Schlagwort-Archiv: nikola dzafo

Blogmobil: Roadbook

Ich habe mit Medienfachmann Heimo Müller nun Konsens, daß wir gemeinsam das Projekt „Blogmobil: Roadbook“ realisieren. Wir werden also mit seinem fahrenden Medienlabor auf Balkan-Tour gehen, um einen Teil des Projektes „The Track: Axiom * 2014“ quasi on the Road und in Progress umzusetzen.

Heimo Müller und sein Blogmobil

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Axiom * 2014: Komplexitätsbewältigung

Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov entwickelt ihr eigenes Projekt nun mit einem Schwerpunkt in Graz. Wir werden unser Projekt auf die Provinz-Situation abstimmen. Dazu kommt der Teil, den ich auf die Strecke lege.

Heimo Müller und sein Blogmobil

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Schritte im Schnee

Sie kennen das vermutlich, in der ersten Jännerwoche geht bei den diversen Einrichtungen von Stadt und Land gar nichts. In der zweiten Woche zeigt sich ein zunehmendes Erwachen. Dafür kämpfen etliche Leute mit massiven Verkühlungen. Der Wintersport hat auch einige Ausfälle verursacht. Mitte des Monats kommt dann der Betrieb langsam in Gang.

Fußnote: Nun ist doch noch ein Winter daraus geworden...

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2012: Abschließende Session

Das Jahr endet für mich, für uns, mit einer Station im serbischen Novi Sad, wo unsere mehrjährige Zusammenarbeit mit der „Art Klinika“ nun einen bemerkenswerten Punkt passiert.

Zur Vorgeschichte: Ein Eintrag vom 10. Dezember 2010 erzählt vom Auftakt zur „Schock-Allianz“ und von unserer ersten Session im Rahmen der „talking communities“: [link] Das handelt in der Folge auch von einigen Markierungen und weiterführenden Prozessen: [link]

Die Novi Sad-Session von 2010: In der Innenstadt

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was ist kunst? #12

gelegentlich steht mir jemand mit folgender haltung gegenüber: „ja, können sie mir jetzt sagen, was kunst ist oder nicht?“ es scheint manchmal menschen ein beruhigendes gefühl zu verschaffen, wenn sie keine kurze wie bündige antwort erhalten. („aha, er weiß es nicht!“)

bei unseren talking communties erlebte ich sogar die kuriosität, daß eine ausgewiesene kunsthistorikerin behauptete, man könne eigentlich nicht so genau sagen, was kunst sei. kurz und bündig läßt es sich freilich nicht klären. auf die art könnten sie nicht einmal klären, was zum beispiel eine zange sei. oder erklären sie mir einmal, was „sozialpartnerschaft“ ist; immerhin sind wir in der „zweiten republik“ entlang dieses politischen konzeptes aufgewachsen.

selbstverständlich können wir in der frage nach kunst sehr viel klären. das verlangt aber interesse und zeit. wer die welt in drei sätzen erläutert haben möchte, findet auf dem boulverad reichlich zuspruch. hier geht es aber etwas zeitraubender zu.

ich hab nun einige monate keine konzentration für dieses thema gefunden, der eintrag #11 stammt aus dem vergangenen februar. in jenem eintrag sieht man bilder von der eröffnung einer ausstellung des serbischen künstlers nikola dzafo.

dzafo arrangiert dzafo in der "schock-galerie", links flaniert schon mrdjan bajic (foto: art klinika)

in meinem privaten logbuch tauchte dzafo kürzlich auf: [link] er ist gerade dabei, mein set „nobody wants to be nobody“ in der „schock-galerie“ (novi sad) neu zu ordnen: [link] das hat übrigens seinen bezug auf eine unserer früheren stationen in gleisdorf, als wir nämlich 2007 das erste mal mit dem festival „steirischer herbst“ kooperiert haben: [link]

merken sie etwas? dieser text bündelt eine reihe von vorkommnissen, die in der zeit angeordnet sind und zu einander in beziehung stehen. es geht — aus gutem grund — damit noch ein stück weiter, das DOKUMENTIEREN spielt dabei eine wichtige rolle.

