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Prioritäten prüfen

Die Frage nach dem Rang Kultur- und Kunstschaffender

Diesmal ein sehr kleines Plenum mit der Arbeit an großen Vorhaben. Wir hatten uns in der Nachbarregion („Vulkanland“) getroffen, auf Schloß Hainfeld. Beim vorangegangenen Plenartreffen [link] waren schon einige Punkte deutlich geworden, die nun greifbarer gemacht werden müssen. Der Hintergrund all dessen ist heuer kontrastreich.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Nun ist rund ein Jahr vergangen, seit die Konsequenzen mehrjähriger Krisenentwicklungen, national und international, ganz konkret und hart zur Basis regionaler Kulturschaffender durchgeschlagen haben.

Irmgard Hierzer (links) und Irmgard Eixelberger

Ende Oktober 2010 war klar, daß sich die Kommunen von uns zurückziehen, um sich mit allenfalls verbleibenden Kulturbudgets um ihre „hauseigenen“ Einrichtungen zu kümmern. Allein die Stadt Gleisdorf hat ihr Kulturbudget in zwei Jahresschritten (2010/2011) um 75 Prozent reduziert. Genau! Es blieb bloß noch ein Viertel übrig. Was das auf viele kleine Gemeinden umgelegt bedeutet, ist klar: Null Prozent Rest.

Inzwischen wurde sogar der Ausstellungsbetrieb im Gleisdorfer „Museum im Rathaus“ eingestellt und dieser wichtige wie zentrale Veranstaltungsort bleibt ab nun weitgehend privater Initiative überlassen. So schaut’s aus, punktum. Es gab keinen Moment, wo etwa das Kulturreferat bekanntermaßen engagierte Leute an einen Tisch gebeten hätte, so im Sinne von: „Wir sollten über den Status quo reden“.

Also kein kulturpolitischer Diskurs. Also minus 75 Prozent. Also keine Gespräche. So ist es gekommen. Wird es so bleiben? Zum Glück nicht ganz. Das war alles sehr anregend. (Ironie!) Die Politik beginnt nun doch noch, auf unser Bestreben zu reagieren. Worum geht es aber insgesamt?

Schloß Hainfeld war ja gerade erst unser Treffpunkt, um den Themenbrocken „Kunst Wirtschaft Wissenschaft“ in unsere Praxis herüberzuführen: [link] Siehe dazu auch die Notiz: [link] Das ist einer der Themenschwerpunkte im aktuellen Konzentrationsprozeß.

Gerhard Flekatsch

Ein anderer Aspekt betrifft die Frage nach dem Rang Kultur- und Kunstschaffender innerhalb der Regionalentwicklung. Da haben die Kommunen der „Energie-Region“ gerade einen anspruchsvollen Prozeß gestartet, der unter dem Aspekt von „BürgerInnenbeteiligung“ in die nächsten Jahre hinein wachsen soll. „Vision 2050“ ist für uns auf jeden Fall ein Anlaß, um zu demonstrieren, was kulturelle Kompetenzen in einer regionalen Gesellschaft sind und bedeuten.

Wir haben beim aktuellen Plenum erörtert und beschlossen, dem eine Serie von Arbeitstreffen folgen zu lassen. Die Themen-Website dazu gib schon einen Überblick, was in der Sache bisher zur Diskussion stand: [link] Nun wird „kunst ost“ seine Rolle in diesem Prozeß noch präzisieren.

Das bedeutet, wir bemühen uns, klarer erkennbar zu machen, daß zwar die künstlerische Praxis selbst kein soziales oder politisches Werkzeug ist und daß unsere künstlerische Arbeit sich selbst verpflichtet bleiben sollte, daß aber Kompetenzen, die wir aus der Befassung mit Kunst beziehen, im Gemeinwesen wichtig sind.

Wir haben außerdem erörtert, wo ein kulturpolitischer Diskurs ansetzen kann, da uns die letzten zwei Jahre mehr als deutlich gezeigt haben: Es gibt in den Kommunen der Region keinen breiten Konsens, sich für eine zeitgemäße Kulturpolitik zu engagieren, weil es darüber keine ausreichende Sachkenntnis gibt.

Landeszentren haben es da leichter, weil da historisch gewachsene Milieus bestehen, deren kulturelle Ansprüche und deren Kulturverständnis die Basis eines kulturellen Klimas ergeben, von dem die „Provinz“ keine Spur zeigt. Gut, es ist eben so und da bleiben momentan nur wir Kulturschaffende, die sich dem widmen mögen. Das heißt auch, Graz hat alle Vorteile materieller und immaterieller Art gegenüber der restlichen Steiermark, eine angemessene Wechselwirkung in der Frage findet kaum, eigentlich eher nicht statt.

Kernpunkt: Wenn wir den Leuten in Politik und Verwaltung klar machen möchten, warum es uns geben soll und warum Kommunen in den Kulturbereich investieren müssen, sollten wir das erst einmal uns selbst klar machen.

Dazu gehören auch Fragen nach Vermittlungsarbeit und Präsentation. Wir kennen die Falle. Alle Welt flötet: „Quoten sagen doch nichts aus.“ Aber unterm Strich fragt die Politik: „Wie viele Besucherinnen und Besucher waren da?“ Die konventionelle Verwertungslogik dominiert. Wir sind dem bisheute noch nie ausreichend streitbar entgegengetreten. Wir ließen es bisher an klaren Argumenten fehlen.

Wenn wir das nicht aufbrechen, wird es niemand sonst tun. Also haben wir auch uns selbst zu fragen: Warum soll es Ausstellungen geben? Welchen Sinn und welchen Stellenwert hat Präsentation? Wie viel davon sollte allenfalls zugunsten anderer Aktivitäten zurückgenommen werden?

Wir waren uns freilich einig: Das soll es weiter geben. Wir werden uns auch zukünftig über diesen Weg an eine Öffentlichkeit wenden, ein Publikum suchen. Doch insgesamt muß das Repertoire verschiedener Kulturveranstaltungen überdacht werden. Auf eine Kommunikation mit einem Publikum werden wir nicht verzichten. Aber es geht auch noch um ganz andere Settings und ganz andere Aufgabenstellungen.

Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov mit Unternehmer Andreas Kindermann (Mitte) und Tierarzt Karl Bauer

Das kommende Aprilfestival bleibt natürlich auf der Checkliste: [link] Es wird allerdings konzeptionell gründlich zu überarbeiten sein. Unser „FrauenMonat“ bleibt auch auf dem Programm. Da hat Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov aus dem letzten Sommer heraus offenkundig mehrere Durchbrüche geschafft. Siehe dazu auch die Notiz „Frauen, Technik, Kunst“: [link]

Für den Herbst 2012 ist ohnehin schon länger eines von zwei Symposien fixiert, mit dem wir auf die Ebene eines internationalen Kunstdiskurses gehen. Der kommende Herbst ist dem Thema „regionalität und realität // globalität und virtualität“ gewidmet; siehe: [link]

Wir sind also gerüstet, die Positionen Kulturschaffender jenseits des Landeszentrums neu zu besetzen und zu begründen.

Frauen, Technik, Kunst

Wir haben heuer einen Fokus auf Frauen und Technik gesetzt. Wir? Genauer: Mirjana Peitler-Selakov, unsere Kuratorin für Schwerpunkt-Projekte. Das Kürzel „FMTechnik!“ steht für „Frauen, Macht und Technik“. Dem war diesen Sommer auch der „FrauenMonat“ von „kunst ost“ gewidmet: [link]

Eine Publikation von Gerlinde Knaus

Ein Auftakt. Die Konsequenzen sind überraschend. Peitler-Selakov hat inzwischen in dieser Sache verschiedene Linien weiter verfolgt und die Grundlagen für ein „FMTech_Lab“ erarbeitet: „Die Allgegenwärtigkeit von Technik in unserem Alltag ist ein weiterer Grund, sich stärker in technischen Berufen zu engagieren. Frauen nutzen Technik ebenso wie Männer, wirken an ihrer Gestaltung aber immer noch zu wenig mit. Hier liegt für Mädchen und junge Frauen ein breites Potential, das bisher ungenutzt bleibt.“

Das wird sich zum Teil ebenso hier in der „Energie-Region“ entfalten. Über Verfahrensweisen, in denen auch Strategien der Kunst genutzt werden beziehungsweise Künstlerinnen mit ihren Kompetenzen Beiträge erarbeiten.

Mirjana Peitler-Selakov, ein Feature

Darin stecken überdies Möglichkeiten, unsere Optionen für den Entwicklungsprozeß „Vision 2050“ [link] zu bereichern. Wenn wir heute Grundlagen für zukünftige Lebensbedingungen mitgestalten möchten, ist das ein höchst relevantes Teilthema.

Dieser Tage erschien außerdem eine Publikation, die Gerlinde Knaus herausgegeben hat: „Pionierinnen“ (Die fabelhafte Welt der Frauen in der Technik, Band 2). Der Titel erklärt hinreichend, worum es geht. Unter den Beiträgen ist auch ein Feature, das Mirjana Peitler-Selakov und ihre Zugänge zu diesen Belangen nachvollziehbar macht.

Das Buch ist für Euro 16,50 im Buchhandel oder direkt bei Knaus’ www.mussekunst.com erhältlich. Sie können es aber auch als kostenlosen Download im PDF-Formamat erhalten. Die Datei hat etwa 3,8 MB: [link]

Einen interessanten Denkanstoß zu derlei Zusammenhängen bot übrigens Andrea B. Braidt, die Vizerektorin für Kunst und Forschung an der Akademie der bildenden Künste in Wien, bei einem Interview, das am 1. Dezember 2011 im „Standard“ erschien. Kunst und Forschung als zwei Seiten einer Medaille namens „Wissen“, das ist ein klarer Hinweis darauf, daß künstlerische Praktiken beim Wissenserwerb hohen Rang haben.

Vizerektorin Andrea B. Braidt in "Der Standard"

und dann 2050? #7

Seit Ende der 1980er beschäftigt mich das Thema „Eigenständige Regionalentwicklung“ und die Frage nach angemessenen Zusammenhängen im Kulturbereich. Es gab ab etwa Mitte der 80er ein deutlich sichtbares Milieu von Kulturschaffenden, die damals vieles von dem erprobten und einführten, was heute Standard ländlicher Kulturreferate ist.

Dennoch ist der kulturpolitische Status quo in der „Provinz“ momentan mehr als besorgniserregend. Wie war das möglich, wo doch so viel kulturelles Engagement Platz gegriffen hatte? Außerdem gingen viele Leute aus diesem damaligen Inituiativenmilieu in verschiedene Institutionen der Gesellschaft, die ein waches Verständnis von Kulturgeschehen fördern könnten. Ich nenne ein regional prominentes Beispiel: Erwin Eggenreich wird der nächste Bürgermeister von Weiz sein. Er war damals ein engagierter Akteur dieser kulturellen Entwicklung.

Gerhard Ziegler (links) und Erwin Eggenreich waren tragende Akteure der regionalen Kulturinitiativenszene in den späten 1980ern. Ziegler ist heute im Projektmanagement tätig, Eggenreich wird der nächste Weizer Bürgermeister.

Ich habe keinen Zweifel, daß einer der Hauptgründe des aktuellen Zustandes im Auseinanderfallen der Milieus liegt, zwischen denen Kommunikation weitgehend abgebrochen ist. Damit meine ich, wir haben aufgrund unserer biografischen Entwicklungen höchst unterschiedliche Felder betreten und weder Anlaß noch Wege gefunden, die Kommunikation zwischen diesen Felder aufrecht zu erhalten, obwohl wir uns aus der Vorgeschichte gut kannten. (Oder vielleicht eben deshalb.)

Ich sehe das übrigens auch als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Innerhalb der letzten zwölf Monate haben Konfliktlagen im sozialen und kulturellen Bereich deutlich gezeigt, daß mindestens auf der Landesebene die Politik und die Zivilgesellschaft, als zwei Sphären eines größeren Zusammenhangs, auseinandergefallen sind und daß die Kommunikation zwischen diesen beiden Sphären stellenweise bloß noch Simulation ist.

Aber auch auf kommunaler Ebene ist Kommunikation sehr schwierig geworden. Gremien der Gemeinden scheinen eher auf sich zurückgezogen zu sein. Ratlosigkeit nimmt zu. Das Thema Gemeindezusammenlegungen dominiert offenbar viele Arbeitsbereiche. Auch die „Großregion“, eben erst schwungvoll konstituiert, läuft anscheinend auf ein Schwimmen in Gelee hinaus.

