Teilthemen:
+) Mediengeschichte
+) Industriedenkmäler
+) Sozialgeschichte
+) Mobilitätsgeschichte.
Warum haben wir den Fokus ausgerechnet darauf gerichtet? Wir sind die Kinder einer Massenkultur, deren markanter Auftakt in den 1930er-Jahren zu Situationen geführt hat, die uns derzeit ausmachen. Eines der großen Themen dieser Zeit ist die Massenmobilisierung und deren Generalfetisch, das Automobil.
Schon bevor diese Ereigniskette, symbolisiert vom Codesystem „Stromlinie“, unsere vertraute Welt völlig zu verändern begann, haben verschiedene Formen technischer Reproduzierbarkeit und der Massenfertigung zu enormen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Konsequenzen geführt.
Wenn wir also in der „Provinz“ einen kulturpolitischen Diskurs wünschen, sollten Grundlagen und Hintergründe der kulturellen Situation wenigstens im Ausmaß von Zeitgeschichte einigermaßen geläufig sein.
Wovon handelt Kulturpolitik? #21
Ich hatte nun einige Gespräche mit Bürgermeistern der „Kleinregion Gleisdorf“. Die Herren wirken überaus wach und teilweise recht streitlustig. Es muß einiges, was sie vor wenigen Tagen von der Landesebene her ausgerichtet bekamen, mehr als brüskierend gewesen sein.
Das Thema Gemeindezusammenlegungen wird weit schneller hochbrisant als ich gedacht habe. Bürgermeister Christoph Stark (Gleisdorf) sagte mir, es sei nicht erst Ende 2014 mit neuen Verfügungen zu rechnen, sondern schon diesen Herbst. Er sei selbst erstaunt, daß dies eventuell Umgebungsgemeinde treffen werde, die aus seiner Sicht nie für eine Zusammenlegung zur Debatte standen.

Von mehr als einem Bürgermeister habe ich zu hören bekommen, man habe keine Scheu, auch innerhalb der eigenen Partei auf Konfrontation zu gehen, es müsse ja nicht immer die Opposition sein, mit der man Differenzen erlebe.
Die „Kleine Zeitung“ titelte: „Geht’s nach dem Land, fusionieren alle acht“ [Quelle]
Stark beschreibt das aus seiner Sicht so: [link] Erst kürzlich quittierte er eine öffentliche Stellungnahme des Nitschinger Bürgermeisters Peter Schiefer mit: „Nitscha + Gleisdorf = Nordkorea?“ [Quelle]
Es steht somit außer Zweifel, daß einige Kommunen auf Konfrontationskurs gehen werden. Das bringt enorme Unruhe auf eben jenes Feld, auf dem wir Kulturschaffende gerade erst Boden gewonnen haben, damit in der Provinz ein Kulturgeschehen, das sich über einzelne Gemeindegrenzen hinaus entfaltet, Stabilität gewinnt.
Das sind so gesehen sehr schlechte Nachrichten, denn es wird unsere Kommunikation belasten, wo wir in den Gemeindestuben mehr Verständigung und mehr Verständnis zu erarbeiten versuchen. Das nun zu beklagen ist allerdings völlig nutzlos. Es geht eher darum, daß wir uns verständigen, welche Verfahrensweisen geeignet sind, das Kulturgeschehen in genau solchen Zeiten dennoch zu festigen.

Es geht dabei um ganz konkrete Strategien, um Kommunikationsstrukturen und um klare Positionen in den öffentlichen Diskursen. Ich will damit deutlich machen: Der Status quo ist weder rasend schlecht noch sehr erfreulich. Das sind alles relativ normale Bewegungen in einem Gemeinwesen, das über Jahrzehnte/Jahrhunderte verschiedene Konjunkturen und Veränderungen durchläuft.
Das Bezirkswesen und seine Strukturen verdanken wir der „Untertanenbefreiung“ von 1848. Es ist also nicht gar so überraschend, daß neue Modernisierungskrise uns solche Phasen der Unruhe aufbürden. Genau darin wären nun Kulturschaffende gefordert, Kompetenzen zu zeigen, wie und wodurch sich solche Umbruchsphasen mit den uns vertrauten Mitteln eventuell gut bis besser absolvieren lassen… FALLS wir über derlei Kompetenzen verfügen; was zu klären wäre.
— [übersicht] —
Wovon handelt Kulturpolitik? #20
Ich habe in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geltend gemacht, daß der kulturpolitische Diskurs in der Steiermark offenbar den Bach hinuntergegangen sei. Und ich habe dabei die IG Kultur Steiermark nicht zu knapp kritisiert, weil ich zur Ansicht gekommen war, daß diese Interessensvertretung steirischer Kulturschaffender zu stark auf Graz konzentriert sei, dabei überdies zwischen kulturpolitischen Polemiken und Textimporten aus Wien (IG Kultur Österreich) genuin steirische Positionen und Konzepte weitgehend fehlen lasse.