der erwähnte eintrag in meinem logbuch handelt unter anderem vom theoretiker boris groys. der ist heuer kurator des russichen beitrags zur biennale in venedig und entschied sich für die „kollektiven aktionen“: „Empty Zones: Andrei Monastyrski and the ‘Collective Actions’ Group (Nikita Alexeev, Elena Elagina, Georgy Kizevalter, Igor Makarevich, Andrei Monastyrski, Nikolai Panitkov, Sergei Romashko, Sabine Hänsgen)“ [link]

romashko und hänsgen waren (gemeinsam mit sergei letov) letzten herbst auf unserer strecke. mit „the track: virtuosen der täuschung“ [link] hatten wir eine der bedeutendsten konzeptkunst-formationen des 20. jahrhunderts in der oststeiermark.

von links: mirjana peitler-selakov, sergei romashko und sabine hänsgen im "gemälde-zimmer" des gleisdorfer "red baron"

für uns war es ein vergnügliches wie anregendes erlebnis, mit so erfahrenen leuten einige zeit zu verbingen. in der gegenwartskunst rußlands spielen ARCHIVE eine bedeutende rolle. außerdem waren die tage mit dieser crew höchst lehrreich; nie zuvor habe ich kunstschaffende erlebt, die es in ihrer arbeit mit jedem detail, bis hin zum einzelnen wort, so genau nehmen.

im gesamten werk der „kollektiven aktionen“ sind die aspekte des archivs und der dokumentation sehr wesentliche bestandteile dessen, wie sich diese konzeptkunst-formation über viele jahrzehnte manifestiert hat.

ich habe nun schon boris groys erwähnt, dessen theorie einer „kulturökonomie“ von den komplementär angeordneten zuständen des „profanen raumes“ und der „kulturellen archive“ handelt.

groys geht davon aus, daß kulturen grundsätzlich hierarchisch aufgebaut sind, genauer: „werthierarchisch“. wir bestimmen permanent, was es wert sei erhalten zu werden und was uns insoferne als banal umgibt, daß wir es zwar haben, benutzen etc., dem aber keine besondere bedeutung beimessen, die uns diese dinge als erhaltenswert erscheinen ließe.

kunst ereignet sich unter anderem genau dort, wo wir dingen eine bedeutung zuschreiben, die sie aus dem „profanen raum“ in die „archive der kultur“ verschiebt. groys‘ theorie finde ich deshalb so anziehend, weil sie überdies das dynamische solcher prozesse betont.

schafft es ein werk zu einem publikum und in die archive? bleibt es es fremden blicken verborgen? ist kunst an veröffentlichung gebunden? (franz sattler und emil gruber bei unserer station in albersdorf.)

was einmal mit der ausstattung zum erinnern geweiht wurde, also in bibliotheken, museen oder anderen archiv-varianten verwahrt wird, kann nämlich auch wieder profanisiert werden, also aus den archiven der kultur in den profanen raum zurückfallen.

umgekehrt kann zum beispiel triviale massenware im lauf der zeit qualitäten zugeschrieben bekommen, die sie in die archive wuchtet, also mit ganz neuer bedeutung auflädt.

ich habe eingangs vor allem einmal begonnen, ein wenig geschichtchen zu erzählen. die „kollektiven aktionen“ aus moskau, nikola dzafo aus petrovaradin, der „steirische herbst“ in der oststeiermark, die prozesse und momente, wie sie hier auch in unseren online-dokumentationen auftauchen. ideen, themen, prozesse, artefakte und dokumentationen. unsere künstlerische praxis ist auf eine sehr kompexe ereignis-kette angewiesen. ist es nur kunst, wenn all das auch „kanonisiert“ und in die geschichtsschreibung eingetragen wird?