In der Kleinregion Gleisdorf heißt es: „Gemeindezusammenlegung nein danke!“ Mit einer kuriosen Ausnahme, wo zwei Winzlingsgemeinden die Fusion erwägen. Allerdings unter der Bedingung, daß ihnen vom Land ein neues, gemeinsames Gemeindezentrum gebaut würde. Lustig!

Die Sitzungen des Gleisdorfer Gemeinderates haben einen öffentlichen Teil, der besucht werden kann, um aus erster Hand zu erfahren, was im Rathaus läuft

Das Thema „Großregion“ wurde 2009 eingeführt: [link] Die Politik hatte entschieden, es sollen in der Steiermark sieben Großregionen formiert werden. Im Gleisdorfer Gemeinderat erfuhr ich: Die Aufgaben sind noch unklar. Auch die Zusammenarbeit mit LEADER sei weitgehend unbestimmt. Es sei eben ein „Werdungsprozeß“. Die regionalen Mühlen mahlen also sehr langsam, während uns die Probleme galoppierend entgegen kommen.

Das korrespondiert freilich mit dem rasenden Servicebedürfnis der Bevölkerung, deren Großteil offenbar von öffentlicher Hand Leistungen erwartet, ohne ausreichend zu klären, was dabei an Eigenverantwortung und Selbstorganisation verstärkend ins Spiel kommen könnte. Dazu hat sich Helmut Kienreich, derzeit Bürgermeister von Weiz, recht deutlich geäußert: [link]

Ich sehe sehr deutlich im Kulturbereich, wie das Servicebedürfnis die Eigeninitiative überlagert. Was ist in den letzten Jahren „bottom up“ entstanden? Welche Kulturschaffenden treffe ich etwa bei Meetings der „Kleinregion Gleisdorf“, wo man völlig zwanglos mit Funktionstragenden der Kommunen ins Gespräch kommen kann?

Es ist verlockend, Politik und Verwaltung mit Vorhaltungen zu konfrontieren. So lassen sich die Ursachen für Stagnation und Kompetenzverluste bei anderen finden. Ich tendiere dazu, primär auf dem eigenen Feld für neue Klarheiten zu sorgen und Handlungspläne zu entwickeln. Parallel müssen wir uns überlegen, was getan werden soll, damit Leute in Politik und Verwaltung zu verstehen beginnen, wovon wir reden. Das ist nämlich nicht von hausaus gegeben. Kommunikation. Übersetzungsarbeit. Das erledigt sich nicht von selbst.

"kunst ost" und die bereichsübergreifende kooperation: gleisdorf, hainfeld (feldbach) und graz, hier gerhard flekatsch und eva ursprung

Ab da lassen sich Kooperationen entwerfen und erproben. Klare Inhalte, gelingende Verständigung, ohne diese Ausgangspunkt droht jede weitere Bemühung in leere Kilometer zu münden. Mein Credo für diese Prozesse: Klären wir zuerst quer durch verschiedene Metiers, ob wir gemeinsame Fragen haben, deren Bearbeitung uns interessant erscheint. Falls ja, klären wir, welche gemeinsamen Aufgaben eine Bündelung unserer verschiedenen Kompetenzen nahelegen würden.

[2050: übersicht]

und dann 2050? #6

Wenn uns für die Zukunft etwas gelingen soll, müßte uns die Gegenwart einigermaßen klar und verständlich sein. Das ist momentan ein anspruchsvolles Thema, weil sich aus der Vergangenheit heraus nun im Lauf der Dinge ein Tempo entfaltet hat, das alle Lebensbereiche durchdringt und das in der Art bisher ohne Beispiel war.

Philosoph Peter Sloterdijk hat das in einem sehr anregenden Interview (manager magazin 2009) so beschrieben: „Wir sind in ein Zeitalter der unmenschlichen Geschwindigkeiten eingetreten — und dieser Übergang läuft mitten durch unsere Lebensgeschichten. Wir nehmen an einer maßlosen Beschleunigung teil und besitzen nur ein konfuses Vorgefühl von dem, was wirklich mit uns geschieht. In zwei oder drei Generationen wird man deutlicher sehen.“ [Quelle]

Von Links: Andreas Kindermann (Geschäftsführer), Karl Bauer (Tierarzt), Mirjana Peitler-Selakov (Kuratorin) Und Michaela Knittelfelder-Lang (Malerin) in der Lederfabrik Wollsdorf

Ein „konfuses Vorgefühl“. Das ist gelegentlich gar kein so übler Zustand, um etwas zu erahnen, wo genaueres Erkennen noch unmöglich bleibt. Aber bei „kunst ost“ wollen wir momentan einiges viel genauer wissen. Was soll denn das sein, die „Energie-Region“? Worauf läßt sich die Idee stützen, dies sei eine Region? Das muß sich ja ganz wesentlich aus dem Beziehen, was Menschen hier konkret tun, womit und wodurch sie ihre Leben gestalten.

Ich verfolge laufend, wie solche Fragen von der Politik her behandelt und beantwortet werden, vor allem auf kommunaler und auf Landesebene; siehe etwa Projekt-Log #356! Sitze ich mit einem Unternehmer an einem Tisch, kommen natürlich andere Aspekte ins Blickfeld. Eben hatte sich Andreas Kindermann, Geschäftsführer der Lederfarbrik Wollsdorf, für uns einige Zeit genommen.

In welchen regionalen Zusammenhängen ereignet sich ein Betrieb, der auf dem Weltmarkt eine markante Rolle spielt? Das war eine überaus spannende Debatte, von der ich noch ausführlicher erzählen werde. Die wirtschaftliche Situation eines Lebensraumes kommt uns ja meist nicht besonders bemerkenswert vor, so lange alles klappt und gedeiht. Erst wenn sich Defizite und Problemlagen breit machen, dämmert uns, daß wir diese Kräftespiele wenigstens skizzenhaft verstehen sollten.

Wollsdorf scheint zu gedeihen. Was bedeutet das? Was verlangt das? Davon später mehr! Ein anderes Gedeihen hat eben kuriose Früchte getragen. Ich habe hier schon von unserer Kooperation mit Unternehmensberater Erich Wolf erzählt und daß wir nun mit einem mehrjährigen Prozeß befaßt sind, der ein „Kompetenzzentrum für steirische Gegenwartskunst“ herbeiführen soll. Siehe: [link]

„Das unabhängige Wirtschaftskomitee ‚Initiativen Wirtschaft für Kunst’ vergibt den Österreichischen Kunstsponsoringpreis ‚Maecenas’ heuer bereits zum 23. Mal…“ Fein! Zum Beispiel an Erich Wolf. Ein schönes Signal und ein aktueller Anlaß, auf regionaler Ebene genauer herauszuarbeiten, was denn Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur genau sein können.