Dieser Befund hat sich so als nicht haltbar erwiesen. Es gilt nun eine Vortragsreihe als fixiert, welche tief in derlei Themenstellungen hineinreicht. Unter dem Titel „kunst der kulturpolitik“ wird eine Serie von Inputs geliefert, sollen die Debatten in Gang kommen.
Bei der IG Kultur Steiermark hat man nun kuriosen Humor gezeigt und… ausgerechnet mich zu einem Vortrag eingeladen. Ich werde am 29.06.2012 ab 18:00 Uhr ordinieren. Und zwar, das ist ein nächstes, überaus originelles Detail in der Sache, im Hause von k.u.l.m. (Kulm 49, 8212 Pischelsdorf).
Fein! Und ich will nicht zimperlich sein. Zwar wäre ich vermutlich gerne um Thema und Titel meines Vortrages gefragt worden, doch wenn es nun schon da steht, kann ich mich natürlich auch danach richten: „kulturpolitiken im ländlichen raum”. Das läßt ja einigen Spielraum zu.

Bemerkenswert ist, daß ich per Einladung (siehe oben) der Bezirkshauptstadt Weiz einverleibt wurde, wo ich doch mein Schicksal angefleht habe, man möge über nun schon mehrere Jahrzehnte bemerkt haben, daß meine Arbeit von Gleisdorf ausgeht. Aber das ist andrerseits ein origineller Beitrag zum momentan so akuten Thema der „Zentrum-Provinz-Spannungen“ in der Region.
Es trägt uns ja eine Verwaltungsreform zu neuen Ufern und da bleibt demnächst kaum eine Gemeindegrenze auf der alten. Das sorgt für heftige Emotionen in der Oststeiermark; siehe etwa: [link] Da sollte es also auch einmal Gleisdorf zu spüren bekommen, wie es ist, wenn man als Weiz wahrgenommen wird, was sich sonst Ludersdorf, Albersdorf etc. von Gleisdorf gefallen lassen muß ;-)))
So gesehen wurde mir der Ball in launiger Weise aufgelegt. Es ist auch die überaus richtige Zeit, um aktuell zu klären, was genau wir uns eigentlich unter Kulturpolitik vorstellen und wer darin welche Positionen einnehmen könnte. Bei kunst ost haben wir inzwischen klar demonstriert, daß die inhaltliche Arbeit und das Definieren von Rahmenbedingungen erst einmal von uns ausgeht, also Sache der Zivilgesellschaft ist.
Aus dieser Arbeitshaltung heraus bestimmen wir auch, welche wesentlichern Ereignislinien geplant und praktisch verfolgt werden. Davon ausgehend suchen wir den Diskurs mit Leuten aus der kommunalen Kulturpolitik und die Kooperation mit Leuten aus der Verwaltung.
Dabei ist die Hauptposition genau NICHT dem Motto: „Wir wünschen, Ihr bezahlt, wir spielen!“ gewidmet. Wir haben auch keine Erwartung, daß eine hundertprozentige Finanzierung durch die öffentliche Hand verhandelbar und erreichbar wäre. Polemisch verkürzt: Hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat assoziiere ich mit Nordkorea, aber nicht mit Österreich.
Ich hab das schon im vorigen Eintrag thematisiert: [link] Inklusive der regionalpolitischen Unruhe, mit der wir rechnen müssen, weil der 31.12.2014 ein hartes Datum ist, bei dessen Vorlauf wir ebenso Belastungen erwarten müssen wie in der Zeit danach.
Wir müssen also JETZT darüber reden, auf welche Art wir uns wappnen können, wenn die realpolitischen Kräftespiele ihr Personal derart belasten, daß sie vermutlich als erstes das Thema Kunst & Kultur über Bord werfen werden. Ich habe bei einem steirischen LEADER Kultur-Treffen [link] vor einigen Tagen genau das zum Auftakt der Session herausgestrichen. Alles schon dagewesen! Nun sollten wir nicht mehr kalt erwischt werden, sondern gut aufgewärmt sein, wenn es eng wird.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2010 hatte der Österreichische Gemeindebund Bevölkerung und Orts-Chefs befragen lassen, in welchen Bereichen Einsparungen am ehesten Akzeptiert würden. Spitzenreiter wurden dabei Kunst & Kultur mit 92% bzw. 95% Akzeptanz für Kürzungen. So kam es dann auch.
Diesmal wissen wir was kommen wird und wann es kommen wird…
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Wovon handelt Kulturpolitik? #19
Unter meinen Notizen findet sich folgende Passage: “In einer Rezession konsolidieren sich die Starken.” Das sagte der Gleisdorfer Kunstsammler Erich Wolf in einem unserer Gespräche. Als Unternehmensberater und Wirtschaftstreuhänder wird er damit wohl kein Bonmot fabriziert haben, sondern einen Hinweis auf den konkreten Lauf der Dinge. (Zu Wolf und styrian contemporary siehe: [link]!)
Ich schließe daraus: Die Konsolidierung der Starken geht in einer Rezession zwangsläufig auf Kosten der Schwachen. Sollen wir daher versuchen, uns auf die Seite der Starken zu bringen? Das hieße bloß, diesen unverschämten Modus zu bestätigen.