[überblick]

was ist kunst? #11

das kommt kaum vor: „es gefällt mir, aber ich verstehe nichts von kunst.“ das kommt häufig vor: „es gefällt mir NICHT, aber ich verstehe nichts von kunst.“ so oder so, jeder der sätze birgt einen wesentlichen hinweis.

wir haben es gewöhnlich mit zwei möglichen zugängen zu tun, die auch mischformen erlauben. ich erfahre kunstwerke
a) über das reich der sinnlichkeit („es gefällt mir/gefällt mir nicht“) und
b) über die regeln der kunst („ich verstehe etwas/nichts von kunst“).

sinnliche wahrnehmung wurde im antiken griechenland „aisthesis“ genannt, also ästhetik. das ist wohl die „hauptabteilung“ der „geschmacksbildung“. freilich wird seit wenigstens zweitausendfünfhundert jahren gestritten, was denn nun „guter“ und was „schlechter“ geschmack sei, ob der „erlesene geschmack“ von „kennern“ oder der breite „massengeschmack“ mehr gewicht habe.

kitsch oder kunst? (nikola macura mit transparenter hasen-maske bei nikola dzafos vernissage zu "lepus in fabula")

sie ahnen sicher, dieses match ist seit jahrtausenden unentschieden. ich seh die frage so gelöst, daß es keine lösung gibt und daß vermutlich auch weiterhin einzelne leute, denen das gefällt, was sich als „den massen geläufig“ bewährt, mit inbrunst die „expertinnen und experten“ verachten werden, während personen, die sich „erlesenen geschmack“ angeeignet haben, dem „massengeschmack“ oft eher abschätzig gegenüberstehen.

ich mußte hier eine menge an- und abführungszeichen verwenden, weil da lauter begriffe stehen, deren inhalt und deutung keineswegs klar und unbestritten ist. ich möchte das positiv bewertet wissen. wir betreten in diesen fragen die wunderbaren welten des kontrastes, der uneindeutigkeiten und der widersprüche.

es ist eine phantastische fähigkeit der menschen, mit widersprüchen und zwischentönen leben zu können, das dann auch gelegentlich zu genießen. ganz offensichtlich wohnt die „wahrheit“ nicht dort, wo man alle widersprüche eliminiert. anscheinend ist eine art „wahrhaftigkeit“ genau in dieser oft verwirrenden pluralität zu finden.

die kunst ist nicht das einzige thema unserer spezies, bei dem solche zustände als vorzüge gewertet werden können. doch sie ist sicher eines der radikalsten beziehungs- und bedeutungsgeflechte, in dem OHNE solche fähigkeiten, derlei kontrasten etwas abzugewinnen, eigentlich fast gar nichts geht. (naja, „malen nach zahlen“ geht immer, aber das wär’s dann schon …)

ohne kontext geht's oft schwer ... (nikola dzafos "hasen-horde" im "museum für zeitgenössische kunst", novi sad)

als kleiner querverweis: in den kulinarischen welten kennen wir das ja auch; wie kühn man in einem bestimmten moment sein muß, um sich eine neue geschmackswelt zu erschließen. und daß es manchmal zeit plus praktische erfahrungen braucht, um geschmacksmischungen lieben zu lernen, deren schilderung einen vielleicht anfangs eher abgeschreckt hätte. (wie viele jahre mußten vergehen, daß ich jenen weißburgunder schätzen konnte, ohne den ich heute auf die welt des weines gut verzichten könnte?)

zurück zum eigentlich kern der geschichte, nämlich zur frage nach den erfahrungsprozessen, denen sich jemand aussetzen möchte; oder auch nicht. es ist müßig, sich über „massengeschmack“ zu alterieren, zumal „die masse“ ohnehin mehr ein denkmodell als eine klar faßbare kategorie ist. aber auch, weil eben diese masse sich ja erfahrungsgemäß recht wenig darum schert, was eine minorität über sie denkt. (außerdem finde ich in der „massenkultur“ eine ganze reihe sehr reizvoller momente und artefakte.)

ganz anders erscheint es mir mit der verächtlichkeit, zu der sich flaneure vom „massen-feld“ und vom boulevard her immer wieder lauthals aufraffen, wenn ihnen danach ist, einzelne liebhaber, erxpertinnen, suchende auf dem kunstfeld zu diffamieren. da habe ich selbst eine niedere reizschwelle und bin recht streitlustig. grade die kunst scheint schnösel und parvenüs anzuziehen, um sich daran abzuarbeiten.

die tollsten schätzchen sind darunter jene, deren ganzer status merklich boulevard-format hat, die sich — mit diesen dünnen hemdchen ausgestattet — auf das kunstfeld drängen und dort kunstversessene, wo es zu friktionen kommt, desavouieren, als „elitär“ anfeinden und dabei anti-intellektuelle attitüden durchspielen, daß sich die balken biegen.

in diesen dümmlichen tänzchen liegt wenigstens etwas interessantes, nämlich ein verkappter hinweis darauf, daß selbst der schnösel in der kunst etwas von belang vermutet, denn warum sollte er sich sonst bemühen, auf diesem terrain zu reüssieren. und das könnte uns sogar verbinden. vielleicht liegt darin einer der reizvollsten kontraste auf den nebenschauplätzen der kunst. vielleicht ist ja genau dort letztlich auch neuer boden für die kunst zu gewinnen. wer weiß?