Genau das, solche Zusammenhänge, sind ja unter anderem auch Gegenstand des Projektes „iEnergie Weiz Gleisdorf“ selbst, wo etwa Universitäten und die Grazer TU den Auftakt gestaltet haben. Da wurden übrigens gerade die ersten Rückmeldungen eingearbeitet. Das adaptierte Szenario, mit dem wir uns befassen, ist hier deponiert: [link]

Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur beschäftigen uns auch in der Kooperation mit einer Kulturinitiative der Nachbarregion Vulkanland. Künstler Gerhard Flekatsch ist unser Kooperationspartner im Verein bluethenlese, welcher im geschichtsträchtigen Domizil des Joseph von Hammer-Purgstall etabliert ist, im Schloß Hainfeld nahe Feldbach. („Geschichtsträchtig“ ist hier keine Floskel, sondern ergibt einen sehr konkreten historischen Hintergrund zu unseren aktuellen Kooperationen mit Südosteuropa.)

Künstler Gerhard Flekatsch und Künstlerin Eva Ursprung bei den Vorbereitungen für unsere aktuelle Session

Damit richten wir eine längerfristige Arbeitsebene ein, auf der ein Kreis relevanter Personen die Klärung solcher Fragen konsequent verfolgen wird. (Mit der darauf folgenden Station werden wir im Jänner 2012 bei „KWB“ zu Gast sein.) Wenn wir also präzisieren möchten, mit welchen Vorstellungen ausgestattet sich in eine Zukunft blicken läßt, die sich 2050 auf diese oder jene Art einlösen wird, dann sollte eine mit Kontinuität versehene Kommunikationslage zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sich als vorteilhaft erweisen können.

[2050: übersicht]

und dann 2050? #5

Um es vorweg zu betonen: Die ersten Absätze dieses Beitrages mögen etwas deprimierend klingen. Ich muß das so ausführten, damit der Status quo klar wird. Im Anschluß wird es aber sehr optimistisch; wenn ich meine Schlüsse ziehe…

Ich komme mit Absagen besser zurecht, wenn sie offen formuliert sind, statt bloß unter einem Lächeln exekutiert zu werden. Zum Beispiel: „Festhalten möchte ich jedoch, daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“ Das ist ja keine Seltenheit.

Vieles ist in Umbruch befindlich. Auch Gerald Gigler, beim Land Steiermark für die LEADER-Regionen zuständig, kann uns augenblicklich nicht sagen, wohin es in naher Zukunft mit diesen Konzepten geht

Mehr noch, inzwischen agieren ja auch Kommunen so. Kennt noch jemand kleinere oder mittlere Gemeinden, deren Funktionstragende Kunst und Kultur für ebenso wichtig halten wie das Bildungs- oder Gesundheitswesen? Werden dafür Budgets bereitgestellt? Diese Fälle sind rar geworden.

Offen gesagt, ich war zwischenzeitlich etwas erschrocken, wie umfassend hier in der „Provinz“ der Kulturbereich an wesentlichen Ecken fallen gelassen wurde, als die Krisenmomente zunahmen. Es erfolgte ein weitreichender Rückzug auf vertraute Positionen, was bedeutet: Events, Projektchen mit Tourismusbezug, aus! Es gibt auch keinen aktiven Dialog Funktionstragender mit bewährten Kulturschaffenden. Damit meine ich: Von den Gemeinden geht derzeit offenbar gar nichts aus.

Es scheint, als sei die Schildkröte zum Wappentier der Region erwählt worden. Da ist sicher noch Leben unter dem Panzer, aber es läßt sich nicht sagen, ob sich nun etwas bewegen wird oder nicht.

Gut, da wäre nun gerade ein als Offensive angelegter Prozeß, bei dem unter der Headline „Visionen 2050“ Debatten und Feedbacks angeregt werden sollen, die im Sinne einer wachsenden „Bürgerbeteiligung“ funktionieren mögen. Also ein diskursiver, eine soziokultureller Prozeß.

Der Prozeß läuft, Rückmeldungen führen zu Veränderungen der Grundlagen. Aber was wird solchen Vorgängen Dauer verleihen? Wie wird allenfalls professionelle Begleitung für ehrenamtliches Engagement gestaltet sein?

Der Auftakt ist bemerkenswert, weil das Projektteam von diversen Universitäten und der TU Graz einen sehr interessanten Ausgangspunkt erarbeitet hat. Hat es sich deshalb ereignet, daß sich der Vorstand unserer LEADER-Region, immerhin alles Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an ihre Leute aus Bildungswesen und Kultur gewandt haben, um ihnen zur Sache einen Vorschlag zu machen oder sie zur Zusammenarbeit einzuladen?

Nein, das hat sich nicht ereignet. Diese Idee ist offenbar kaum naheliegend. Gut. Da besteht eben Klärungsbedarf, der in den vergangen Jahren nicht statgefunden hat. Es ist fast, als begännen wir anläßlich dieses Projektes bei Null. Fast. Denn immerhin haben wir Kunst- und Kulturschaffenden die letzten Jahre genutzt, um verschiedene Modi zu erproben und praktische Erfahrungen zu sammeln.

Das bedeutet AUCH:
Es kann gar nicht genügen, in diesem Kulturbereich aufzutreten und den Anspruch „Ich bin Künstler“ als einzig relevantes Thema einzuführen. Ebenso könnte man vorbringen, Lehrerin zu sein, Krankenschwester, Polizist, was auch immer. Das ist ja für sich kein relevantes Statement, sondern bloß ein Hinweis darauf, worüber nun geredet, eventuell verhandelt werden könnte.