Ich würde bevorzugen, daß wir uns überlegen, wie der Modus zu ändern wäre. Ich denke, in regionaler Dimension ist das realistisch und machbar. Es dürften dazu bloß momentan gängige Protest-Posen nicht ausreichen. Ich meine, was unter dem Stichwort „BürgerInnenbeteiligung“ zur Debatte stünde, müßte beim Wort genommen werden: als BETEILIGUNG.
Derlei Aufraffen, derlei Eingreifen, dieses Hineingehen in die Agenda eines Gemeinwesens ist zugleich auch das Ende jeder wie immer gezimmerten Unschuld. Dann sind es nämlich nicht mehr „die Anderen“, die dies oder das zu verantworten haben, dann ist man selbst mit im Boot jener, die Verantwortung tragen.
Vielleicht höre ich deshalb an so manchen Ecken Protestgeschrei, dem kein eigenes Handeln folgen will. Gerade im Kulturbereich ist das momentan sehr populär. Es kursieren endlose Listen der Vorhaltungen an Politik und Verwaltung. Aber wo ist der konsequenten und vor allem öffentliche kulturpolitische Diskurs? Wo finde ich anregende Beispiele einer Best Practice, die genau NICHT einfach nur das reproduziert, was wir schon in den 1970er- und 80er-Jahren entwickelt haben? Was weist konkret in die nahe Zukunft?

In diesen Belangen mangelt es erheblich. Wenigstens drei Viertel von dem, was ich, wenn ich die Steiermark im Blickfeld behalte, in derlei Fragen momentan zu lesen bekomme, handelt von einer etwas gespenstischen Option: Der Staat möge für dies und das, aber speziell möglichst für alles aufkommen. Das bedeutet, polemisch verkürzt, hier ruft ein ganzes Metier nach gut hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat. Und das im Namen der Freiheit der Kunst.
Ich hätte es gerne leichter, denn meine Mühen um ein adäquates Jahreseinkommen sind in den letzten Jahren immer mehr geworden, damit ich nur gering unter das absacke, was ich vor Jahren verdienen konnte. Das ist ein sehr anstrengender Weg, auf dem ich inzwischen laufend Grenzen meiner Belastbarkeit erfahre. Aber das brächte mich nicht auf die beunruhigende Idee, mir hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat zu wünschen.
Das bedeutet freilich, falls mir mein gegenwärtiger Marktwert als Kunstschaffender nicht erlaubt, auf dem Kunstmarkt ausreichend Geld zu lukrieren, und das trifft vermutlich auf weit mehr als drei Viertel Österreichs Kunstschaffender zu, brauchen wir kulturpolitische und künstlerische Strategien, die der Option „hundert Prozent Abhängigkeit vom Staat“ etwas Konkretes gegenüberstellen.
Wenn ich das so hinschreibe, meint es freilich, daß ich nicht bloß träume, sondern konkret an solchen Strategien arbeite und daß ich erprobe, was mir bisher eingefallen ist. Ich hab hier schon mehrfach angedeutet: Kulturpolitik ist NICHT, was Funktionstragende der Politik generieren, sondern was aus dem Kräftespiel zwischen ihnen und uns und anderen Leuten entsteht. DAS ist POLITIK.
Diese Ansicht verlangt unausweichlich, auch die eigene Position als eine aktive zu entwickeln, in der Konzept und Initiative keine Fremdwörter sind.
Es war in meiner Gegend überaus anstrengend, die letzten Jahre ökonomisch zu bewältigen. Ich wäre am Rande der Verzweiflung, würden sich jetzt nicht positive Tendenzen abzeichnen, die leichteres Fahrwasser versprechen.
Aber ich schätze die Erfahrungen, daß im regionalen Kulturgeschehen der Fokus ganz eindeutig auf die zivilgesellschaftliche Initiative und Verantwortung gestellt ist. Das bedeutet, WIR haben entworfen und erprobt, was kulturpolitische Optionen für die nahe Zukunft sind. Die Regionalpolitik zeigt, daß sie diese Arbeit nicht ignorieren wird.