[überblick]

p.s.:
wie lange wird all das schon kontroversiell debattiert? im 16. jahrhundert schuf giorgio varasi ein text-oeuvre, das ihm den ruf des ersten kunsthistorikers unserer geschichte einbrachte. als hofmaler und architekt war er (unter anderem) im gleichen metier versiert wie der architekt vitruvius, dessen schriftlich überlieferte architektur-theorie aus dem ersten vorchristlichen jahrhundert heute sicher auch als ein stück kunst-theorie gelten darf. kritische erörterungen verschiedener fragen der kunst finden sich freilich schon in der griechischen antike.

in der soziokulturellen kuschelecke?

im beitrag was ist kunst? #10 habe ich einige einwände erwähnt, die ich gegenüber dem kunstbetrieb laufend höre. es wimmelt da inzwischen von leuten, die zwar an kunst auffallend wenig interesse zeigen, die auf dem kunstfeld aber offenbar ein „soziokulturelles kuscheleck“ suchen und, wie ich annehmen darf, einen gewinn an sozialprestige.

in der polemik über arsch und titten zur schnattergesellschaft bin ich einigen möglichen gründen dafür nachgegangen und habe sie in den kontrast zu den optionen jener leute gestellt, die etwas wie ein reges geistiges leben gegenüber dem inzwischen gut eingeführten „tittytainment“ bevorzugen. der begriff „tittytainment“ bezieht sich übrigens NICHT auf die bevorzugten nacktheiten, die berlusconi seiner gefolgschaft vor die nase hängt. ich hab ihn — falls ich mich recht erinnere — aus einem buch des medienkritikers neil postman. der meinte damit ungefähr, daß wir dazu neigen, an den brüsten der unterhaltungsindustrie zu hängen wie ein säugling an der mutterbrust, höchst zufriden, so lange uns da niemand wegstößt.

es kann kein zufall sein, daß mir kürzlich, auf dem weg zu unserem heurigen „april-festival“, ein mann, der sich gerade einmal zu netten bastelarbeiten aufrafft, in einem streitgespräch mit der „freiheit der kunst“ kam. worauf bezog sich das? er fand es ärgerlich, daß wir mit einer themenstellung und titelwahl beim april-festival eben diese von ihm vermutete freiheit einschränken würden.

ich möchte für möglich halten, daß im steigenden druck einer maßlos gewordenen „leistungsgesellschaft“ menschen vor eben diesem druck ausweichen. einige davon versprechen sich anscheinend im kunst-kontext diese erleichterung. wie wäre sonst zu erklären, daß etwa eine frau, die sich in sozialen fragen engagiert und dabei auch auf die straße geht, um da über originelle formen von aktionismus akute fragen zu thematisieren, daß diese frau von sich sagt „ich bin aktionskünstlerin“?

ich habe keine gründe, diese kuriosen überlappungen anzufechten. vielleicht ist das ja auch langfristig ein gewinn für die gegenwartskunst, weil all diese attitüden und aktivismen ja zu erfahrungen mit symbolischen formen führen. das ebnet wege im zugang zur kunst. aber wo ich um konkrete präsentationsformen für künstlerische arbeiten ringe, wo ich den austausch mit kunstschaffenden aus anderen ländern, anderen kulturellen bezugsfeldern suche, ist ein ausmaß an arbeit und geld nötig, wovon mir beides nicht vom himmel fällt. siehe dazu etwa jenseits der zentren“!