Zurück zur Passage „…daß wir keine externen Marketingaktivitäten durchführen und dafür auch kein Budget haben. Eine finanzielle Unterstützung der Künstler ist uns daher leider nicht möglich.“

Es wäre naiv bis skurril, wollten regionale Kunstschaffende, die keinen internationalen Marktwert für sich geltend machen können, bei einer Firma ankommen und sagen: „Geben Sie uns einiges Geld für unsere künstlerischen Vorhaben, wir bieten Ihnen dafür einen Imagegewinn.“

Das wäre freilich ein Kernereignis von Sponsoring, wie wir es bisher kennen. Kulturschaffende bieten Unternehmen wenigstens zweierlei Möglichkeiten: a) Sich im Gemeinwesen soziokulturell zu engagieren und b) dabei auch einen Imagegewinn für den Betrieb zu verbuchen.

Minimalbetrieb in der Kommune: Sigrid Meister vom Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing bekommt ein Kind und geht demnächst in Karenz. Ihr bisheriger Chef Winfried Kuckenberger geht eben in Pension, sein Nachfolger Gerwald Hierzi wird im Februar 2012 seinen Dienst antreten.

Das kann keine Basis für unsere regionalen Vorhaben sein, weil sich so ein Zugang praktisch nicht einlösen läßt. Ich habe im vorigen Beitrag schon notiert, welchen Ausgangspunkt ich für „kunst ost“ herausgearbeitet habe, um klären zu können, was an Kooperationen denkbar wäre. Und DAS ist der wesentliche Punkt: Kooperation.

a) Gibt es aktuelle Fragestellungen, die uns gleichermaßen interessieren?
Falls ja, bleibt zu erörtern:
b) Gibt es Aufgabenstellungen, die sich aus diesen Fragen ableiten und die wir teilen könnten?
Das verlangt auch Klärung:
c) Welcher Art sind unsere Kompetenzen, die sich in einem gemeinsamen Vorhaben komplementär ergänzen und verstärken könnten?

Das bringt mich wiederum zum Themenkomplex „Visionen 2050“. Es wird viele Wege geben, zu dieser großen Themenstellung etwas Relevantes beizutragen. Ich denke, der hier angerissene Modus ist einer davon, welcher vor allem brauchbare Erfahrungen schaffen kann, wie denn nun höchst verschiedene Instanzen eines Gemeinwesens, einer regionalen Gesellschaft erst einmal mit einander in Dialog kommen können, um schließlich auch da und dort zusammenzuarbeiten.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß solcher Zugang uns den Weg zu neuen Verfahrendweisen und Strukturen im Kulturbereich weist.

[2050: übersicht]

und dann 2050? #4

wir haben bei „kunst ost“ die aufgabe gewählt, im zentrum unserer arbeit der GEGENWARTSKUNST zu mehr augenmerk, wertschätzung und spielraum zu verhelfen. um das zu bewirken, sind wir allerdings gut beraten, den größeren zusammenhang dieses kulturellen themas zu beachten, zu betrachten und zu bearbeiten.

wir konzentrieren uns also über weite strecken auf SOZIOKUKTURELLE themenstellungen. der themenrahmen ist so definiert: „zwischen landwirtschaft und high tech“. dabei beziehen wir uns vor allem auf aspekte der sozialgeschichte und mentalitätsgeschichte, um von daher auf die gegenwärtige alltagspraxis verschiedener lebensbereiche einzugehen.

rund um das vorhaben „vision 2050“ ergeben sich nun anlässe, erneut zu klären, welche rollen KULTURSCHAFFENDE im gemeinwesen finden und einnehmen können. gemeinwesen, das ist im grunde auch ein überbegriff für die summe jener kräftespiele, in denen sich menschen zwischen eigennutz und gemeinwohl entscheiden. dieses thema habe ich gerade in einer begegnung gestreift.

wolfgang leitner, gemeinderat, von beruf statiker

gemeinderat wolfgang leitner ist techniker. in einer kleinen plauderei hat er jene zwei interessanten pole betont, die zu beachten vermutlich sehr wichtig ist. einerseits spricht er gegen die inzwischen immer häufiger beklagte überregulierung und meint berispielsweise: „wenn du dir ein haus baust, willst du ja auch nicht, daß dir jedes detail vorgeschrieben wird.“ auf der anderen seite, wenn wir über belange der ökonomie und ökologie sprechen, sagt er: „manches kannst du nur über den preis und über vorschriften regeln“, weil die meisten menschen in der orientierung auf eigennutz keine ausreichende motivation aufbrächten, diesen eigennutz zugunsten des gemeinwohls angemessen zurückzunehmen.

ich denke, genau hier stecken auch manche vorhaben der regionalpolitik fest. ich schließe daraus, daß gemeinwohl passend dargestellt werden muß, um in diesen punkten etwas voranzubringen. und das geht sicher nicht über flotte werbesprüche. für kunst- und kulturschaffende kann das bedeutet: begegnen und erzählen. („erzählen“ meint hier freilich ganz verschiedene künstlerische techniken und verfahrensweisen.)

das meint nicht, der kulturbetrieb sei als „werkzeugkiste“ für sozialarbeit und regionalpolitische reparaturarbeiten gedacht. der kulturbetrieb schafft einen ereignis- und erfahrungsraum für einige ganz grundlegende kompetenzen der menschen. das hat auch seine trivialen ausläufer.

emil gruber, sammler, reisender, besitzer einer „wunderkammer“
emil gruber, sammler, reisender, besitzer einer „wunderkammer“

ich sehe mich selbst als ein kind der pop-kultur. diese proleten-situation in grazer hochhäusern hatte zwar einzelne momente mit beethoven und mozart, aber ohne goethe, zweig und handke. das war also keine kindheit nach der art des bildungsbürgertums, sondern eine welt, in der „readers digest“ und popmusik dominiert haben, in der comic-hefte als „schundhefte“ ausgewiesen, aber sehr populär waren.

diese meine welt, in der harte schläge als normal galten, aber intellektualität verdacht erregte, ließ mich an trivialen stoffen großen geschmack finden. das ist ein stück hintergund jenes tätigkeitsbereiches, den wir heute in der region einem „kuratorium für triviale mythen“ übertragen haben: [link] von sammler emil gruber, der unser manifest des „avantourismus“ verfaßt hat, habe ich eine vorstellung von „wunderkammern“ bezogen, die sehr emotionales, genau nicht theoretisch fundiertes sammeln ausdrücken.

in grubers avantouristischen traktat heißt es an einer stelle: „2. Unsere vertragliche Pflicht ist nicht die ordnungsgemäße Vermittlung von Pauschalavantourismuserkenntnissen sondern individuelle avantouristische Erkenntnisleistungen.“ ein ironischer hinweis darauf, daß wir erfahrung und erkenntnis nur über eigeninitiative und die wahrnehmung eigener verantwortung für erreichbar halten.