Es gibt ein Datum, VOR dem wir nichts zu lachen haben werden und NACH dem auch anstrengende Passagen winken. Am 31.12.2014 endet formell das, was wir von der Verwaltung her bisher als „die Steiermark“ kannten. Die aktuelle Verwaltungsreform wird dazu führen, daß dann unausweichlich neue Gemeindegrenzen gezogen werden und alle Erlässe neu erlassen werden müssen etc.
Das soll mit den Wahlen im März 2015 abgeschlossen sein. Bedenkt man, wie viel Widerstand diese Aussicht schon jetzt in den vor allem kleinen Gemeinden auslöst, müssen wir uns auf eine gewaltige Konfliktlage einstellen. (Siehe: „Unruhe in der Kleinregion„!)
Die Erfahrungen der letzten Jahre belegen: Wird es den kommunalen Kräften zu eng, geht als allererstes die Kulturpolitik über Bord, denn wir haben keinen breiten gesellschaftlichen Konsens, daß das ein Thema von hoher Priorität sei. Es wird also Zeit, daß wir uns für das wappnen, was absehbar ist.
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Wovon handelt Kulturpolitik? #18
Die mehrjährige Praxis von kunst ost handelt wesentlich von zwei Optionen Kunstschaffender. Ein Teil ist so gut wie ausschließlich mit dem eigenen Werk befaßt und nutzt die gebotenen Publikations- und Ausstellungsmöglichkeiten wie sie sich gerade ergeben. Mit der Bereitstellung angemessener Locations und Budgets können sie sich nicht befassen; meist auch nicht einmal mit der sporadischen Organsationsarbeit, um solchen Möglichkeiten in der Provinz Kontinuiät zu geben.
Der andere Teil investiert neben der laufenden Arbeit am eigenen Oeuvre auch Kraft in die Vermittlungsarbeit, also in den kulturpolitischen Teil des Geschehens, der von Fragen nach Mitteln und Möglichkeiten handelt. Die von Kunstschaffenden erfundene Legende, daß man sich als Kunstschaffender um diese Dinge nicht kümmern könne, wird von solcher Praxis des bürgerlichen Engagements wenn schon nicht widerlegt, so doch konterkariert.
Unter den Kunstschaffenden der Region insgesamt machen die realen Freelancers noch nicht einmal einen nennenswerten Prozentanteil aus. Das bedeutet, für die meisten der Kunstschaffenden ist ihre künstlerische Praxis eine private Angelegenheit, die nicht in jene soziale Kategorie reicht, wo Kunstpraxis mit Brotwerwerb verknüpft wird.

Das hat wesentliche Konsequenzen, was die Behandlung kulturpolitischer Fragestellungen angeht. So gesehen war das formelle Themenangebot unserer jüngsten Fahrt („talking communities“) überwiegend nachrangiger Natur:
+) Kennenlernen neuer Leute
+) Vorbereitung der Station vom 5. Mai 2012
+) Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Kulturspange
+) EPU-Know how, Strategien gegen die Krisensituationen
[Quelle]
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie problematisch eine kulturpolitische Situation ist, in der ein Gros Kunst- und Kulturschaffender in der Region von der Öffentlichkeit Förderungen und Serviceleistungen erwartet, damit es einen Kulturbetrieb geben möge. Einen Kulturbetrieb, welcher den kreativen Kräften Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten bietet, wobei die überwiegend PRIVATE Dimension dieses Kulturgeschehens aber mit den Funktionstragenden der Gemeinden politisch nicht verhandelbar ist.
Ich denke, das budgetäre Krisenjahr 2011 sollte deutlich gemacht haben, daß wir in der Lage sein müssen, einen kulturpolitischen Paradigmenwechsel zu debattieren. Aber weder hier, noch im Landeszentrum Graz weist irgend etwas darauf hin, daß diese Ansicht mehrheitsfähig wäre.
Eine Aussendung der IG Kultur Steiermark vom 26.03.2012 (21:55) besagt: „DANKESCHÖN der Plattform 25 / Die letzte Demo am Freitag war ein großer Erfolg, laut Polizei über 2.000 Personen!“ Daraus mag ersichtlich werden, wie polarisiert die Auffassungen sein dürften.
Mir erschließt sich nämlich in keiner Weise, welche Art Erfolg darin liegt, 2.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Ich hätte zu fragen: Auf welche kulturpolitische Position bezieht sich dieser Auftritt und was bewirkt er konkret? DAS wären dann meiner Meinung nach Zusammenhänge, über die sich klären ließe, was als Erfolg gelten darf und was nicht.