dieses geld läßt sich auf keinem markt erwirtschaften, es muß als eine gesellschaftlche investition in kultur und geistiges klima akquiriert werden. das bedeutet, es muß KULTURPOLITISCH verhandelt werden. und in eben dieser kulturpolitischen verhandlung, die ich mit politik und verwaltung zu führen habe, muß ich a) meine gründe sehr genau nennen können und b) meine gegenüber in den verhandlungen auch überzeugen können. ohne diese möglichkeiten lassen sich gerade jetzt keine budgets mehr gewinnen, um etwa reisekosten und honorare für anregende gäste aufzubringen.

ohne das gelingen dieser verhandlungen würden wir im eigenen schrebergarten verbleiben müssen. viele kulturelle bereiche würden einfach implodieren, in sich zusammensacken, verschwinden. um all dem gegenüber klare positionen zu halten und für ein etwas anspruchsvolleres kulturelles klima eintreten zu können, muß ich sagen könne, was ich eigentlich meine, wenn ich KUNST erwähne.

(die fotos in diesem beitrag stammenn aus der ausstellung lepus in fabula von nikola dzafo im „musuem für zeitgenössische kunst“ in novi sad.)

— [was ist kunst?] —

über arsch und titten zur schnattergesellschaft

ich hab in meinem logbuch von einem spaziergang durch das verschneite novi sad mit dem literaturwissenschafter radivoj doderovic erzählt: [link] es ging um unsere plauderei über idioten als staats-chefs, wie sie seit mussolini und hitler in europa nicht möglich waren und nun doch. über eine schnatter-gesellschaft ganz im sinne des „arsch und titten-tv“ a la berlusconi. das bedeutet irgendwie: jeder redet überall mit, alles paßt auf eine bühne, man kann ohnehin nicht so genau sagen, was es ist.

literaturwissenschafter radivoj doderovic nach der vernissage von nikola dzafos ausstellung

das war mir zum beispiel kürzlich aufgefallen, als ich eine junge kunsthistorikerin sagen hörte, man könne eh nicht so genau sagen, was kunst sei. sie kann es nicht, weil sie offenbar noch kaum zeit und interesse auf das große thema verwendet hat. an ihrer seite der plüschige maler schwüler nuditäten, dem eine konsequente debatte über kunst bloß etwas „elitäres“ ist, dem er mißtraut. ich verstehe sein mißtrauen, denn wären kriterien zugelassen, er müßte sie auf sein eigenes tun anwenden, was ihn möglicherweise vom kunstfeld kippen könnte.

von einer anderen seite vernahm ich: „wie das die akademische Elite oder der perfide Kunstmarktkapitalismus sieht ist mir schnuppe.“ das diffamieren von leuten, die in der „kopf-arbeit“ tätig sind, hat tradition. ich staune allerdings stets, wenn ich in der kultur-community so ausdrücklich anti-intellektuelle positionen vorfinde. geht es hier bloß um bildungsdünkel? oder ist das schon so ein „berlusconi-effekt“, wonach sich eine art „instant-kultur“ einlösen solle, mit oder ohne „arsch und titten“, die keine mühe bereiten darf, keine entwicklungs- und erfahrungszeit beanspruchen soll, was dann auch gegen reflexion spricht, denn offenbar setzt sich da etwas durch: denken stört.

rasa doderovic hatte mir eben erst ein buch mitgebracht, das zweisprachig vorliegt. was hier in cyrilica zu lesen steht, hat mich überrascht: „Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Karl Franzens-Universität zu Graz vorgelegt von Ivo Andric aus Sarajevo, SHS.“ (der „shs-staat“, also ein „staat der serben, kroaten und slowenen“, war der vorläufer jugoslawiens nach dem ersten weltkrieg.)

Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Karl Franzens-Universität zu Graz vorgelegt von Ivo Andric aus Sarajevo, SHS

ich habe nicht gewußt, daß der diplomat und literaturnobelpreisträger ivo andric in graz studiert hatte. (vermutlich auch so ein repräsentant einer akademischen elite oder sonst wie perfider kulturträger.) die dissertation von andric trägt den titel „Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft“. daß jemand über die mögliche entwicklung eines geistigen lebens nachdenkt, ist offenbar etwas aus der mode gekommen. vielleicht stagniert sie deshalb auch ein wenig, die geistige entwicklung.