techniker m. (links) im selbstgebauten cockpit einer formel 1-simulation und dj m. an den turntables (zur wahrung der privatsphäre anonymisiert)

inzwischen sind freilich noch ganz andere felder von jugendkulturen aufgegangen, die von anderen musiken und anderen codes bestimmt sind, anders als alles, mit dem ich aufgewachsen bin. kurios genug, daß wir darin berühungspunkte und überlappungen finden, denn wenn diese youngsters party machen, repräsentiere ich eigentlich dabei die generation, die von ihnen schon zu großeltern gemacht wurde. das ergibt interessante begegnungen und kuriose interferenzen: [link]

noch einmal zurück zu gemeinderat wolfgang leitner, der dem kulturausschuß von gleisdorf angehört. in unserer erörterung kam ein nebensatz vor, den ich für sehr wichtig halte: „wir können im kulturausschuß nur bearbeiten, was uns vorgelegt wird.“ der ausschuß ist also kein gremium, das von sich aus in kulturpolitischen fragen aktiv wird. er ist ein fachausschuß, der dem gemeinderat zuarbeitet.

daraus folgt, wir müssen vor allem einmal von uns aus klären, welche rollensituation und welches verhältnis wir als kunst- und kulturschaffende gegenüber a) dem gemeinderat und b) dem kulturausschuß einnehmen wollen. von da ab kann sicherlich wachsende verständigung greifen, kann sich auch ein zeitgemäßer entwurf der kooperation zwischen a) der kommune und b) bürgerinnen und bürgern entwickeln.

was das an kulturpolitischen optionen für nicht bloß einen ort, sondern eine region ergeben soll, will erst geklärt sein.

[2050: übersicht]

und dann 2050? #3

was für ganz europa gilt, finde ich schon in der region. das leichthin ausgeprochene „WIR“ ist ein phantasma, eine kühne übereinkunft. so lange alles glatt läuft, bleibt dieses „wir“ stark und fraglos aufgestellt. sobald es konflikte oder krisen gibt, zeigt sich die brüchigkeit solcher übereinkünfte.

schlecht? aber nein! so ist nun einmal unsere spezies offenbar gemacht, nehme ich an, und wir haben unsere KULTUR, um erfahrungen zu sammeln, wie man bei all dem trennenden, das uns ausmacht, GEMEINSCHAFT erfahren kann.

aus der befassung mit gegenwartskunst kennen wir etwas, das sich auch in fragen der alltagsbewältigung oft bestätigt: es können keine „wahrheiten“ generiert werden, indem man einfach möglichst alle widersprüche eliminert.

darin liegt zugleich ein hinweis, daß hierarchische konzepte der deutung unserer welt (definitionsmacht als „monopol“) in dieser gegenwart nicht gerade vielversprechend sind. im sinne von: einer darf sagen, was die dinge sind, alle anderen folgen dann. das haben unsere leute auf viele erdenkliche arten durchgespielt. (es hat übrigens, quer durch das 20. jahrhundert, stets zu massakern geführt.)

ab da wird es nun komplex und anspruchsvoll:
+) wie pflegen wir eine „praxis des kontrastes“ in einer massengesellschaft, wo die menschen höchst unterschiedliche positionen einnehmen, was wissensdurst, sachkenntnis und überblick zum stand der dinge angeht?
+) wie verhandelt man gesamtgesellschaftliche anliegen, wenn deshalb auch kompetenzen sehr unterschiedlich verteilt sind?

wir haben bei „kunst ost“ zu einem ganz pragmatischen arbeitsansatz gefunden. selbst sehr unterschiedlich besetzte felder mit themenstellungen, die allgemein sehr unterschiedlich bewertet werden, können über zwei simple fragen höchstwahrscheinlich zu einem ansatz für
a) nähere verständigung und
b) kooperation kommen.

+) frage #1: haben wir gemeinsame FRAGESTELLUNGEN, die uns gleichermaßen interessieren?
+) frage #2: können wir daraus gemeinsame AUFGABENSTELLUNGEN ableiten, die uns gleichermaßen reizvoll erscheinen und bei denen sich die summe unserer kompetenzen ergänzt?

unsere praxis zeigt: über diese zwei punkte läßt sich auch triviales mit sehr anspruchsvollem verbinden. simples und komplexes haben plötzlich das zeug, geradezu komplementär ineinander zu gehen. das schafft gemeinsamen platz, einen „möglichkeitsraum“ für menschen mit sehr unterschiedlichen neigungen.

zwei augenblicke in unserer kulturellen praxis waren während der letzten wochen anregend für das, worum es nun auch in diesem regionalen projekt zu den „visionen 2050“ gehen mag. den einen moment habe ich in beitrag #2 skizziert. sabine hänsgen („kollektive aktionen“, moskau) zitierte: „wir müssen verfremden, um unsere wahrnehmung zu erneuern.“ und meinte damit eine kulturell gefaßte verfahrensweise unserer kognitiven möglichkeiten, daß wir nämlich „das eigene immer wieder auch über das fremde zu reflektieren“ haben.

dazu paßt eine andere anregung, die sich bei der ersten veranstaltung in der „werkstatt gleisdorf: zeitgeschichte + kultur“ von wolfgang seereiter ergab. nachdem die vernissage verklungen und die musikgruppe nach wien weitergezogen war, fand eine runde zusammen, im sinn des wortes, denn wir saßen im kreis des hellen raumes, um gerade erlebtes zu reflektieren.

die sprachwissenschafterin ursula glaeser, der spache romanes kundig, mit kultur und lebensrealität der roma vertraut (roma service), hatte in der debatte eine exponierte position. es ist ja knifflig, uns quasi in gesamteuropäischer nachbarschaft einer ethnie und kultur anzunähern, die von uns mit so weit in die geschichte zurückreichenden ressentiments, repressionen und klischees getrennt ist.

ursula glaeser und wolfgang seereiter

ich bin bei dieser debatte erneut meine „balkan-erfahrung“ gestoßen. damit meine ich: seit jahrzehnten lese ich viel über den balkan und begleite debatten darüber. seit vielen jahren bin ich mit leuten vom balkan in laufendem kontakt und austausch. wir kooperieren beispielsweise im kulturbereich sehr konkret. ich nehme daher gerne an, die südslawischen ethnien, ihre mentalitäten und eigenheiten seien mir einiugermaßen vertraut.