Auf der Website der IG [link] finde ich bloß ein Flugblatt zur Protestveranstaltung. Der kulturpolitische Bezug ist darin karg ausgefallen: „WIR FORDERN PLUS 25 % FÜR KULTUR, SOZIALES, FRAUEN, BILDUNG UND GESUNDHEIT! Die Finanzierung dieser Bereiche muss ebenso selbstverständlich sein wie die Aufrechterhaltung von Infrastruktur wie Wasser- und Energieversorgung.“ Mehr ist inhaltlich nicht avisiert.
Nun IST ja diese Finanzierung a) selbstverständlich und hat b) auch gesetzliche Grundlagen. Wobei zu präzisieren wäre: Kofinanzierung. Denn eine Vollfinanzierung wäre wohl nur in Dimensionen einer „Volksrepublik“ vorstellbar.
Selbstverständlich herrscht Uneinigkeit, was nun die Höhe staatlicher Kofinanzierung angeht. „WIR FORDERN PLUS 25 % FÜR KULTUR“ erscheint mir dabei kein kulturpolitisches Argument, sondern eines, das Konsumlogik ausdrückt. Die Forderung besagt: Wir wollen MEHR!
Aber MEHR wofür? Wo kann ich nachlesen, wie nun ein möglicher Zugewinn an Kulturbudgets verwendet werden soll? Was sind die konzeptionellen Grundlagen, mit denen sich dieser Anspruch begründen und verhandeln ließe? Welche Themenpapiere und Konzepte kann ich bekommen, um zu erfahren, wie sich Kunst- und Kulturschaffende ihre Kooperation mit dem Staat vorstellen?
Dabei würde ich auch gerne erfahren, welche Vorstellungen momentan konsensfähig erscheinen, was das aktuelle Verhältnis zischen Landeszentrum und Provinz angeht.
Im § 1 des Steiermärkischen Kultur- und Kunstförderungsgesetz 2005 lese ist unter „(4) Die Kultur- und Kunstförderung des Landes hat insbesondere folgende Ziele zu beachten“ zum Beispiel: „2. die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes“.
Gerade in dieser Frage hat das Zentrum gegenüber der Provinz seit dem 19. Jahrhundert erhebliche Vorteile. Welche Grundlagen, Rahmenbedingungen und Verläufe, welche Prozesse hätten wir kulturpolitisch zu verhandeln, um die Revision dieser eklatanten Asymmetrie voranzubringen?
Solche Fragen sind nun mit der konsumorientierten Sentenz „WIR FORDERN PLUS 25 % FÜR KULTUR“ nicht klärbar. Dazu brauche ich statt dessen stichhaltige Annahmen, was denn auf einer Höhe der Zeit genau zu bearbeiten sei, um damit welche Ziele im Detail zu verfolgen.
Ich habe keinen Zweifel, daß zu den Grundlagen solcher Entwicklungen eine Art „Repolitisierung“ der Kunst- und Kulturschaffenden nötig ist. Das Gerieren als „Wut-“ oder „Mutbürger“ ist kaum mehr als Boulevard-Blödheit. Es wäre dagegen vorrangig zu klären, was es heute eigentlich bedeuten soll, Bürgerin oder Bürger einer zeitgemäßen Demokratie zu sein.
Also bitte kein Retrokurs in eine „Politk der Gefühle“, die etwa Autor Josef Haslinger vor einer Ewigkeit und drei Tagen in einer anregenden Polemik kritisiert hat. Wut und Mut sind sehr private Emotionen, als politische Kategorien schmeckt mir das zu sehr nach dem „Primat der Tat“. Das war ein Grundelement des Faschismus. Das ist mir also etwas zu sentimental.