Vorspann: Die kleine Grablaterne ist ein Praxisbeispiel für jene Deutungs-Praktik, die in der Kunsttheorie von Boris Groys als das Wechselspiel zwischen Valorisierung und Trivialisierung beschrieben steht.

Vorspann: Die kleine Grablaterne ist ein Praxisbeispiel für jene Deutungs-Praktik, die in der Kunsttheorie von Boris Groys als das Wechselspiel zwischen Valorisierung und Trivialisierung beschrieben steht.

Von Martin Krusche
Gleich vorweg, ich bin seit Jahren von der eher schlampigen Frage ermüdet, die so oder so ähnlich immer wieder auftaucht: „Kannst du mir eigentlich sagen, was Kunst ist?“
Oft ist das auch keine Frage, sondern eine Unterstellung, die andeutet, Kunst sei vermutlich ein Schwindel, sonst könnte man es ja genau sagen.
Diese Auffassung ist freilich Unfug, welchen sich schlichte Gemüter gönnen, weil sie sich mit Widersprüchlichkeiten und Unwägbarem, mit der Komplexität solcher Themen nicht belasten möchten.
Episode XLVI: Wann ist Kunst? (Rudi Klein) weiterlesenWeshalb ein Round Table zum Thema Kunst sowie mein Beharren darauf, daß wir im Rahmen von Wissens- und Kulturarbeit einen Kunstdiskurs führen sollen?


Ich hab es an verschiedenen Stellen schon betont. Die Frage „Was ist Kunst?“ halte ich für antiquiert.
Ich finde interessante Möglichkeiten durch die Frage „Wann ist Kunst?“, denn mein Leben in der Kunst läßt mir keine Zweifel: da geht es um sehr dynamische Phänomene. Die Dynamik kommt ganz wesentlich aus dem Wechselspiel zwischen individuellen Prozessen, laufenden Wahrnehmungserfahrungen, gesellschaftlichen Veränderungsschüben und dem jeweiligen Stand der Diskurse über Kunst.
Aber die Kunst! II weiterlesen(Beiträge und Fragen zu einer nächsten Kulturpolitik)
[Vorlauf] Ich will dieses Thema hier noch schnell abschließen, den Sack zumachen. Für die Themenleiste „Was es wiegt, das hat’s“ ist eine weitere Vertiefung der Debatte vorerst nicht wichtig. Ich hab in den vorherigen drei Glossen skizziert, was es mit dem Kunstdiskurs auf sich hat, wie und wo laufend neu verhandelt wird, was der Begriff bezeichnet.

„Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Diese Aussage wird dem Juristen Fritz Bauer zugeschrieben, der einst als Generalstaatsanwalt in den Frankfurter Auschwitzprozessen exponiert war.
Seine hier formulierte Auflassung ist nicht nur in politischen und zeitgeschichtlichen Kategorien anregend, die hat auch im Kulturbereich einige Brisanz. Damit ist allerdings keinerlei „Traditionsschützerei“ gemeint, auch keine klassizistische Pose. Es läßt darüber nachdenken, wie Denkweisen und Handlungskonzepte über Generationen hinweg wirken, gelegentlich verblassen, auch ruhen, und plötzlich wieder sehr virulent werden.

Unser Arbeitsansatz, in der regionalen Wissens- und Kulturarbeit die Felder Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft stärker zu verknüpfen, handelt ganz wesentlich davon, daß Verfahrensweisen und Rollenverhalten aus dem einen Bereich auch in den anderen Bereichen zur Anwendung kommen sollen.
Es haben sich nun im Gefüge des 2015er Kunstsymposions zwei Kreise gefestigt, in denen die Arbeit an den Teilthemen Gegenwartskunst, Populärkultur und Mobilitätsgeschichte personell besetzt ist. In dieser Community ist die Kunst nur ein Genre unter mehreren. Daher lag zum Beispiel im Teilbereich „Fiat Lux“ die Frage auf dem Tisch, ob denn das, was wir gemeinsam begonnen haben, nun ein Kunstwerk sei; und falls ja, wodurch es dazu werde.
Das Symposion [link] ist eine kräftige Markierung im Raum und auf dem Zeitpfeil unserer Vorhaben. Gerade in einer Phase, welche in der gesamten Steiermark mehr als krisenhaft erlebt wird, was gewöhnlich den Bereichen Kunst und Kultur größte Einbrüche beschert, gehen wir nach einem längeren Prozeß der Vorarbeit an die Öffentlichkeit und sagen klar, daß wir der Gegenwartskunst hier, in der Provinz, ganz neue Bedingungen schaffen wollen.
ich denke, hier ist inzwischen schon deutlich geworden, daß die fragen nach der kunst keinen sinn ergeben, wenn jemand das thema mit einigen wenigen sätzen erledigt haben möchte. wer zu kurzen antworten auf komplexe fragen neigt, wird sich andere themen suchen müssen.
vielleicht waren wir alle über zu viele generationen hauptsächlich untertanen, um uns einem der zentralen themen des kunstgeschehens vergnügt zuzuwenden: definitionshoheit. wer darf sagen was es ist? wie lange darf die debatte dauern? wer redet dabei mit? was ist mit jenen, die nicht gehört werden?