ich finde es sehr provokant, daß man sich womöglich noch rechtfertigen sollte, wenn man reflexion schätzt, diskurse pflegt und erwartet, daß jemand seine gründe zu nennen vermag, wenn er dies oder das dahinbehauptet. goebbels würde lächeln. bei den faschisten galt der „primat der tat“ als vorrangig. aggressives handeln war gefordert, nachdenken galt als verdächtig. im wehrmachtsheer, so wurde mir erzählt, genügte es zuweilen schon, eine brille zu tragen, und man konnte als „intelligenzler“ diffamiert, folglich schikaniert werden.

kunsthistorikerin mirjana peitler-selakov und künstler nikola dzafo

mit der gegenwartskunst ist es zur zeit so, daß sie ohne diskurs kaum dingfest gemacht werden kann. das bedeutet nicht, sie könne nur über diskurse erfahren werden. das reich der sinnlichkeit und die regeln der kunst sind zweierlei. was also sinnlich erfahren werden kann und was begrifflich begriffen werden kann, hat jeweils seine ganz eigenen momente.

aber wenn wir darüber reden, über kunst reden, sollten wir wenigstens temporär sagen können, was wir meinen. wenn alles kunst ist, dann ist nichts kunst. wenn jemand über kunst nichts sagen kann, dann kann er eben über kunst nicht reden. das wäre ja keine problematische position. warum also dieses andauernde geschnatter von jenen, die schließlich doch betonen, daß man eigentlich nicht sagen könne, was kunst sei? vielleicht wären sie gut beraten, sich dem reich der sinnlichkeit zu widmen … und öfter eine kunstveranstaltung zu besuchen.

— [was ist kunst?] —

jenseits der zentren

warum führen wir gerade arbeitsgespräche in serbien, wo “kunst ost” doch eine regionale kulturinitiative ist? wir befinden uns momentan in novi sad, der hauptstadt der vojvodina. die stadt ist von der dimension her mit graz vergleichbar. die provinz vojvodina wird von der eu einer „zukunftsregion“ zugerechnet: „Die heute abgesegneten Projekte sehen u.a. eine Bio-Großregion vor, die vom Veneto und Friaul über die Steiermark bis Ungarn und die Vojvodina reicht.“ [quelle]

auf der „matriosca“-website finde ich in der liste der projekt-partner die vojvodina noch uner dem länderkürzel SCG, was serbien und montenegro (crna gora) als gemeinsamen staat meint. das hat sich ja schon vor einem weilchen geändert, montenegro erlangte 2006 eigenstaatlichkeit.

im vordergrund: nikola dzafo (links) und zmuc radionica

in diesem jetzt nicht rasend wichtigen detail liegt aber ein hinweis darauf, warum wir kulturellen austausch mit leuten aus serbien pflegen. es sind nicht die kriterien der verwaltung bestehender eu-projekte, die uns das nahelegenen. doch wie oft hat man gelegenheit, einem tatsächlichen „nation-building“ beizuwohnen? hier entstehen gerade neue nationalstaaten, die darum ringen, ihre kriegs-traumata hinter sich zu lassen.

in diesen situationen, die von mangel und konflikten geprägt sind, hat die gegenwartskunst nicht gerade hohe priorität. das drückt sich einerseits im eklatanten ressourcen-mangel aus, andrerseits sind bestehende strukturen teilweise ausgetrocknet, sogar stillgelegt. dazu kommt für kunstschaffende aus dem südslawischen raum, daß sie von gesellschaftlich ganz anderen schwerpunkten geprägt wurden, was in der begegnung, teils konfrontation, mit dem „westlichen“ kunstmarkt zu kuriosen situationen führt.

wir haben nun seitens „kunst ost“ gute gründe, die debatten und den erfahrungsaustausch mit kulturschaffenen zu suchen, die sich unter diesen bedingungen kulturpolitischen fragen widmen. das ist aber nur ein aspekt, nämlich die frage, wovon denn kulturpolitik heute handeln solle. es geht ferner um strategien und praktische konzepte für ein kunstgeschehen, das sich nicht völlig den dominanten marktmechanismen ausliefern möchte.