doch immer wieder erlebe ich dann: ich sehe nicht was ich sehe. ich deute manche momente und situationen völlig falsch. ich sehe gelegentlich nicht, was eigentlich HINTER diesem oder jenem moment steckt.

vielleicht ist es ja so, das diese ethnische vielfalt europas unüberbrückbar bleibt; im sinne dieses trennenden. daß eben vieles, in dem die einen aufgewachsen sind, den anderen verschlossen bleiben muß.

aber eventuell ist genau das die gute nachricht und eine ungaubliche chance, aus solchen kontrasten, aus der beeindruckenden vielfalt der ethnien europas, große vorteile zu ziehen; indem man nämlich das trennende nicht als etwas uns trennendes deutet, sondern als einen kulturellen „schatz“ der verbindet.

und genau das dürfte ebenso auf regionaler ebene zum tragen kommen, denn so viel ist klar: so manche bäuerin der region, so mancher fabriksarbeiter, diese ärztin und jener bürgermeister sind mit in mentalität und vorlieben wesentlich fremder, als nikola dzafo aus petrovaradin oder selman trtovac aus beograd.

ich denke, eine zukunftsweisende arbeit an neuen aufgabenstellungen der regionalentwicklung hat zur voraussetzung, daß es uns gelingt, hierarchische anordnungen kultureller positionen aufzugeben und selbst das lokale wie regionale „WIR“ als eine konvention zu verstehen, als eine kulturelle und politische leistung, welche antwortvielfalt und widerspruch als das verbindende werten.

das klingt vielleicht auf anhieb etwas gewöhnungsbedürftig. ich hab da natürlich leicht reden, weil die befassung mit kunst ohne solche scheinbar widersprüchlichen denkweisen überhaupt keine zugänge aufgehen ließe. mir kommt das also aus den letzten jahrzehnten heraus naheliegend und vertraut vor.

beim ausgangspunkt für eine arbeit an möglichen „visionen 2050“ sehe ich also zwei wichtige „markierungen“, deren kenntnis mutmaßlich eine kulturelle voraussetzung ist, damit solche arbeit gelingen kann:
+) „das eigene immer wieder auch über das fremde zu reflektieren“
+) „ich sehe nicht was ich sehe“

[2050: übersicht]

und dann 2050? #2

ich hab in einer ersten notiz [link] zu „ienergie weiz-gleisdorf“ angemerkt: KOMMUNIKATION scheint mir dabei übehaupt DAS „schlüsselereignis“ zu sein. und daß fragen der idetität immer auch ein umgang mit DIFFERENZ seien. das hat auch sehr grundsätzliche bedeutung für die möglichkeiten unserer wahrnehmung. das sind teile unserer kulturellen fundamente.

von links: mirjana peitler-selakov, vlado macura und sabine hänsgen

in unserem kleinen gespräch auf der donau-terasse von kunstsammler vlado macura zitierte sabine hänsgen („kollektive aktionen“) wiktor schklowski: „wir müssen verfremden, um unsere wahrnehmung zu erneuern.“ wir haben dann kurz erörtert, was das für die gesellschaftliche praxis bedeuten würde. hänsgen: „das eigene nicht als eigenes ständig zu reproduzieren“, woraus sich etwa „bei der herausbildung neuer nationalismen“ probleme ergeben würden, „sondern das eigene immer wieder auch über das fremde zu reflektieren“. [quelle]

verfremden um zu erkennen, sich öffnen, um das eigene zu sichern, an solchen möglichkeiten haben wir zu arbeiten. das ist freilich eine kühne intention gegenüber beispielsweise leuten aus der kommunalpolitik, die ganz offen sagen, ihre primäre pflicht sei es, den vorteil ihrer eigenen gemeinde im auge zu behalten. wir kennen ja auch keine KULTURPOLITIK, die über gemeindegrenzen hinaus eine umfassendere kulturelle situation in einer region meinen oder beschreiben würde.

im august 2010 war mehr als klar, daß ein großteil funktionstragender in den gemeinden, und zwar österreichweit, überhaupt nicht verstanden hat, was an kulturellen agenda zu bearbeiten wäre, welche rollen kunst- und kulturschaffende dabei spielen würden. bei den umfragen des gemeindebundes, in welchen bereichen KÜRZUNGEN akzeptabel erscheinen würden, waren kunst und kultur die absoluten spitzenreiter.

das heißt, 91 prozent der befragten bürgermeisterinnen und bürgermeister, mehr noch, 95 prozent der bevölkerung, fanden, man solle in diesen bereichen kürzen. siehe dazu den eintrag im projekt-logbuch: [link]

diese unstände sind freilich nicht bloß den funktionstragenden vorzuhalten. es fehlt auf der anderen seiten seit jahren an kulturpolitischen maßnahmen und klärenden schritten, mit denen kunst- und kulturschaffende deutlich machen wüden, welche rollen und aufgaben ihnen im gemeinwesen behagen könnten, außer einem selbstbezogenen produzieren von ästhtetik.

das ist natürlich kein statement gegen die autonomie der kunst, sondern für eine klar kommunizierbare KULTURPOLITISCHE haltung. das ist etwas, wo wir im eigenen milieu deutlich mehr trennschärfe brauchen: was sind kategorien der kunst und ihrer freiheit und was sind kompetenzen, die wir aus der befassung muit kunst beziehen, um sie AUCH Im gemeinwesen zur wirkung zu bringen… (siehe dazu auch: wovon handelt kulturpolitik?)