eine der kuriosesten fragen ergibt sich für mich von der regionalen gesellschaftlichen praxis her: warum drängen sich so auffallend viele leute um die flagge der kunst, wo das leben der kunstschaffenden in diesem land so unübersehbar von sozialer marginalisierung geprägt ist? hier mangelndes sozialprestige der kunstschaffenden, da zugang zu defintionsmacht, was für eine merkwürdige mischung!
ich habe im vorigen beitrag [link] boris groys und deine theorie einer kulturökonomie erwähnt. groys beschreibt ein geschehen, das sein wechselspiel zwischen „profanem raum“ und „kulturellen archiven“ entfaltet. gemäß dieser theorie lassen sich kunstGEGENSTÄNDE (nicht die kunst!) als etwas verstehen, was im profanen raum entsteht, durch aufkommendes interesse und bedeutungszuweisung „valorisiert“ wird, also eine WERTsteigerung erfährt, wodurch es geeignet ist, vom profanen raum in die archive der kultur zu wechseln, weil es als erhaltenswert betrachtet wird.
seit vielen jahrzehnten werden in der gegenwartskunst nicht nur artefakte, gegenstände, als kunstwerke verstanden, sondern auch prozesse sowie verschiedene mischformen. deren „ortswechsel“ aus trivialen positionen richtung kultureller archive ereignet sich also auch nicht von selbst oder selbstverständlich, so ungefähr nach der etwas naiven vorstellung: „das gute setzt sich von selbst durch“. das sind stets prozesse, in denen verhandelt wird. darum gibt es diesen westlichen kunstbetrieb auch nicht ohne theoretische diskurse, ohne kunsttheorie.

da stoßen wir also hart auf das oben erwähnte thema definitionshoheit. die theoretischen diskurse über kunst, kunstwerke und über deren wert werden nicht nur, aber hauptsächlich vom personal verschiedener „deutungseliten“ vorgenommen. kunstgeschichte, feuilleton und andere sparten der kunstkritik, politik… und vor allem die kunstschaffenden selbst als jene, die sagen was es ist; oder demonstrativ darüber schweigen.
die antworten auf diese frage „was ist kunst?“ hängen demnach von sehr vielen faktoren ab, vom lauf der zeit und vom stand der dinge, von den jeweiligen positionen der sprechenden, vom verhältnis zwischen marktwert und kulturwert einzelner kunstwerke etc.
die groys’sche theorie handelt unter anderem von der simplen tatsache, daß kunstwerke ihren anerkannten kulturwert auch wieder verlieren können, um in der folge aus den archiven der kultur richtung profanem raum abgeschoben zu werden. das wird nicht gerade der nike von samothrake widerfahren, auchdem feldhasen von dürer droht das kaum. (der verschwindet dafür von selbst, weil unter luft und tageslicht jene partikel aus dem papier verschwinden, welche dürer mit geübter hand aufgebracht hat, um, diesen feldhasen erstehen zu lassen.)
wir kennen aus dem alltag auch die „zwischensituation“. denken sie an die „sixtinische madonna“ von raffael. dieses bedeutende renaissance-gemälde zeigt am unteren bildrand zwei putti, deren popularität jener von pop-stars gleichkommt. deshalb wurde das duo millionenfach auf kitsch-produkte, nippes, heimtextilien, auf jeden nur denkbaren kram übertragen. selbst als wandschmuck kommen diese engelchen daher, als gerahmte flachware. das heißt, nicht etwa als reproduktion des vollständigen bilds raffaels, sondern bloß als kleiner ausschnitt, den geschäftsleute quasi aus dem gemälde rausgeschnitten haben.

wenn sie kurz im beitrag #12 nachschauen, könnte ihnen auffallen, daß auf einem foto sergei romashko von den „kollektiven aktionen“ mit dem daumen der linken hand auf ein bild hinter seinem rücken zeigt. da hängt kurioserweise eine reproduktion der „madonna sistina“ OHNE die zwei populären putti.
die eine wie die andere version degradiert das werk raffaels zum dekorationsgegenstand. ein unbedeutenderes werk als dieses wäre dadurch wohl zur gänze „re-profanisiert“ und aus den archiven der kultur ausgeschieden worden. nun ahnen sie gewiß, welche knifflige balance kunstschaffende gelegentlich anstreben. sie müssen erreichen, daß ein werk „valorisiert“, also im wert über profane alltagsgegenstände erhoben wird.
es muß allerhand zustimmung erreicht werden, damit so ein werk schließlich in den archiven der kultur aufnahme findet. dabei sollte es aber nicht gar so leicht die zustimmung eines massenpublikums erleben, weil das zwar den marktwert einer arbeit steigern kann, aber ihren kulturwert gefährdet, durch… genau! profanisierung.
solche profanisierung fördert das risiko, letztlich aus den archiven der kultur abgeschrieben, abgeschoben, ausgeladen zu werden. und wer bestimmt nun über all das? viele! es sind laufende diskurse, es sind debatten an allen ecken und enden des kulturbetriebs, die das bewirken.
groys nennt das „hierarchiestiftende wertunterscheidung“. selbstverständlich steht jede hierarchie zur debatte und ist der kritik auszusetzen. aber am organisierten und strukturierten „kulturellen gedächtnis“ (stichwort „kanon“!) läßt sich nicht ohne weiteres rütteln.
das materialisierte kulturelle gedächtnis, wie wir es etwa in bibliotheken, museen und galerien sehen, ist allerdings leichter zu gefährden. geht einer nation das geld aus, werden grade solche einrichtungen vorzugsweise heruntergefahren, geschlossen. marschieren feindliche armeen ein, werden sie meist geplündert und angezündet.