es geht mutmaßlich auch um manche unterscheidungen zwischen gegenwartskunst und voluntary arts. was den „profi-bereich“ betrifft, stellt sich die frage, welche art broterwerb sich für kunstschaffende als machbar erweist. nun ist dieser erweb, also ein jahreseinkommen, das uns ökonomisch überleben läßt, keine kategorie der kunst, sondern eine soziale kategorie. aber es wird einleuchten, daß viele leute, die sich nicht auf den kunstmarkt allein als einkommensquele verlassen möchten, wenigstens kunstnahe arbeitsbereiche suchen, um sich da ihren lebensunterhalt zu verdienen.

darka radosavljevic vasiljevic (links) und mirjana peitler-selakov

jenseits dieser individuellen fragestellungen bleibt natürlich auch die anforderung bestehen, ob sich ein kulturbetrieb völlig in die zentren zurückzieht, wo er durch eine erhöhte konzentration der mittel und möglichkeiten handlungsspielraum hat. oder finden wir angemessene strategien, um auch in der sogenannten „provinz“, also jenseits der landeszentren, kulturelle prozesse zu initiieren und zu konsolidieren?

solchen überlegungen widmet sich zum beispiel momentan die sehr erfahrene kunsthistorikerin und kuratorin darka radosavljevic vasiljevic, welche eine der maßgeblichen akteurinnen war, um die belgrader kunsteinrichtung remontaufzubauen. da bahnt sich ein spezieller austausch an.

wir haben also gute gründe, uns über die landesgrenzen hinweg mit engagierten und kompetenten leuten des kunstfeldes zu verständigen, um im laufenden erfahrungsaustausch eher herauszufinden, was unseren regional vereinbarten zielen nützt. ich darf auch davon ausgehen, daß das im geist jener intentionen angelegt ist, die auf landesebene überhaupt erst zu einem LEADER-kulturprogramm geführt haben …

— [balkan buro: šok alijansa] —

talking communities

die „art klinika“ in novi sad ist ein ort, aber auch eine formation; eine gruppe kunst- und kulturschaffender. in den kellerräumen befindet sich unter anderem die „schock-galerie“, ausgangspunkt jener jungen „allianz“, die eben entsteht und die ein materielles wie immaterielles netzwerk ergeben soll: [link]

ich hatte nach meiner session in einem schaufenster in der innenstadt [link] dort gestern einen abend zu fragen künstlerischer praxis: Input. Iz serije „Umetnicke prakse“.

wie sich in der anschließenden debatte zeigte, es gibt für kunstschaffende in serbien zwar „sichtbarkeit“, also zugang zur öffentlichkeit, aber kaum einen markt. und daß in einer post-kriegs-gesellschaft öffentliche budgets für die kunst auf den prioritätenlisten eher weiter unten vorkommen, wird kaum überraschen.

nun handelt meine auffassung von einer “art under net conditions” (“umetnost u uslovima umreženja”) zwar von strategien, die unter eben solche bedingungen zu ergebnissen führen, allerdings in einem generell sehr wohlhabenden land; verglichen mit serbien. im sinne von: wenn ich den markt eher meide und die allgemeine sichtbarkeit der prozesse schon das wesentlichste ereignis ist, was einen lauf der (künstlerischen) dinge angeht, weil die essenziellen aspekte kleineren kreisen vorbehalten sind, welche art kunstfeld läßt sich damit bereiten?

daß die essenziellen aspekte kleineren kreisen vorbehalten seien, meint eine künstlerische praxis, die sich nicht primär an ein massenpublikum oder „die branche“ richtet, sondern sehr viel stärker in der art einer „forschungsgruppe“ und überschaubaren „reisegesellschaft“ funktioniert. („the quest“)

der serbische künstler nikola dzafo

unabhängig davon muß sich freilich ein jahresbudget ausgehen, „to make a living“. aber da bleiben auch fragen offen, wie etwa die nach den optionen für einen künstler wie beispielsweise nikola dzafo, eine schlüsselperson der „art klinika“. dzafo ist primär ein exzellenter maler und findet eben in diesem genre zu keiner passablen marktposition; mangels eines ausreichend potenten kunstmarktes im lande. das äußert sich dann auch in so banalen fragen, wie oft ein bild neu grundiert und übermalt werden kann, da die leinwände ja nicht gratis vom himmel fallen.

— [talking communities] —