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und dann 2050?

wenn sich zur frage der gestaltung unserer zukunft nicht nur leute aus der welt funktionstragender angesprochen fühlen sollen, wird es knifflig. „bottom up“, „bürgebeteiligung“, fein, aber wie gelingt kommunikation zwischen milieus, die kaum praktische erfahrung haben, einen austausch in augenhöhe zu pflegen? und wie gelingt dann erst konkrete kooperation?

solche fragen dürften im hintergund lauern, wenn es etwa um projekte wie „ienergie weiz-gleisdorf“ geht; siehe: [link] KOMMUNIKATION scheint mir dabei übehaupt DAS „schlüsselereignis“ zu sein. nun hat ein erster öffentlich zugänglicher abend zu dieser themenstellung stattgefunden: wie soll sich die region entwickeln? wie wollen wir in 40 jahren leben?

michael narodoslawsky von der tu graz

dazu hat ein projektteam fünf szenarien entworfen. das sind keine prognosen, sondern bloß denkmodelle von möglichen situationen in der zukunft. es stand dem publikum frei, eines der szenarien als das plausibelste hervorzuheben. ich hab zuerst eine eher pessimistische einschätzung bevorzugt. mit einer kleinen runde von „kunst ost“-leuten fanden wir uns dann aber bei der optimistischsten version wieder.

das hatte sehr wesentlich mit einer kurzen erörterung mit michael narodoslawsky von der tu graz zu tun, der bei jenem modell als diskussionspartner zur verfügung stand. er empfahl: „trennen wir einmal projekt und regionale realität“, was vermutlich meint, man solle sich den kopf frei machen, denn: „irgendwo muß man einmal anfangen zu klären, wo die region eigentlich hin will.“ dabei sollte man sich vermutlich nicht von überlegungen bezüglich des status quo einengen lassen.

rechts: malerin michaela knittelfelder-lang

narodoslawsky betonte: „regionalentwicklung spielt sich in den köpfen und in der kultur ab. wenn es da nicht hineingeht, ist es keine regionalentwicklung, sondern ein technologieprojekt.“ auf die frage, wovon wohl günstige veränderungsprozesse in einer ganzen region ausgelöst würden, falls für die menschen klar sei, WAS die region sei und was das alles mit ihnen zu tun habe, meinte narodoslawsky: „es braucht einen zündenden funken.“ und der habe mit IDENTITÄT zu tun.

aber welche IMPULSE könnten so einen funken auslösen? was muß geschehen, damit etwas „überspringt“? dazu meinte narodoslawsky, es gehe nicht nur um die impulse, sondern daß sie auch RESONANZ fänden. das skizziert ja klar eine KOMMUNIKATIONSSITUATION, vorzugsweise nicht im alten „broadcasting-modus“: ein sender, viele empfänger.

genau damit haben wir aber, trotz mehrerer jahre neuer mediensituation, noch erhebliche probleme: wie kommunizieren viele sender mit vielen empfängern, so daß mehr als bloß geschwätzigkeit und hintergrundrauschen herauskommen? müssen wir da auch mit inhalten anders umzugehen lernen? was bedeutet so eine kommunikationssituation für die welten „alter funktionärsherrlichkeit“? was heißt das für bürgerinnen und bürger, die den staat eher als service-eirichtung betrachten?

von links: wissenschafterin ulli vilsmaier, projektleiter matthias schaffer, bürgermeister christoph stark und wissenschafter michael narodoslawsky

wenn als IDENTITÄT bei solchen vorhaben ein zentraler faktor ist, dann haben wir unter anderem von kulturellen agenda zu reden. wenn es um identität gehen soll, müssen wir ja eine vorstellung entwickeln, wer wir sind. das ist immer auch ein umgang mit DIFFERENZ.

wo im scheinbar widersprüchlichen ein größeres ganzes erkennbar werden mag, muß zur „erzählung“ dieses größeren ganzen eine vielfalt an stimmen zugelassen sein. auf dem boulevard suggeriert uns gängige medienpraxis, das sei nur über komplexitätsreduktion und knappe slogans/headlines möglich. ich bezweifle das…

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arbeit an perspektiven

bei den “talking communities” [link] war eben eine kleine und lebhafte runde zugange. die anstehenden debatten drehten sich sehr schnell um die nahe zukunft der kunst- und kulturschaffenden in unserer region. die budgets sind radikal gekürzt. die offiziellen kräfte aus politik und verwaltung sind überwiegend mit sich und den „hauseigenen“ problemen befaßt. ich hab den status quo hier exemplarisch skizziert: [link]

ich halte es für fatal, daß so viele kommunikationslinien abgebrochen sind. doch das liegt nicht bloß im rückzug der leute aus politik und verwaltung begründet. das haben wir, kunst- und kulturschaffende, selbst mitproduziert. hier ist defintiv kein kollektiv, das den kommunen gegenüber wenigstens in einem kleinen kern geschlossen auftreten könnte, um ansprüche und vorhaben plausibel darzulegen und zu begründen.

welche (arbeits-) bedingungen von kunst- und kulturschaffenden sind unverzichtbar? was sollte und was muß davon die öffentliche hand übernehmen? warum muß sie das? wofür können und wollen wir selbst aufkommen? welche praktikablen konzepte haben wir in unseren taschen und welche handlungspläne würden deren umsetzung sichern?

die arbeit, die vorhaben und die dazu nötigen mittel darlegen, begründen. das haben wir erörtert. konsequenzen solcher arbeitsgespräche zeigen sich langsam in einem deutlichen konzentrationsprozeß bei „kunst ost“. es geht darum, erfahrungen, engagement und andere ressourcen zu bündeln. das ist OHNE derlei arbeitsgespräche und deren kontinuität durchs jahr nicht zu schaffen. also werden wir solche arbeitsschritte intensivieren.

das hat einen weiteren nutzen. dadurch wird innerhalb der community viel klarer, wer mit welchen intentionen welche ziele verfolgt und daher mit wem zusammengreifen mag. solche verständigungsprozesse haben momentan hohe priorität.

das alles würde nicht fruchten, wäre uns eine konsequente kommunikation nach außen egal. wenn etwa dieser tage in der region öffentlich die frage nach der „gestaltung der zukunft“ [link] gestellt wird, noch dazu mit dem zeithorizont 2050, dann gehe ich davon aus, daß höchstwahrscheinlich kein regionaler kulturbeauftragter erscheinen wird, um offiziell für die zukunft des kulturellen klimas in der region zu sprechen. das werden wir schon selbst erledigen müssen.

wir sollten auch gelegentlich kulturelle visionen äußern können; inklusive einiger ideen, wie sie sich realisieren ließen. es muß ja nicht bloß in die richtung fixer einrichtungen einer dimension gehen, wie sie uns gerade im kontext „kompetenzzentrum für steirische gegenwartskunst“ [link] beschäftigt.

wer auch immer glaubt, daß ein vitaler kulturbetrieb wichtig, ja unverzichtbar sei, es gibt dazu keinen breiten gesellschaftlichen konsens. der ball liegt bei uns, nirgends sonst.